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Anne Ellersiek (A), Shin Taniguchi (R). THROUGH HIS TEETH. Foto: © Marie Liebig
Anne Ellersiek (A), Shin Taniguchi (R). THROUGH HIS TEETH. Foto: © Marie Liebig
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Eine Stunde Oper, die es in sich hat – Das Meininger Staatstheater startet die Opernsaison mit Bedfords „Through his Teeth“

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Der Titel ist etwas sperrig. Die Geschichte und die Musik dazu sind es nicht. In der vor sechs Jahren in London uraufgeführten Kammeroper, deren Titel „Through his Teeth“ recht frei mit „Im Fadenkreuz der Lüge“ übersetzt wird, bleibt es spannend bis zur letzten Minute. Es gibt immer noch eine Wendung im Geschehen, eine Enthüllung, mit der keiner gerechnet hat, die verblüfft.

Das Libretto von David Harrower zur Musik des britischen Komponisten Luke Bedford (*1978) greift einen spektakulären Kriminalfall auf. Im Programmheft erfährt man, was dazu am 6. September 2005 im „The Guardian“ zu lesen war. Dabei ging es um den Prozess gegen den 34-jährigen Robert Hendy-Freegard, der seine Opfer verführte und über zehn Jahre lang kaltblütig ausbeutete. Er behauptete, dreist und offenbar nicht ohne Charme, ein MI5-Agent zu sein, der undercover IRA-Killern auf der Spur sei. Mindestens sieben, durchaus gestandene Frauen, hatte er zu seinen Sklavinnen gemacht und „ausgenommen“. Aber auch zwei Männer gehörten zu seinen Opfern, die allesamt litten, als er ihr Geld verprasste. In den zehn Jahren, in denen er sein Unwesen immer nach diesem Muster trieb, soll er seine Opfer um insgesamt eine Million Pfund geprellt haben. Am Ende brachte ihm seine perfide Dreistigkeit lebenslänglich ein.

Den Rahmen für die Libretto-Version dieser unglaublichen Geschichte bildet eine Talkshow mit einer (sozusagen exemplarischen) Frau „A“, die dem gerade Verurteilten, „R“, verfallen war. Er hatte auch sie zunächst als attraktiver Autoverkäufer verführt und sie dann mit seiner haarsträubenden MI5-Agenten-Geschichte an sich gebunden. Dabei entpuppte er sich immer mehr als autoritär, ja gewalttätig. Als er von ihr schließlich das Geld der Familie einforderte, gelang es der Schwester, ihn auf dem Flughafen verhaften zu lassen.

Dem regieführenden Hausherrn Ansgar Haag gelingt es reibungslos, aus der Interview-Situation im Vordergrund zu den Rückblenden auf der Drehbühne zu wechseln. Für die großen Nahaufnahmen der Frau auf einem runden Bildschirm führt Kamerafrau Andrea Flörke die Livekamera. Dort finden wir uns im Handumdrehen im Autohaus, der modern durchgestylten Wohnung, in einem Restaurant oder der Abflug-Halle wieder (Bühne: Christian Rinke, Kostüme: Kerstin Jacobssen). In der so atmosphärisch dichten, wie psychologisch genauen Inszenierung fasziniert Anne Ellersiek als „A“ mit ihrem Porträt der Frau, die als „Opfer“ von ihrer Beziehung öffentlich reden will. Und das sowohl mit ihrer klaren Diktion und der vollen Leuchtkraft ihrer Stimme, als auch mit ihrer Mimik in den Großaufnahmen beim Interview. Bei ihr wird jede von der Musik angekündigte Wendung sichtbar. Für den Verführer Robert bietet Shin Taniguchi den anfangs einschmeichelnden Charme ebenso souverän auf wie dann die dominierte Härte eines psychopathischen Machos. Marianne Schechtel hat als instinktsichere Schwester gegen diesen Typ Mann mit ihren Warnungen keine Chance, während Carolina Krogius als Interviewerin die abschließende Pointe triumphierend auskostet, die hier nicht verraten werden soll.

Für die expressive Musik, die manchmal an Gewehrsalven erinnert, sich hauteng ans Parlando anschmiegt und sowohl den Aufbau von szenischer Spannung wie deren Entladung zu imaginieren vermag, haben der Meininger GMD Philippe Bach und die Musiker der Hofkapelle (die Besetzung kommt mit Violine, Violoncello, Kontrabass, Klarinetten, Trompete, Harfe, Akkordeon und Schlagwerk aus) nicht nur einen Zugang gefunden, sondern offenbar auch Zuneigung entwickelt. Sie  komplettieren eine in jeder Hinsicht überzeugende Inszenierung musikalisch. Von Luke Bedfords zweiter Oper gibt es bei bastille musique eine von der Kritik hochgelobte SWR-Studioaufnahme der Opera Factory Freiburg mit der Holst-Sinfonietta unter dem Dirigenten Klaus Simon.

Das Ganze gewinnt aber erst dann das Format eines echten Opernthrillers, wenn zur packenden Musik eine Inszenierung in der Qualität wie jetzt in Meiningen dazukommt.


  • Nächste Vorstellungen: am 10. und am 24. Oktober 2020

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