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DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL: Remy Burnens, Mine Yücel. Foto: © Marie Liebig
DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL: Remy Burnens, Mine Yücel. Foto: © Marie Liebig
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Einmal Orient und zurück – Mozarts „Entführung aus dem Serail“ wird in Meiningen gefeiert

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Mit der „Entführung aus dem Serail“ zollte Mozart einer damals grassierenden Türkenmode auf der Opernbühne seinen Tribut. Turban war 1782 in. Wobei in Wien die Erinnerung an die versuchte Einnahme der Stadt durch die osmanischen Heere hundert Jahre zuvor noch kein Märchen aus alten Zeiten war. Europa und die Türken, das „Abendland“ und der Orient sind ein historisches Dauerthema. Die aktuelle Spielart davon ist längst jenseits aller Reisefolklore im Alltagsbewusstsein verankert. Nicht zuletzt, dass am Freitag vor der Premiere mit den Beethoven-Klängen der Europahymne an die Wahlen erinnert wurde, zeugt – nur einmal um die Ecke gedacht – davon. Joachim Lange mit Details.

Die Meininger Inszenierung von Roman Hovenbitzer beginnt als private Beziehungskrise zwischen Konstanze und Belmonte. Doch die politisch kontaminierte Gegenwart folgt vor allem via gängiger Klischee-TV-Bilder unvermeidlich.  Während der Ouvertüre, die diesmal der Gewinner des Bülow-Wettbewerbes von 2015, der 25jährige Aris Alexander Blettenberg am Pult der Hofkapelle Meiningen beherzt angeht, läuft Belmonte eher alltagsroutiniert an seiner Frau vorbei, während sie sich offenbar nach Leidenschaft und Abenteuer sehnt. Jedenfalls hinterlegt sie ihm daraufhin einen Brief, samt Ring, auf dem Souffleurkasten und macht sich mit gepacktem Koffer in den Orient davon. 

Die Bühne von Christian Rinke ist abstrakt aber sinnstiftend. Ein etwas schiefer Rahmen und dahinter – wie eine Fortsetzung davon – ein drehbarer Container. Mal ist er Büro, mal Appartement mit Traumblick, dann wieder Zelle oder auch Projektionsfläche für die durchweg gut gemachten Videos von Jae-Pyung Park. Die fügen sich zwischen illustrierend, erinnernd, konterkarierend oder die Akteure doubelnd immer passend ein, ohne zu dominieren. Sie haben sogar geistreichen Witz, etwa wenn sich im Kerker, in den Konstanze vorübergehend verbannt ist, immer mehr angedeutete Türen schließen. Den streng arabisch gekleideten Frauen an modernen Computer-Schreibtischen und beim Putzen und einem westlich gekleideten Aufseher-Osmin könnte man so in den Golf-Emiraten begegnen. Dass sich Belomonte als Orientale zu (ver-)kleiden versucht, vermasseln ihm Osmin und seine Bodyguards im Handumdrehen. Mehr Nahost Kostümierung gibt es bei Anna Siegrot nicht. 

Balance zwischen Witz und Ernst

Der große Vorzug von Hovenbitzer Inszenierung ist die Balance zwischen szenischem Witz (nicht ohne augenzwinkernde Kalauer) und dem Ernst, der dahinter steht. Die Dialoge sind entsprechend aufpoliert. Wenn Blonde als auch sexuell sehr selbstbewusste West (bzw. in Deutschland: Ost-)Frau dem Macho Osmin dazu bringt, nach ihrer Pfeife zu tanzen, soll heißen selbst die Waschmaschine zu füllen, dann kriegt sie dafür in Meinigen Szenenapplaus. Wenn am Ende nach dem gescheiterten Fluchtversuch alle mit verbundenen Augen vor Osmins finsterer Truppe knien und auf ihre Hinrichtung warten, bleibt jeder Witz auf der Strecke. Wenn sie dann aber nach der Begnadigung durch Bassa Selim sofort wieder in ihre alten Verhaltensmuster verfallen, es sich auf dem heimischen Sofa bequem machen und durch ihren (unseren) Fernsehblödsinn zappen, dann ist das auch eine Diagnose, die für sich spricht.  

Hovenbitzers Inszenierung nimmt die Entführung ernst, weil sie sowohl die Verwirrung der Gefühle als auch die Relevanz des politischen Hintergrundes ausleuchtet. Das Finale des zweiten Aufzugs „Es lebe die Liebe“ (in Meiningen gibt es zwei Pausen) ist vor allem ein wildes Ansingen gegen die Verwirrung der Gefühle bei den Frauen und die spürbare Verunsicherung bei den Männern. Dieser Osmin, der smarte Bass Daniel Pannermayr, und dieser Bassa Selim, Michael Jeske, wären hier jedenfalls eine ernstzunehmende Alternative für die Frauen. Wenn es nur nach Attraktivität und Fähigkeit zur Leidenschaft ginge…. Elif Aytekin brilliert mit Konstanzes Koloraturen, läuft bei den „Martern aller Arten“ zur Hochform auf. Monika Reinhard lässt als Blonde keine Gelegenheit aus, neben ihrer Stimme auch ihre körperlichen Reize einzusetzen, um Osmin und ihren Pedrillo an der kurzen Leine zu halten. Robert Bartneck kommt in dieser Rolle auch mit den flapsigen Sprechtexten vorzüglich klar und mach aus der Romanze „In Mohrenland gefangen war, Ein Mädel hübsch und fein“ ein witziges Kabinettstück – halb in, halb neben der Rolle. Remy Burnens schlägt sich als Belmonte wacker. Der Meininger Chor hat diesmal einen Logenplatz und darf seinen Part von den Seitenlogen aus sehr gut hörbar beisteuern. Die Hofkapelle ist mit spürbarer Lust (und mit gelegentlichem Solisten Ehrgeiz) in Mozarts Orientexpress dabei. 

Das Publikum war begeistert über diese rundum gelungene Entführung.

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