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Foto: Alte Oper Frankfurt/Achim Reissner.
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Ein Anflug von Weltenharmonie – Jordi Savall in der Alten Oper Frankfurt

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Jordi Savall, der katalanische Gambist, Dirigent und Musikforscher, ist schon ein Ausnahmemusiker. Wohl mehr als jeder andere Experte für die Alte Musik Europas hat er sich hineingearbeitet in die Musik benachbarter Kulturen. Unterstützt vom Kulturfonds Frankfurt Rhein-Main, der derzeit das kulturübergreifende Thema „Transit“ fördert, widmete ihm die Alte Oper Frankfurt einen Themenschwerpunkt. Der „Fokus Jordi Savall“ bestand aus drei Konzerten; Savall brachte seine beiden Ensembles „Hespèrion XXI“ und „La Capella Reial de Catalunya“ mit, dazu das mexikanische „Tembembe Ensamble Continuo“.

„L'Europe Musicale 1500-1700“ heißt das erste Konzert im Mozart-Saal. Es verbindet italienische Tänze der venezianischen Renaissance, elizabethanische Consort-Musik aus England, französische Musik für Ludwig XIII., die „Ludi Musici“ des Deutschen Samuel Scheidt sowie Tänze und Variationen aus Spanien und Portugal. Gespielt werden sie von einem reinen Gamben-Consort, das nur durch den einfallsreichen Perkussionisten Pedro Estevan ergänzt ist. Gemeinsamer Nenner des Programms, über den ein instruktives Programmheft-Essay der Berner Musikwissenschaftlerin Cristina Urchueguía informiert, ist das „Balletto“ – eine stilisierte Form der Tanzmusik, die ihr Vorbild in Italien hatte und in unterschiedlicher Ausprägung mehr oder minder anspruchsvolle Instrumemtalmusik hervorbrachte – als einfacher Tanz, als schlichtes Tanzlied, als Instrumentalfantasie oder Variationenzyklus. Hintergrund der Entstehung war der Aufstieg des Bürgertums, das dem Adel die gesellschaftliche Vormachtstellung streitig machte, aber sich eine repräsentative Hofmusik nicht leisten konnte. Hausmusik, Notendruck und Instrumentenbau erlebten Aufschwung und Standardisierung; Instrumentalmusik wurde zu einem wichtigen Erwerbszweig von Komponisten.

„Dialog der Seelen“

Das zweite Programm im Mozart-Saal, „Dialog der Seelen“, kreist inhaltlich um das Zusammenleben christlicher, muslimischer und jüdischer Menschen und Kulturen in Andalusien vor 1492. In diesem Jahr bereitete König Ferdinands II., genannt „Der Katholische“, nach der vollständigen Rückeroberung Spaniens der friedlichen Koexistenz und dem gegenseitigen Austausch ein Ende, indem er die Andersgläubigen zu Auswanderung und Übertritt zwang. Die Muslime wichen großenteils nach Nordafrika aus, die Juden fanden Zuflucht dort, im Nahen Osten und in Süosteuropa. Wieviel etwa in Griechenland, der Türkei oder Syrien von der sephardischen Musik erhalten geblieben ist, ist, wenn man Cristina Urchueguías Programmheft-Aufsatz liest, für die Musikwissenschaft noch eine offene Frage. Savall verweist an diesem Abend selbst auf eine ursprünglich liturgische Melodie, die weltlich adaptiert wurde und im ganzen Mittelmeerraum verbreitet ist. Er wagt sogar die These, „dass wir ursprünglich alle dieselbe Musik hatten“, und er widmet das Konzert den Flüchtlingen, die in den letzten Jahren versuchten, das Mittelmeer zu überqueren - auch all denjenigen, die im Mittelmeer ertranken.

