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Ilia Papandreou. Foto: Lutz Edelhoff
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Eine Frau dreht durch – Guy Montavon inszeniert Luigi Cherubinis „Médée“ in Erfurt

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Ausgrabungen und der Griff ins französische Repertoire gehören zu den Markenzeichen der Oper in Erfurt. Wobei die ersten Töne von Luigi Cherubinis „Médée“ verblüffend nach „Freischütz“ klingen. Cherubini 1760-1842 hat sie aber 1797, also ein paar Jahre früher im Frankreich der blutigen Revolution komponiert. Eine damals höchst populäre Musik irgendwo zwischen Mozart, Gluck und Beethoven oder Berlioz. In ihrer gewissen Redseligkeit ist sie aber auch typisch französisch. Und heute in der Abteilung für Ausgrabungen abgelegt. Dabei hat es der Plot in sich. Eine Mutter, die ihre Kinder umbringt, hat auch in der Oper nicht allzu viel Vergleichbares neben sich.

Es geht um jene Medea, die für Jason ihre Heimat verrät und dann von ihm verraten wird, weil er doch lieber die heimische Königstochter heiraten will. Medea wird von ihm einfach zum Fehlgriff erklärt und soll nachhause geschickt werden. Die gemeinsamen Söhne will er behalten. Medea rächt sich für diese Kränkung, indem sie nicht nur ihre Nebenbuhlerin auf ziemlich sadistische Weise aus dem Weg räumt, sondern auch ihre beiden Söhne tötet, um Jason zu treffen. Dass sie so weit geht, ist ein elementarer Bruch mit jeder Werteordnung. Blickt man auf das Jahr der Uraufführung, dann liegt es schon nahe, in Cherubinis Medea auch eine Personifizierung der Revolution zu sehen. Schließlich brach auch die blutig mit der Werteordnung und tötete viele ihrer Kinder….

Hausherr und Regisseur Guy Montavon und seine Ausstatterin Annemarie Woods verlegen den berühmten Kindermord in einen Wolkenkratzer von heute: Vielleicht eine Banken- oder Konzernzentrale. Mit lauter Computerarbeitsplätzen im Großraumbüro mit City-Panoramablick. Der Dresscode ist in Kreons Firma einheitlich. Nur das langbeinige blonde Girly Dircé fällt als Tochter vom Big Boss aus dem Rahmen. Ihr Stil ist mehr der von Melania Trump. Medea wiederum fällt höchstens durch ihr Selbstbewusstsein und ihr Temperament auf. Äußerlich gehört sie hier aber dazu. Was schon zum Problem wird und sowohl die Komponente eines Zusammenpralls der Kulturen (die in Christa Wolfs Medea-Thriller zum Thema wird), als auch das vorsätzliche Aufbegehren gegen eine Ordnung der persönlichen Komponente unterordnet.

Horror privatisiert

Was bei Montavon auf den ersten Blick aussieht, wie eine Vergegenwärtigung der Geschichte also Schärfung ihrer Brisanz, erweist sich dann aber als eine Entschärfung. Weil sie den Horror, der sich entfaltet, gleichsam privatisiert. Wenn auch in den oberen Etagen der Gesellschaft. Wenn diese Medea am Ende die Computer abstürzen lässt und wie Brünnhilde in einem Götterdämmerungsfinale in einem plötzlich an allen Ecken brennenden Hochhaus steht und mit dem gesamten Personal hinterm aufsteigenden Rauch verschwindet, dann wird der Beziehungsthriller mit mittleren Spannungsqualitäten durch einen archaischen XL-Schluss überfordert.

Bis dahin waren Szene und Musik überschaubar und vorhersehbar. Musikalisch interessanter wird es erst im dritten Akt. Ein gewisser belehrender Habitus wird durch die in deutsch gesprochenen Passagen in einem typischen Wenn-Sänger-reden-Pathos noch verstärkt.

Wenn-Sänger-reden-Pathos

Ilia Papandreou, die für diese Produktion an ihre frühere Wirkungsstätte zurückkehrte, stellt sich mit Vehemenz und zunehmender Sicherheit der Médée. Dass Maria Callas 1953 die Wiederentdeckung der Oper einleitete und mit ihren Aufnahmen für Melomanen allgegenwärtig ist, erleichtert das nicht gerade. Aber sie wächst vor allem beim Ringen mit sich selbst überzeugend in ihre Rolle hinein. Sie kommt auch als einzige einigermaßen glimpflich durch die deutsch gesprochenen Passagen. Mit stimmlicher Würde und Eloquenz überzeugen vor allem Siyabulela Ntlale als König bzw. Big Boss Créon und Julia Stein als treue Freundin Néris. Der ukrainische Tenor Eduard Martynyuk überzeugt stimmlich als Jason, kommt aber darstellerisch nicht über einen coolen Was-willst-du-eigentlich Typen hinaus. Bei Julia Neumanns Dircé bleiben nur darstellerisch keine Wünsche offen. Im Graben hat Samuel Bächli das Orchester im Griff und das Bühnengeschehen, bei dem auch die Damen und Herren des Chors um die Details ihrer Rollenporträts bemüht sind, immer im Blick.

In Erfurt wird die französische Urfassung nach der kritischen Neuausgabe von 2008 gespielt. Eine Entscheidung, über die man sich besonders an dem, neben der Oper in Linz zweiten Koproduktionspartner, der Oper in Nizza, freuen dürfte.

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