Der seit Ende der 50er mit Darmstadt verbundene Klaus Zehelein behandelte in seinem Eröffnungsvortrag die Entwicklung Luigi Nonos, zu dessen Verständnis er als Operndirektor und Intendant in Frankfurt und Stuttgart entscheidend beigetragen hat. An „Intolleranza 1960“ hob er Nonos nicht-deterministisches, Benjamin und Gram-sci angenähertes Geschichtsverständnis hervor. Gedächtnis erscheint darin als „gegenwärtige Gravur“, konkret als Tendenz zur Schichtung des Materials, das eine Gleichzeitigkeit der historischen Orte und Zeiten evoziert. Das Scheitern revolutionärer Bemühungen, von Nono in den 70er-Jahren in „Al gran sole carico d’amore“ thematisiert, deutete Klaus Zehelein in Kontinuität mit „Intolleranza 1960“ als Vergegenwärtigung des Vergessenen, die Frauengestalten des Werks stehen für den ausgeblendeten Teil der Geschichte.
Unter dem Titel „Klang und Wahrnehmung“ ging die diesjährige Arbeitstagung des Darmstädter Instituts für Neue Musik und Musikerziehung den komplexen Wechselbeziehungen zwischen Komponisten, Interpreten und Hörern nach, wie sie sich vor allem in der Neuen Musik und der Klangkunst herausgebildet haben. Dem Facettenreichtum des Themas entsprach ein Tagungsprogramm, das von Analyseforen über Komponistenporträts bis hin zu schulpraktischen Übungen reichte. Der seit Ende der 50er mit Darmstadt verbundene Klaus Zehelein behandelte in seinem Eröffnungsvortrag die Entwicklung Luigi Nonos, zu dessen Verständnis er als Operndirektor und Intendant in Frankfurt und Stuttgart entscheidend beigetragen hat. An „Intolleranza 1960“ hob er Nonos nicht-deterministisches, Benjamin und Gram-sci angenähertes Geschichtsverständnis hervor. Gedächtnis erscheint darin als „gegenwärtige Gravur“, konkret als Tendenz zur Schichtung des Materials, das eine Gleichzeitigkeit der historischen Orte und Zeiten evoziert. Das Scheitern revolutionärer Bemühungen, von Nono in den 70er-Jahren in „Al gran sole carico d’amore“ thematisiert, deutete Klaus Zehelein in Kontinuität mit „Intolleranza 1960“ als Vergegenwärtigung des Vergessenen, die Frauengestalten des Werks stehen für den ausgeblendeten Teil der Geschichte. Aktives VergessenAn Nonos Spätwerk erörterte Zehelein demgegenüber die Möglichkeit aktiven Vergessens, wie es auch in jüngeren Werken von Wolfgang Rihm Thema ist. Der Frage nach Klang und Wahrnehmung bei Nono ging er vor allem im Kontext der Frage nach dem Schicksal der Repräsentation nach, unter anderem an jenem von Nono angeführten doppeldeutigen Verhältnis, in dem wir stehen, wenn wir vom Hörraum Besitz ergreifen und uns von ihm in Besitz nehmen lassen, einer Raumklangerfahrung wie im „Prometeo“, die die Grenzen zwischen Innen und Außen überspielt.
Dem Vortrag schlossen sich Analyseforen an, die das Werk Nonos im Detail beleuchteten sowie ein Konzert, in dem Bernhard Wambach Nonos „... sofferte onde serene ...“ für Klavier und Tonband zur Aufführung brachte. Bei der vieldiskutierten Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in Nonos Schaffen hätte die Spezifik der italienischen Situation in den 70er- und 80er-Jahren sowie die besondere Rolle des Künstlers und Intellektuellen darin insgesamt mehr Aufmerksamkeit verdient gehabt.
Eine theoretische Klammer um die Tagung bildete das Forum Ästhetik, in das der Philosoph Gernot Böhme mit seinem Vortrag über „Akustische Atmosphären“ einleitete. Böhmes Überlegungen standen in engem Zusammenhang mit einer allgemeineren Ästhetik der Atmosphären, die er seit einigen Jahren entwickelt. Ausgangspunkt war hier eine naturästhetische Fragestellung, in der die enge, gewissermaßen toxikologische Auffassung von Ökologie zugunsten einer Konzeption überwunden werden sollte, die auch weniger greifbare Umgebungsqualitäten in ihre Betrachtung miteinbezog, unter anderem solche von Klang und Geräusch.
