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Ein Festival auf der Suche nach dem anderen Amerika

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Das 10. Kölner Forum neuer Musik beschäftigt sich vom 3. bis 5. April 2009 mit Lateinamerika
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Seit dem Frühjahr 2000 präsentiert sich der Deutschlandfunk mit seinem „Forum Neuer Musik“ als Förderer und Produzent aktuellen zeitgenössischen Komponierens vor allem der mittleren und der jungen Generation. Die Statistik resümiert 40 Kompositionsaufträge und mehr als 100 Ur- und Erstaufführungen. Das alljährliche Werkstattfestival im hauseigenen Kammermusiksaal hat sich zu einem internationalen Podium entwickelt – nicht zuletzt ob der thematischen Erkundungsarbeit, die unter anderem auf Begegnungen mit fremden Komponierwelten hinzielt. Im Vorfeld der Jubiläumsausgabe sprach nmz-Chefredakteur Andreas Kolb mit dem Leiter des „Forums“, Frank Kämpfer.

neue musikzeitung: Das „Forum“ wird zehn Jahre alt. Hat es sich als Kölner Institution etabliert, hat man als Festivalmacher noch immer ein Aufbruchsgefühl?

Frank Kämpfer: Wenn man nicht jedes Jahr neu über die Grenze des Bisherigen zu gehen vermag, ist man nicht mehr unterwegs. Zugleich muss man real einschätzen können, was unter den einem gegebenen Konditionen verantwortbar, das heißt umsetzbar, ist. Bisher ist das „Forum“ Jahr um Jahr gewachsen, das spricht für sich. Was wir veranstalten, ist DLF-gemäß immer deutschlandweit angelegt, aber stets auch ein Angebot für das Publikum der Region. Die städtische Komponierszene ist regelmäßig vertreten – ich denke an sehr gelungene Abende mit Klarenz Barlow, Maria de Alvear, mit der musikFabrik. In diesem Jahr spielt der in Köln lebende Chilene Ramón Gorigoitia eine wichtige Rolle. Dazu kommt eine Partnerschaft mit der Hochschule für Musik und Tanz – sie ist 2009 Gastgeber eines zweitägigen Symposiums, das die Konzerte im Funkhaus mit Workshops und Diskussionen vertieft.

nmz: Das Jubiläumsfestival blickt nach Amerika. Wohlgemerkt, in „ein anderes Amerika“ – was ist darunter zu verstehen?

Kämpfer: Wenn wir hier von Amerika reden, meinen wir immer die Vereinigten Staaten, nicht Mexiko, nicht Brasilien, nicht einmal Kanada. Dieses Ausblenden ist wie ein später Nachhall der Eroberungs- und Kolonialisierungsgeschichte. Es reicht bis zu dem Punkt, an dem wir ignorieren, dass es in Lateinamerika nach dem Ende der Diktaturen heute eine Reihe von neuen gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Ideen und Aufbrüchen gibt. Angesichts des nahenden Bicentenario – den 2011 beginnenden 200-jährigen Unabhängigkeitsjubiläen – beginnt man außerdem vielerorts in den Spiegel zu schauen und Fragen zu stellen: Warum haben wir eine so blutige Geschichte, was ist von unseren alten Hochkulturen geblieben, welche anderen Potenziale haben wir möglicherweise als der von Krisen geschüttelte Westen. Musik spielt eine nicht geringe Rolle dabei, deshalb ist diese kontinentweite kulturelle Selbstreflektion ein Bezugspunkt auch für unser Forum.

nmz: Worin unterscheidet sich Ihrer Meinung nach Neue Musik aus Lateinamerika von der in Mitteleuropa?

Kämpfer: Die Lateinamerikaner, die in Europa studierten, beherrschen ihr Handwerk auf internationalem Niveau. Zudem entstammen sie Musikkulturen, die wir hier gar nicht kennen. Sich dieser primären Prägung zu vergewissern, sie in Relation zum Erlernten zu bringen und die eigene künstlerische Handschrift im Brückenschlag zwischen beidem entwickeln zu können, sehe ich als ein besonderes Potenzial, übrigens auch musikgeschichtlich betrachtet. Anstelle kompositionstechnischer Doktrinen wurde in Latein-amerika schon immer ästhetische Vielfalt favorisiert. Das dritte ist die Frage nach Funktion und Öffentlichkeit. Die hiesige Avantgarde existiert auf Spezialfestivals und hat sich gegenüber der Gesellschaft lange verschlossen – in den Megastädten südlich des Rio Grande wird Komponieren heute ganz sicher nicht so gefördert wie hier, aber es gibt ein enormes Interesse der Öffentlichkeit.

nmz: Was genau ist beim „Forum Neuer Musik“ in Köln zu erwarten?

Kämpfer: Unsere Konzerte führen zu den Schwerpunktorten Santiago de Chile, Mexiko City, Rio de Janeiro und Buenos Aires. Von dort kommen oder stammen Komponistinnen und Komponisten, die beim Symposium persönlich auch Rede und Antwort stehen werden. Das chilenische Ensamble Antara musiziert auf indianischen Instrumenten aus der Andenregion. Aventure aus Freiburg konzentriert sich auf die Region am Rio de la Plata, Intégrales aus Hamburg stellt die junge Generation Mexikos vor. Es gibt sehr energiegeladene Partituren, eigenartige Idiome und Formen. Tato Taborda aus Rio mit seiner Klangmaschine „Geralda“ und die in Berlin ansässige Argentinierin Ana Maria Rodriguez agieren im Bereich elektroakustischer Kunst. An sie sowie an Boris Alvarado, Georgina Derbez, Ramón Gorigoitia und Chico Mello hat der Deutschlandfunk eigens Kompositionsaufträge vergeben.

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