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„Das Kind der Seehundfrau“. Foto: © Hagen König
„Das Kind der Seehundfrau“. Foto: © Hagen König
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Ein Teufel ohne Haare und eine Seehundfrau mit Menschenkind

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Alle Jahre wieder – „Frau Holle“ nebst „Hänsel und Gretel“? Nein, es gibt auch neueres Kindertheater, das gerade zum Jahresausklang für glänzende Augen und ein fasziniertes Publikum sorgt. Zwei Beispiele aus Sachsen.

Worin stimmt das Theaterrepertoire für erwachsenes Publikum mit dem für den Nachwuchs oft überein? In der Tatsache, dass vor allem Stücke aus dem sogenannten Erbe aufgeführt werden. Zeitgenössische Werke haben es hier wie da schwer. Noch bevor die Publikumsgunst überhaupt gefragt ist, scheitert das Neue oft schon am mangelnden Mut zum Risiko seitens der Veranstalter.

Es gibt aber Lichtblicke an so manchem ambitionierteren Haus – auch für das Kinder- und Jugendtheater! In und bei Dresden kamen jüngst zwei Arbeiten für Musiktheater heraus, die nicht nur zur Vorweihnachtszeit eine spannende Ergänzung des üblichen Angebots sein könnten. So hat die Sächsische Staatsoper Dresden in ihrer kleinen Spielstätte Semper 2 frei nach dem gleichnamigen Märchen der Brüder Grimm „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ gezeigt, die Landesbühnen Sachsen mit Hauptsitz in Radebeul touren ab sofort mit der auf einem alten Inuit-Märchen basierenden Produktion „Das Kind der Seehundfrau“ durch die Gegend. Zweimal je eine gute Stunde Musiktheater – und es müsste in beiden Fällen mit dem sprichwörtlichen Teufel zugehen, wenn diese Stücke nicht kräftigen Zulauf fänden.

In beiden Premieren gab es ein aufmerksames und mitgehendes Publikum, das bald schon begeistert wirkte. Theaterbegeistert! In Dresden hieß es von Seiten der Zielgruppe: „Toll, wie der Teufel mit einem Schlaflied ausgetrickst wurde.“ – „Das Skelett sah voll cool aus!“ – „Die Großmutter vom Teufel war super.“ - „Der Teufel hat immer so geklatscht und getanzt, das sah lustig aus.“ – „Die Prinzessin war sooo schön!“

Die kleinsten unter den Knirpsen und Möchtegern-Prinzessinnen kuschelten sich in spannendsten Szenen möglichst nah an ihre Eltern. Die größeren zeigten sich „cooler“ und lachten noch, als der Teufel selbst im Saal Menschenfleisch witterte. Doch bis dahin wusste man ja schon, wie der Satan besiegt werden kann – eben mit einem Schlaflied!

Die Kinderoper „Der Teufel mit den drei goldenen Haaren“ kam erst im vorigen Jahr an der Staatsoper Hannover heraus und wurde vom 1984 geborenen Komponisten Stefan Johannes Hanke verfasst. Der war einst Schüler von Manfred Trojahn und Heinz Winbeck, er hat das bekannte Märchen (daher?) mit einer recht ambitionierten, das Geschehen mal illustrierenden, mal aber auch distanziert brechenden Musik versehen. Kindliche Hörgewohnheiten? – hatten damit überhaupt kein Problem. Eher schon mit dem recht laut auffahrenden Instrumentarium, das die Sänger-Darsteller stellenweise bis zur Unverständlichkeit zudeckte. Aber die mehr kammermusikalischen Klänge haben auch Witz bewiesen, sorgten für Hörbilder, Stimmung und Tempo. Unter der musikalischen Leitung von Ekkehard Klemm, dem Rektor der Dresdner Musikhochschule, ging ein junges, eigens hierfür zusammengestelltes Ensemble mit dem beziehungsreichen Namen „Des Teufels Großmutter“ sehr beherzt und mit großem Engagement an die Sache.

Neun Sängerinnen und Sänger aus dem Jungen Ensemble beziehungsweise von der Komparserie der Semperoper sind angetreten. Als Glückskind hüpfte Julia Mintzer so unbeschwert wie lustvoll durch das Geschehen und himmelte nachvollziehbarerweise  Emily Dorn als Prinzessin an. Doch ehe aus den beiden ein Paar werden kann, musste der geldgierige König (Hanns-Jörn Weber als Gast vom Staatsschauspiel) und der dreihaarige Teufel (Julian Arsenault) überlistet werden. Wer ohne Angst ist, bewältigt derlei Herausforderungen, als wäre es ein Spiel.

