Es ist ein drastisches Bild, mit dem Lukas Hemleb die Zuschauer seiner Kieler Inszenierung von Giacomo Meyerbeers „Les Huguenots“ entließ (Premiere: 24. September 2016), eine wörtlich umgesetzte „Pariser Bluthochzeit“, wie das Massaker der Katholiken an den Hugenotten in der Bartholomäusnacht 1572 auch genannt wird. Die Verfolgten torkeln herein, teils entblößt, brechen zusammen, werden vergewaltigt oder nach kurzer Prüfung, ob ein Rest Leben vorhanden ist, endgültig abgestochen. Leichen, auf einer Schlachtbank aufgereiht, werden hereingezurrt. Schließlich ist die Szene über und über mit blutigen Körpern bedeckt.
Die Schlächter, bis zuletzt unversöhnlich, leben ihren Triumph aus, auch nachdem ihrem Anführer, dem Grafen von Saint-Bris, bewusst wird, dass seine eigene Tochter unter den Opfern ist. Selbst Marguerite von Valois, Schwester des Königs Karl IX. und wie der um Aussöhnung zwischen den Glaubensfeinden bemüht, kann nur noch mit einem Schrei ihr Entsetzen über das Scheitern artikulieren. Das war veristische Drastik pur, die das Premierenpublikum offensichtlich verstörte.
Nur zögerlich flammte Beifall auf. Die Frage, ob man nach solch einem Gemetzel applaudieren könne, schien zu hemmen. Doch das Bewusstsein, dass es ein großer Opernabend war, setzte sich schließlich durch. Die Musik Meyerbeers, das Libretto von Eugène Scribe, die Inszenierung des erfahrenen Opernregisseurs, nicht zuletzt aber Sänger und Musiker hatten gewirkt und überzeugt, und das mit einer Oper, die vor nun schon 180 Jahren ihre Erstaufführung hatte. Doch das Thema, der verbitterte Streit um den Glauben, um die kleinen Nuancen, die den „rechten“ Weg betreffen, sind aktuell wie je, auch das infame, auf Machterhalt gerichtete Tun der Potentaten im Hintergrund.
Fein kombiniertes Theater
Hemleb hatte sich mit seinem Team bis zum Schlussbild erfreulich mit unnötigen Aktualisierungen zurückgehalten, zudem die Handlung gehörig, in Teilen sogar holzschnittartig gestrafft. Alles geschah auf einer kargen Bühne, gestaltet und geschickt ausgeleuchtet von Gianni Carluccio. Kronleuchter im ersten oder Schaukeln im zweiten genügten, Spielorte anzudeuten. Tischartige Gebilde auf Rollen, mit denen lustvoll herumgetollt wurde, passten nicht immer, weil sie auch als Pferdersatz etwa der Marguerite dienen mussten. Eine matt spiegelnde Fläche im Hintergrund erweiterte die Szene, ließ selbst in den Orchestergraben blicken und täuschte Massen vor. Ein Bodenteppich mit einer Schlossfassade gab im Schlussbild eine vorsichtige Anspielung auf die historische Lokalität. Üppig dagegen hatte Falk Bauer die Kostüme gestalten dürfen, detailreich im historischen Kontext. Sie gruppierten zudem geschickt durch Halskrause oder Kragen, auch durch die Farbzuordnung. Selbst die schwarzen Breeches der Kavaliere spielten kaum auf unselige Zeiten an. Einen das Auge erfreuenden Kontrast bildete die weibliche Welt um Marguerite von Valois. Welch einen prachtvollen Anblick bot ihre tief dekolletierte Robe, an der mit rotem Brokat und gelber Seide nicht gespart worden war, zu der auch die hellen Gewänder ihrer Hofdamen bestens passten.
Nach dem ersten Akt mit seiner maskulinen Wein-Weib-Gesang-Attitüde machte das den zweiten zu einem lockeren Stimmungsbild, symbolträchtig dabei das Leichte, das Schwebende der Schaukeln. Auch die eher sparsame, aber pointierte Bewegungsregie stimmte zumeist. Sie unterstützte die Sänger, vor allem den Chor, der bei seinen Auftritten oft bis vorn an die Rampe geführt wurde. Das verstärkte die Wucht seiner Partien, die den religiösen Konflikt stärker artikulierten als die begleitende individuelle Handlung. Sie ist eine verwickelte Liebesgeschichte, feinsinnig, aber schwierig. Warum als modische Zutat allerdings ein drastischer Liebesakt auf einem der wieder einmal genutzten Rolltische geschehen musste, bleibt fraglich.
Große Gesangskunst
Die verwickelte Liebeshandlung lebendig zu gestalten ist eine Herausforderung, denn Meyerbeers Anforderungen an die vielen Sänger sind immens. Für die Hauptpartie des Raul de Nangis war ein Gast engagiert, der russische Tenor Anton Rositskiy. Sein etwas weicherer Ton passte gut zu dem Charakterbild des Hugenotten, der zwischen Glauben und Liebe schwankt, sich auch mit Glanz durchzusetzen hat. Und auch die Italienerin Daniela Bruera machte in ihrer Gastrolle nicht nur äußerlich eine gute Figur. Zauberhaft bewältigte sie ihre Koloraturen, unangestrengt und dynamisch fein differenziert. Gekonnt realisierte sie die Empfindungen einer lebenslustigen Frau und die einer politisch denkenden Potentatin. Und auch der dritte Gast, Karola Sophia Schmid als junger Page Urbain, meisterte imponierend die Partie. Ihr heller Sopran harmonierte wunderbar mit ihrer jungenhaften Rolle und ihrer verliebten Courtoisie.
Dass Kiels Ensemble viel zu bieten hat, bestätigte Agnieszka Hauzer in der schwierigen Rolle der Valentine. Zunächst willfährige Tochter des strengen und unversöhnlichen Grafen von Saint-Bris, kraftvoll und fest gestaltet von Jörg Sabrowski, konnte sie ihre farbige Stimme noch besser einsetzen, als sie sich zur Liebenden wandelte. Auch Timo Riihonen, der mit gut sitzendem Bass dem Marcel einen kämpferischen Habitus gab, und der lebendig gestaltende Tomohiro Takada als einzig Integrer unter den Katholiken zeigten sich in bester Form. Meyerbeers Oper hat zudem eine Reihe von Personengruppen aufzuweisen, die in kleineren Solopartien und in Ensembles wunderbar charakterisiert werden. Dazu gehören u.a. die fünf Edelleute auf der Hofseite, die Hofdamen, die Zigeunerinnen. Hier lag die große Stärke der Aufführung, dass auch diese Rollen hörenswert besetzt waren.
Meyerbeers großes Geschichtsbild hat wirkungsvolle Musik. Sie vermittelte Carl Dalberg am Pult zumeist gut, manchmal etwas plakativ. Er schaffte auch alles zusammenzuhalten, selbst bei den rasant schnellen Chorpartien und dem Nebeneinander der vielen Solisten. Das Kieler Orchester setzte sich intensiv ein, hatte sich sorgsam der Vorliebe Meyerbeers genähert, Gesangssoli von einzelnen Instrumenten begleiten zu lassen. Die Bratsche gehört dazu, das Cello, die Harfe oder die Bassklarinette.
Vieles ist in dieser selten mehr aufgeführten Oper musikalisch und szenisch äußerst reizvoll. Auf jeden Fall aber machte die Inszenierung deutlich, dass sie durchaus in unsere Zeit passt, nicht nur mit dem thematisch immer gültigen Bezug.