Dresden darf stolz sein: Staatsoperette und Theater Junge Generation sind endlich gerettet und arbeiten jetzt unter einem Dach. „Freunde, die Zukunft hat begonnen!“ Zündende Worte wie ein Feuerwerk – damit sollten gewaltige Türen aufgestoßen werden, hinter denen sich epochale Veränderungen auftun. „Freunde, die Zukunft hat begonnen!“ Nach diesem Satz fällt ganz gewiss kein Vorhang, da geht die Chose doch erst richtig los. Oder nicht?
Nach Jahren, nein, Jahrzehnten einer Vergangenheit, die meist kaum über den kalendarischen Tellerrand zu schauen wagte, haben in Dresden gleich zwei Theater neue Spielstätten bekommen. Die Staatsoperette (deren Name etwas missverständlich ist, da kein Staat, sondern die Kommune im sächsischen Elbtal ihr Träger ist) und das Theater Junge Generation (kurz tjg, das Kinder- und Jugendtheater Dresdens) konnten aus maroden Spielstätten an entgegengesetzten Vororten in die Mitte der Stadt ziehen. Das aus dem Jahr 1920 stammende Heizkraftwerk, längst stillgelegt und als Industriearchitektur unter Denkmalschutz gestellt, ist nun die neue Heimstatt für beide Theater.
Sie haben Solitärfunktion, sind einzigartig in der deutschen Bühnenlandschaft, die beiden erfolgreich eigenständigen Theater. Mehrfach standen sie am Scheideweg und waren von Schließung bedroht, sind nun aber am gemeinsamen Ort vereint und würden es künftigen Streichpolitikeristen schon mächtig schwer machen, wenn die ihnen am Zeug flicken wollten.
In den bisherigen Quartieren gab es zuletzt nur mehr baupolizeilich befristete Genehmigungen für den Spielbetrieb. Für die Ensembles und deren Stammpublikum sind das echte Herausforderungen gewesen, die nun aber als gemeistert gelten dürfen. Denn mit einem relativ knappen Votum des Stadtrats, kräftigen Zugeständnissen der Betroffenen sowie Baukosten von knapp 100 Millionen Euro wurden Voraussetzungen für ein neues Geviert geschaffen, das den Titel „Kulturkraftwerk“ lediglich aus Gründen des Namensrechts nicht tragen darf. Es hätte wunderbar energetische Wortspiele ergeben. Nun heißt es eben, nicht weniger stolz, „Kraftwerk Mitte“. Die Nähe zum Stadtzentrum, zu Semperoper, Staatsschauspiel und Musikhochschule sollte in der Zukunft, die nun begonnen hat, unbedingt förderlich wirken.
„Eine neue Ära“
Es gab eine Abmachung für dieses Kraftwerk, und die Abmachung war so: Mit einem Haustarifvertrag verzichten die Mitglieder der Staatsoperette anteilig auf ihren Lohn und finanzieren sich so ihre neue Spielstätte, sprich ihren Arbeitsplatz. Bis zum Jahr 2021 wird deren Einkommen jährlich um acht Prozent reduziert.
Gut, es gibt Automobilhersteller in Land, die ihre Belegschaft aufgrund der regelmäßigen Gewinnsituation Jahr um Jahr mit einer fünfstelligen Prämie bedenken. Wo Spitzenerzeugnisse für eine Elite produziert werden, käme niemand auf die Idee, für den Erhalt der Betriebsstätte auf Lohn zu verzichten. Aber das nur am Rande …
Die Damen und Herren der Staatsoperette haben verzichtet und werden noch weiter verzichten. Ein vereinbartes Ultimatum nämlich ist eingehalten worden, die Eröffnung ihrer neuen Spielstätte noch vor dem Ende des Jahres 2016. Gut zwei Wochen später, und die Stadt hätte eine ganze Menge Geld zurückzahlen müssen.
Nun aber hofft sie auf kräftig sprudelnde Einnahmen durch Eintrittskarten und bundesweiten Kartenvertrieb; die Magnetwirkung der neuen Adresse in dieser mächtig in Verruf geratenen Kunst- und Kulturstadt soll weit über die Region hinaus strahlen. Noch eine Randbemerkung: Dresden will im Jahr 2025 Kulturhauptstadt Europas werden. Zukunft, komm’ und beginne.