Die einstige Probebühne Semper 2 erwies sich dank der originellen Ausstattungsideen von Jee Hyun Kim und Kattrin Michel höchst wandelbar und gestattete märchenhafte Nähe zum Suppentopf ebenso wie die Ferne zu Fährmann und Hölle. Ein Stück wie geschaffen für Glückskinder mit glänzenden Augen. Es muss also nicht immer eine Weihnachtsgeschichte sein.

Herzerwärmend in eisiger Atmosphäre

Dasselbe gilt auch für die quasi als Uraufführung herausgekommene Offerte an den Landesbühnen Sachsen. Denn das auf Grundlage eines alten Inuit-Märchens entstandene Musiktheaterstück „Das Kind der Seehundfrau“, dessen Textfassung die Niederländerin Sophie Kassies erstellte, wird hier mit zum Teil neuer Musik von Jan Heinke gegeben. Der Mann ist Mitglied des Dresdner Stahlquartetts, einem Ensemble metallischer Instrumente mit dem Hang zu ungewöhnlichen Klangräumen; er musizierte hier am Stahlcello und verband sich mit Thomas Tuchscherer an der Celesta und dem Schlagzeuger Demian Kappenstein zu einem geradezu eisig klingenden Trio. Aus der Musik tönte ein Frösteln, das Knirschen von Schnee und das Bersten des Eises, gemixt mit Robbenlauten und jeder Menge kühler Atmosphäre. Eindrucksvoll stand dieses Instrumentarium auf der Bühne, große Teile des Schlagwerks stammten von Schrottfunden.

Ansonsten war das Zusammenwirken von Sprech- und Musiktheater allein auf einem großen, grauen Tuch gebettet. Die Landesbühnen müssen erstens viele Spielstätten bedienen und zweitens sowieso sparen, aus dieser Not wurde von Ausstatterin Irina Steiner eine Tugend gemacht. Und umso mehr dürfte die Fantasie des jungen Publikums angeregt worden sein. Am Nikolaustag strömten mehrere Schulklassen zur Inuit-Geschichte, die unaufdringlich aufklärend wirkte und auf den richtigen Sprachgebrauch Inuit verwies. Trotz frostiger Stimmung und musikalischer Orkanböen gelang eine herzerwärmende Geschichte. „Das Kind der Seehundfrau“ entstand aus der Verbindung von einem einsamen Mann, der sein Leben mit dem Fischfang verbringt, mit einer für sieben Jahre aus ihrem Fell geschlüpften Robbe. Nachdem er vom Leben tatsächlich schon nichts mehr zu erwarten schien, sieht er plötzlich mitten im Eis nackte Frauen tanzen! Fröhliche Robben, die ihre Felle abgelegt haben. Der schönsten nimmt er das Fell weg, sie bleibt Frau, die zwei werden ein Paar und bekommen einen Sohn, Oruk.

So viel Glück! Als schwarzer Schatten darüber die sieben Jahre. Sonst muss die Seehundfrau sterben. Der Mann aber will seine Liebste behalten. Mit kindlichem Weitblick hilft Oruk, denn er versteht, dass es seine Mutter zu den Ihren zieht.

Die Inszenierung von Klaus-Peter Fischer, dem Junges-Studio-Leiter der Landesbühnen, gelang sowohl spannende als auch melancholisch, vor allem jedoch sehr poetisch. Zwei Darsteller genügen – die Sängerin Stephanie Krone und der Schauspieler Grian Duesberg –, um Mutter, Vater und Kind sowie noch einige Personen der Rahmenhandlung zu spielen. Ab und zu kommentieren auch mal die drei Musiker das Geschehen.

Deftig schön gelang das Liebesspiel von Frau und Mann, ein Beweis, dass vermeintlich anzügliche Themen auch kindgerecht umgesetzt werden können. Auch traurige Momente wurden nicht überspannt, nicht verniedlicht. Auf dem Bühnentuch genügten drei unterschiedlich große Stühle, um Eltern und Kind zu charakterisieren, mal Kajak, mal Eisberg zu sein. Die sinnliche Spielfreude von Duesberg und Krone kam beim jungen wie auch beim etwas älteren Premierenpublikum bestens an. Spartenübergreifende Fantasieanregung pur!

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