Die atmosphärische Betrachtungsweise interessiert sich im Unterschied zur kruden Dingontologie für den Bereich des „Zwischen“, für etwas, das zwischen Subjekt und Objekt steht und doch beides umfasst und zusammenschließt, mithin für Wahrnehmungsphänomene, denen auch der späte Nono nachging.
Im Anschluss an leibphänomenologische Überlegungen geht die Atmosphärenästhetik den akustischen Erscheinungen vor allem als Modifikationen des Raums der leiblichen Anwesenheit nach, ein Raum, der weder mit den Körpergrenzen im engeren Sinne noch mit dem realen Raum der Gegenstände zusammenfällt, sondern erst von den Klängen und Geräuschen modelliert wird. Eine Topologie des Innen und Außen zur Erfassung entsprechender Wahrnehmungen erscheint Böhme wenig hilfreich, da sie Grenzziehungen eines distanzierenden Hörens stets schon mitunterstellt. Interessant wäre es, den Distanzierungsmodi, die hier ins Spiel kommen, näher nachzugehen – ein Unterfangen, das wohl auf eine Stufung der Höreindrücke im Übergangsbereich zwischen Präreflexivem und Reflexivem führte.
In der angeregten Diskussion, die sich anschloss, fragte Helga de la Motte-Haber nach den Grenzen zwischen Kunst und Nichtkunst im Rahmen der Atmosphärenästhetik, wobei unter anderem das Zeigen zur Sprache kam, das als eine Art Restintentionalität im künstlerischen Prozess vielerorts die Stelle des herkömmlichen Produzierens eingenommen hat.
Der Verschiebung ästhetischer Wertschätzungen von der Produktion hin zur Wahrnehmung ging auch die Berliner Musik- und Kulturwissenschaftlerin Sabine Sanio nach. Unter dem Titel „Subjekt und Situation“ erörterte sie detailliert die Implikationen dieses Perspektivenwechsels, ohne ihm jedoch die vom Titel naheliegende existenzphilosophische Deutung zu geben. Bezugspunkt waren vielmehr Positionen der Gegenwartsästhetik, von denen her sich aufschlussreiche Hinweise zur Interpretation des Wandels ergaben.
Der Wahrnehmung von Musik im Hinblick auf die unterschiedlichen Hörwelten von Publikum und Musikern ging schließlich Wolfram Knauer, Leiter des Darmstädter Jazzinstituts, nach. An der Entwicklung des Jazz von einer Volks- zu einer Kunstmusik skizzierte er verschiedene Formen von Partizipation und Distanzierung in der musikalischen Wahrnehmung und deren Auswirkungen auf den Jazz.
Akustische Reinigung
Einen Höhepunkt im musikalischen Rahmenprogramm bildete die Aufführung von Morton Feldmans „Violin and String Quartet“. Das Pellegrini-Quartett und Peter Rundel, zur Zeit mit einer CD-Einspielung des Stücks beschäftigt, brachten das mehr als zweistündige Werk in der Moderne-Sammlung des Hessischen Landesmuseums zu Gehör. Gut herausgearbeitet die Verschiebungen der Atmosphären, die Feldman selbst als ein wesentliches Kennzeichen seiner Musik bezeichnet hat.
Wunderbar auch die in minimalster Kontrapunktik gegen den homogenen Quartettklang gesetzten Flageolettdissonanzen der Solovioline. Immer wieder entstand der Eindruck einer akustischen Reinigungsprozedur, die auf die im Kongress angesprochenen neuen Wahrnehmungsweisen von Musik und Klang hinführte. Feldmans Freisetzung der Klänge aus dem zeitlich-linearen Zusammenhang ermöglicht nicht nur eine ungeahnte Frische des Höreindrucks über die Dauer hinweg, sondern führte am Aufführungsort auch zu einem wie aus dem semantischen Verweisungsnetz befreiten „ersten Blick“ auf die das Konzert einrahmenden Bildwerke des 20. Jahrhunderts.