Den künstlerischen Auftakt zum zumindest äußerlich nicht sehr futuristischen Kraftwerk Mitte – es herrscht ein Nebeneinander von Industrieambiente und Moderne – setzte Mitte Dezember ein Festakt. Erstmals firmierten da tjg und Staatsoperette unter einem Dach und auf gemeinsamer Bühne. Neben leidlichen Politikerreden, in denen ein Kommunalpolitiker immerhin unter Beweis stellen konnte, dass er oder sein Redenschreiber mal Hesse gelesen hat -–– „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne …“ –, gab es ein Potpourri der beiden Ensembles, das durchweg nach Abschied klang, aber nicht nach Inbesitznahme einer neuen Spielstätte. Freilich kann sich das Operettenorchester nun nicht mehr hinter der dumpfen Akustik seiner früheren Heimat verstecken. Der neue, 700 Plätze bietende Saal klingt bestens, transportiert aber auch jeden Patzer in den Raum. Diesbezüglich hinterließ die Gala vor geladenen Gästen bereits einen äußerst diffusen Eindruck.
Der eigentliche Zukunftsbeginn von „Dresdens neuer Mitte“ ging aber erst mit den öffentlichen Vorstellungen über die Bühne. Da sollten Neuproduktionen das Maß markieren, das Publikumsinteresse daran war enorm. Nichts weniger als „eine neue Ära“ wurde nach vollmundigen Ankündigungen erwartet.
Erst Operette, dann Musical: So klingt Gehaltsverzicht
Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ als Eröffnungspremiere anzusetzen, das war dramaturgisch eine sehr gute Wahl. Schon die Partitur bebt vor Erotik, die Eskapaden um Götter- und Menschen- und Unterwelt lässt zahllose Anspielungen zu, die Figur der Öffentlichen Meinung schreit geradezu nach aktuellen Bezügen.
Nichts, aber auch gar nichts davon in Dresden, wo Andreas Schüller uninspiriert brav durch das Stück gewinkt hatte, das dadurch plötzlich unerträglich langatmig erschien, wo Arne Böge einfallslos dröge inszenierte und wohl auf die optische Wirkung der Ausstatter-Agentur namens Fettfilm vertraute. Der sehr videolastige Abend konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Personenführung gründlich misslang, weil sie kaum stattfand. Bissige Satire? Fehlanzeige. Banale Klamotte war das Resultat. Zahlreiche Bilder wurden eingeblendet, von Vincent van Gogh bis Andy Warhol, aber nichts blieb im Rahmen. Trauriger Tiefpunkt war das leidenschaftsfreie Werben von Göttervater Jupiter in Gestalt einer Fliege um die nach Leidenschaft gierende Eurydike. Da gab es nicht nur null Sexappeal, da hat nicht mal irgendetwas geknistert.
Und die Musik, von der drögen Orchesterführung mal abgesehen? Eine altbacken wirkende Hausbesetzung, hier und da Ausrutscher nach oben und unten – da hat sich ein ganz schlimmer Verdacht aufgedrängt: So klingt Gehaltsverzicht.
Nachdem dieser „Renner“ ins Abseits bugsiert worden ist, sollte mit einem vergleichsweise unbekannten Stück gegengesteuert werden. Eine Entdeckung war „Wonderful Town“ von Leonard Bernstein allerdings nicht, nur die erneute Einsicht, dass dieses Stück mit einigem Grund kaum allzu oft auf die Bühnen gelangt. Zwei Provinzpflanzen erobern darin „die Stadt, die niemals schläft“. Garniert mit flachen Dialogen und absehbaren Pointen sowie mit einer wenig aufregenden Musik - da war selbst durch das enorme Engagement des singenden, tanzenden und spielenden Ensembles nichts mehr zu retten. Schon gar nicht der großspurige Anspruch: „Bernsteins Hommage an seine Stadt New York ist unsere Hommage an Dresden“.
„Freunde, die Zukunft hat begonnen!“ – Im Festakt zur Eröffnung gab es nach diesen Worten eine Art Tischfeuerwerk, gleich darauf fiel der Vorhang. Wenn das mal kein Omen war. Nach einem solchen Postulat muss der Vorhang doch aufgehen, müssen die Damen und Herren im Zuschauerraum mitgerissen werden! Ein Schwung, der von den ersten Neuproduktionen hätte weitergereicht werden müssen. Doch nichts dergleichen in Dresden.