Die Besetzung von Hespèrion XXI ist hier weniger homogen. Savall selbst spielt Fidel und Lyra, aber im Instrumentalensemnle erklingt eine bunte Mischung orientalischer Instrumente: Neben der Laute Oud, die Kastenzither Kanun, das persische Psalterium Santur, die historische Kleingitarre Morisca, die türkische Flöte Ney, die armenischen Flöten Duduk und Blul, dazu verschiedene Perkussionsinstrumente. Die Gesangspartien übernehmen die griechischen Sängerin Katerina Papadopoulou und der türkische Sänger Gürsoy Dinçer im Mozart-Saal, teils solistisch, teils zusammen, teils im fliegenden Wechsel. Dass zwischen türkischen und griechischen oder armenischen Musikern keine musikalischen Schranken stehen, hat natürlich auch eine politische Dimension, die schwer wiegt in einer Zeit, wo allenthalben der Kampf der Kulturen und Religionen und nationale Identitätspostulate beschworen werden. Sehr beeindruckend sind wie auch schon beim ersten Konzert das bruchlose, engagierte und unprätentiöse Zusammenwirken aller Beteiligten auf der Bühne und der unverkrampfte Wechsel zwischen populären und artifiziellen Kompositionen, darüber hinaus aber auch das entspannte Nebeneinander von geistlicher und weltlicher Musik und die organisch wirkenden Übergänge innerhalb der vier bunt gemischten Suiten, zu denen das Repertoire angeordnet ist. Über die Musik selbst, ihre jeweilige Herkunft, Machart und Bedeutung gibt es nur wenig Information.

Noch stärker ist das Informationsdefizit bei der springlebendigen Matinee im Großen Saal. Sie steht unter der ausführlichen Überschrift „Foliás Criollas. Wege der Neuen Welt. Das barocke Spanien und die lebendigen Huasteca, Llanera- und Jarocha-Tradiitionen der Neuen Welt im musikalischen Dialog“ und vereint alle drei beteiligten Ensembles zu einem Programm mit lateinamerikanischem Schwerpunkt. Zwar liest sich auch hier das Programmheft mit Gewinn, denn was weiß der durchschnittliche Konzerthörer schon über die rasche Durchdringung Lateinamerikas mit spanischer Musik und deren eigenständige Weiterentwicklung in der Neuen Welt, oder über die in Spanien seit dem 14. Jahrhundert existierenden afrikanischen Bruderschaften („Hermandades de negritos“) von Sklaven aus Angola und Neuguinea, die bei Festen mit eigenen Tänzen und Gesängen auftraten?

Aber man muss schon nachher im Lexikon nachschlagen, dass Huasteca eine mexikanische Region ist, Jarocho ein Mann aus der mexikanischen Region Veracruz und Llanero ein Bewohner der Orinoco-Ebene in Kolumbien und Venezuela. Einige Musiktitel, die Savall und seine Mistreiter in spanischen oder mexikanischen Archiven ausgegraben haben, sind im Programmablauf mit exakter Quellenangabe aufgeführt, aber darüber hinaus erfährt man nichts. Liedtexte fehlen, Teile der abgedruckten Texte werden nicht gesungen. Keines der verwendeten exotischen Instrumente wird erklärt; nur die kleinste und die größte Gitarre („Mosquito“ und „Leone“) stellt Savall vor der Zugabe selbst vor. Auf der Bühne allerdings tobt das pralle Leben. Instrumentale und vokale Musik in kleiner und größerer Besetzung wechseln sich ab, und zu mitreißenden synkiopierenden Rhythmen gibt es teils elegante, teil witzige Tanzeinlagen von Donají Esperanza und Ivan García. Wie all dies ebenso vergnügt wie reibungslos abläuft, ist bewundernswert.

Reibungslosigkeit

Aber gerade in dieser Reibungslosigkeit liegt auch ein Problem. Es wird nämlich nicht sichtbar, welche Arbeit und Anstrengung es Savall und seine Mitstreiter gekostet hat, das über verschiedene Traditionen Verstreute zusammenzusuchen und auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen; es ist kaum vorstellbar, dass dies ganz ohne Reibungen abging. So liegt nun aber über den drei Programmen eine fast unwirkliche Aura von Weltenharmonie. Interkulturelles Verständnis will jedoch auch erarbeitet sein; neben emotionaler Ausstrahlung bedarf es da faktischen Wissens und rationaler Durchdringung. Über die musikalische Machart der einzelnen Titel, über ihre kulturelle, religiöse oder gesellschaftliche Bedeutung im einzelnen erfährt man indessen fast nichts. Unten, am Tresen in der Eingangshalle der Alten Oper, gibt es zwar Jordi Savalls Bücher mit Hörbeispielen zu kaufen – aber eingeschweißt; das heißt, man kann nicht mal einen neugierigen Blick hinein tun. Einladend ist das nicht. Nun kann man einem verdienten Künstler und musikwissenschaftlichen Pionier wie dem 75-jährigen Jordi Savall wohl kaum mehr ein anderes Auftrittskonzept abverlangen. Für die nahe Zukunft allerdings braucht es wohl Programme, die das Publikum nicht nur zur Bewunderung, sondern auch zum Mit-Denken und Mit-Entdecken einladen.

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