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Ein Triumph der leisen Töne

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17. Musik-Biennale Berlin beendet ihr Projekt der deutsch-deutschen Retrospektive
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Die Neue Musik ist salonfähig geworden. Sie wird nachgefragt von einem gar nicht so kleinen, relativ jungen Publikum auf der Suche nach spielerischen Anregungen oder sogar dem verrückten Kick. Sie ist unterhaltsam – auch mit der Esoterik kennt man sich inzwischen aus – und hat ihre Stars genauso wie die Pop- und Klassik-Szene. Sie macht ganz einfach Spaß. Das suggerierte zumindest die 17. Musik-Biennale Berlin: mit einem Aufgebot hochkarätiger Interpreten, handwerklich hervorragend gemachten Stücken, von der Lust am schönen Klang, auch vom Drang zum großen Orchester geprägt, und etwa 15.000 Besuchern in zum Teil ausverkauften Konzerten.

Symptomatisch war das Eröffnungskonzert: dazu bequemten sich tatsächlich die saturierten, der schlecht verkäuflichen Neutönerei sonst so ablehnend gegenüberstehenden Berliner Philharmoniker. Unter der wieder einmal unbestechlich präzisen Leitung von Peter Eötvös warfen sie sich mit Verve auf das hochvirtuose Klarinettenkonzert „à travers“ von Hanspeter Kyburz, eine ausgewogen gebaute und trotzdem klangsinnliche Musik. Nicht weniger brillant Harrison Birtwistles „Earth Dances“ (1986), die Strawinskys „Sacre“ pfiffig-komplex weiterspinnen – am Ende des Jahrhunderts scheint man kaum anders zu komponieren als am Anfang. Da waren die ausgedünnten, sich schmerzlich an ihren Enden windenden Unisono-Klangbänder von Wolfgang Rihms Vertonung drei später Heiner-Müller-Gedichte fast schon wieder Provokation, mit ihrer altmeisterlich-brahmsischen Instrumentation auf all die schönen neuen bunten Klänge verzichtend: „Die Gefühle sind von gestern. Gedacht wird nichts Neues“. Zum letzten Mal widmete sich das „internationale Fest für zeitgenössische Musik“ der Konfrontation eines Jahrzehnts der nach 1945 politisch geteilten Musikgeschichte mit brandneuen Werken. Die 80er Jahre fühlen kurz vor dem Mauerfall bereits zu den Gemeinsamkeiten, zum wechselseitigen Austausch vor, und so zeigte sich nur noch weniges von der Ost-West-Spannung, ihren inhaltlichen Auseinandersetzungen, geprägt. Friedrich Schenkers Orchesterballade „Fanal Spanien“ (1982) begräbt „Liedgut“ des spanischen Bürgerkriegs unter heranschnaubenden Klanglawinen, haute damit den DDR-Parteioberen die bestellte Beschönigung um die Ohren. Lebendiger wirkt dieses Werk heute als etwa die 7. Sinfonie von Hans Werner Henze, welche unterschwellige Ängste (Nato-Doppelbeschluß!) mit allzu ewigkeitssüchtiger, irisierend-ausziselierter Polyphonie befrachtet. Mathias Spahlinger stößt mit seinem Klavierkonzert „inter-mezzo“ – erstmals seit der Uraufführung 1988 wieder zu hören! – auf reizvoll-verstörende Weise zu neuen Ebenen individuellen Aushandelns zwischen den „Kontrahenten“ vor; spielerisch und keineswegs „verweigernd“ gibt sich auch Helmut Lachenmann mit dem umwerfenden Tuba-Konzert „Harmonica“. Neben dieser sich in den 80ern zum Höchstmaß steigernden Klangfarbenkunst – auch im Osten eindrucksvoll belegt durch „Chain 3“ von Witold Lutoslawski – war ihre Negation als „Musik der Stille“ im Werk Morton Feldmans und Luigi Nonos nachzuvollziehen. Nonos „An Diotima“ wurde bewegender Höhepunkt der drei fantastisch gebauten Programme des Arditti-Quartetts, das mit der spröden Gattung scharenweise junges Publikum anlockte. „Caminantes – Ayacucho“, in äußerster Sensibilität interpretiert vom Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Arturo Tamayo, mit der in weite, ortlose Klangräume versetzenden Elektronik-Realisation des SWR-Studios Freiburg ist immer noch zukunftsweisend. Das bestätigte sich in den Uraufführungen: während Stefan Winklers poppiger „comic strip“ im alles verschlingenden beat untergeht, der 24jährige Zender-Schüler Hans Thomalla mit „Rauschen“ alle Jugendprobleme dieser Welt zum Pathos der Beliebigkeit aufbauscht, Karin Haußmann, Georg Haas und Rebecca Saunders mit akribischen Klangtüfteleien langweilen, triumphieren die leisen, zum Lauschen herausfordernden Töne. Allen voran das Sextett für Streicher und Holzbläser von Stefan Streich, das in strengen Gegenüberstellungen das Ohr auch dem tiefsten Schweigen öffnet, dicht gefolgt von Volker Staubs Inventio-nen für resonanz- und obertonreiche Baumstämme sowie Juliane Kleins vielschichtiger Kommunikationsübung „Aufriß“. Obwohl Carola Bauckholt ebenfalls wirkungsvoll an der Ästhetik des Raschelns und Knisterns, noch dazu im frauenfreundlichen Alltagskontext, anknüpft, verläppert sich ihr szenisches Spiel „Es wird sich zeigen...“ im Belanglosen. Poesie, Phantasie, Originalität bleibt dem Ensemblestück „La chambre claire“ der Japanerin Misato Mochizuki vorbehalten, die durchaus als Entdeckung jenseits schon leicht ausgetretener Pfade des Landsmannes Hosokawa angesehen werden kann.

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