Das Johann-Strauß-Festival an der Staatsoperette Dresden ist ein Unikat. Über die Jahre wurden hier Raritäten des Meisters gehoben, „Der Carneval in Rom“ etwa, „Das Spitzentuch der Königin“ oder auch „Prinz Methusalem“ standen neben der unsterblichen „Fledermaus“ auf dem Programm. Den 5. Jahrgang hat „Die verkaufte Braut“ eröffnet. Smetana zum Strauss-Festival?
Eine Enttäuschung ist oft umso größer, je weniger sie absehbar war. Dass ein Johann-Strauß-Festival mit der komischen Oper „Die verkaufte Braut“ von Bedrich Smetana eröffnet wird, mag sich noch daraus erklären lassen, dass der Komponist sein 1866 in Prag uraufgeführtes Werk einst selbst als Operette bezeichnet und damit unwissentlich den Operettenkönig Johann Strauß zu dessen „Jabuka“ (1894) angeregt hatte. Dass es in beiden Werken einen reichen Bauern namens Micha gibt (in Straußens Apfelfest heißt er Mischa), sei dahingestellt.
Wenn aber die auch in Wunschkonzerten so beliebte Ouvertüre zunächst staubtrocken beginnt, um gleich darauf nassforsch aufzublühen, dann lässt das erst einmal hoffen. Und in der Tat zeigt sich das Orchester der Staatsoperette erstaunlich gut aufgestellt, kommt unter der Leitung des neuen Chefdirigenten Andreas Schüller zu feiner Gestaltung, kann gefühlvoll differenzieren und verständig achtsam brillieren. Umso enttäuschender im weiteren Verlauf des Abends das Auseinanderdriften von Bühne und Graben. Da bleiben mal die Solisten mit sich und ihren Tempovorstellungen allein, kleckert mal der (ansonsten gut präparierte) Chor den Maßgaben heftig hinterher. Die musikalische Seite dieser Produktion hat aber noch andere Extreme zu bieten, dazu später.
Die Inszenierung von Arne Böge, Hamburger des Jahrgangs 1976, in der dritten Spielzeit an Dresdens Staatsoperette als Spielleiter beschäftigt, mischt sich schon nach den ersten paar Takten in die Ouvertüre ein. Mit einer ersten Choreografie von Radek Stopka, dem amtierenden Ballettdirektor des Hauses. Darin tanzen Strohballen wie müde Derwische herum und flattert ein blauer Schmetterling, der sich bald darauf als dummer Wenzel entpuppt. Da über dieser Szene ein riesiger Theatermond leuchtet, müsste das wohl ein Nachtfalter sein.
Der erste Akt wirkt vaterländisch wie aus Böhmens Hain und Flur. Die Bühne ein Festzelt, darin werden die Hochzeitsvorbereitungen für Marie und Wenzel besprochen. Die hier nicht mehr ganz so jung wirkende Braut – Tatjana Gazdik mit überzeugend berührender Stimme, einem gereiftem Sopran, dem nichts schwerzufallen scheint – liebt bekanntlich einen anderen Mann. Dass dieser Hans der Halbbruder von Wenzel ist, spielt außer im Libretto gar keine Rolle. Richard Samek singt und spielt ihn zur Premiere achtbar selbstbewusst, kann schneidig scharf sein, wirkt in den Höhen allerdings stumpf, denn da müssen die Stimmbänder arg pressen. Nachdem er seine geliebte Braut scheinbar verkauft hat, hier für „Hunderttausend“ einer ungenannten Währung, also nicht für die 300 Gulden des Originals, wird er von den Dorfjungen so unglaublich verprügelt, dass zur Pause eigentlich schon das Finale eingeläutet sein müsste. Doch das bleibt nicht die einzig unglaubliche Krücke dieser Regie.
Was doppelt und dreifach schade ist, denn die Inszenierung ist ansonsten sehr ehrlich, gibt sich erst gar nicht die Mühe, den holzschnittartigen Charakteren blutvolles Leben einzuhauchen – schon die drollig geschminkten Figuren und die Tradition heuchelnden Kostüme des Ausstatters Hendrik Scheel entlarven das ganze Spektakel als theatralische Mimikry –, sie bekennt sich offen zum Genre des Rampentheaters. Wenn etwa Hans und Marie ins Publikum singen, obwohl sie angeblich sich meinen, werden sie im Schattenspiel von einem Ballettpaar gedoubelt; das sorgt durchaus für Emotionalität. Einigen Schauwert bietet auch der durch das Ballett aufgewertete Furiant, der neben dem Tanz der Komödianten als wohl bekannteste Nummer dieser Spieloper gilt. Letzterer wird leider als Zirkusstück dümmlich zerquatscht. Da mag sich das Orchester noch so sehr mühen, fulminant zu gestalten, Barry Coleman als Zirkusdirektor peitscht ledern darüber weg und animiert zu quälenden Applausorgien. Das ist der Musik gegenüber extrem böse.
Bis der Abend hier angekommen ist, hat sich längst der Eindruck eingestellt, dass der spielerische Ernst dieser Oper operettig verdummt werden soll. Zwar fällt angenehm auf, dass der angeblich so dumme Wenzel nicht vorgeführt werden soll – seine Schmetterlingsflügel inmitten von Strohballen bezeichnen ihn als Wesen einer anderen Welt und Hauke Möller verleiht ihm sowohl spielerisch als auch gesanglich sehr sympathische Züge –, aber just in der Dialogfassung des Hauses wird er von der eigenen Mutter als „peinlich“ disqualifiziert. Das ist eine der größten Schwachstellen der Regie, die sich mehrfach ein bodenlos klaffendes Loch leistet und damit jegliche Spannung zerstört. Auch der hintertriebene Heiratsvermittler Kezal ist zunächst ein prägnanter Charakter und glaubt, die Fäden in eigenen Händen zu halten. Bis er erkennt, selber nur Spielball gewesen zu sein, hat Elmar Andree in dieser Rolle kurzatmig die schönsten Melodiebögen gekappt.
Von nun an und noch bis zum 11. Mai gilt das Johann-Strauß-Festival der Staatsoperette Dresden dem Namensgeber und präsentiert dessen Hits. Dem Smetana-Auftakt folgt als zusätzliches Bonbon das Finale mit der Broadway-Operette „Viel Lärm um Liebe“ („The Firebrand of Florence“) von Kurt Weill. Im nächsten Jahr soll dieses Festival nochmals in der jetzigen Spielstätte stattfinden, bevor dann hoffentlich 2016 der Umzug der Staatsoperette in Dresdens Noch-Baustelle eines Kraftwerks der Kulturen erfolgen kann. Als Highlight für 2015 gilt schon jetzt die Strauß-Premiere seiner Operette „Cagliostro“.
Termine: 3., 15., 16.5., 5., 6.6., 23., 24.10., 18., 19.12.2014