Es nervt. Die Absagen lange anvisierter Premieren werden immer kurzfristiger. Die Gründe liegen auf der Hand. Viele Tests sind notwendig, bringen aber auch positive Ergebnisse. Wer die draus folgenden Quarantäne- bzw. Genesungs-Zeiten dabei nicht im Blick hat, der riskiert Vorstellungsausfälle in buchstäblicher letzter Minute. Einen Clou landete die Oper Halle mit einem Abbruch einer Premiere nach dem zweiten Akt, weil während der Vorstellung ein positives Testergebnis eintraf.
Zwei aktuelle Beispiele fügten jetzt die Opern in Wuppertal und Bonn dieser immer länger werdenden Liste von plötzlichen Absagen hinzu. Offensichtlich hat sich ein professionelles Test-Management auch nach über zwei Pandemiejahren noch nicht etabliert.
Die Oper in Bonn versandte am 13. März um 12.01 Uhr die Information über die Absage der Premiere von Meyerbeers „Feldlager in Schlesien“, die 18.00 Uhr beginnen sollte. Begründung: krankheitsbedingt. Noch knapper war die Absage der bereits schon einmal verschobenen „Tannhäuser“-Premiere zwei Tage vorher in Wuppertal. Da trägt die Absagemail den Uhrzeitvermerk 16.22 Uhr. Begründung: eine kurzfristige Erkrankung. Das war so knapp, dass man sich noch am Opernhaus über die Stimmung unter den Zuschauern, die ja keine Mail bekommen hatten, umhören konnte. Die Wuppertaler wirkten gelassen – offenbar gewöhnen sie sich dran. Ärgerlich war die dem Personal antrainierte Aussage „fällt kranktheitsbedingt aus“ – Punkt. So einfach ist das. So einfach macht man sich das. Keine Auskunft wer ausgefallen ist. Offensichtlich ist auch die gute alte Praxis einen Plan B zu haben, also einen Cover-Besetzungen für die Hauptpartien, abhanden gekommen… Man weiß es nicht. Und kommuniziert wird es (bislang) nicht.
So landete der gestrandete Rezensent im Kölner Staatenhaus, der provisorischen Spielstätte der Oper Köln, deren Umbau auch so eine Jahrhundertaufgabe zu werden scheint, wie der Berliner Flughafen.
Aber sei’s drum: sie spielen immerhin. Und trösteten sogar mit einer Premiere: Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“. Und lieferten genau das, was man sich auf Anhieb unter einem Singspiel vorstellen könnte. Ein Stück vom Menschen- und Gefühlsauskenner Mozart, das der verspielte Amadeus auf eine Bretterbühne gezaubert haben könnte.
Dirigent Rainer Mühlbach und Regisseurin Kai Anne Schuhmacher haben, maßgeschneidert für die provisorische Spielstätte, eine eigene Fassung eingerichtet. Im Saal 3 des Staatenhauses sind zweihundert Zuschauer auf zwei Tribünen, rechts und links von den Musikern des Gürzenich-Orchesters Köln, platziert. Da sich die Spielfläche gegenüber von Orchester und Zuschauern befindet, ist der Dirigent in der zuweilen ungewöhnlichen Position, mit der rechten Hand seine Musiker und mit der linken die Akteure zu dirigieren. Was ihm aber gelingt, so dass sich die Sänger und das Orchester durchweg gut und gemeinsam in Szene setzen können.
Die verwandelt sich bei Dominique Wiesbauer von einem unaufgeräumten Kinderzimmer nach einer Karnevalsnacht in ein Zelt, das dann auch mal die Gegend andeutet, in der die Entführung eigentlich spielt. Der Umgang mit den Tüchern an den Seilen fürs Nachobenziehen oder einem Gebläse unterm sich aufplusternden Gewand von Konstanze sorgen dabei für genauso hübsche Effekte wie die Schattenspiele, bei denen sich einmal der Arm von Bassa Selim um viele Meter verlängert, um den bubenhaften Belmonte im Pyjama mit seinen langen Nosferatu Fingern zu necken. Überhaupt gibt Florian Reimers als Bassa Selim so etwas wie den Spielführer, eine Art Prospero im Look eines Zauberers, der durch die Alpträume von jungen Leuten geistert, die offensichtlich Angst vor einer Bindung haben. Konstanze träumt sich in eine (für sie möglicherweise zu früh kommende und noch ungewollte) Schwangerschaft und Belmonte durchlebt alle möglichen Varianten von Eifersucht.
Schumacher lotet also nicht die politische Dimension aus, die aus dem Zusammenprall unterschiedlicher Kulturen resultiert und die zum häufigsten Interpretationsmuster dieses ersten deutschen Singspiels avanciert ist. Sie nimmt es mehr als Stück über die Gefährdungen, die das Leben für zwei junge Paare bereithält, hat also mehr Mozarts Cosi fan tutte im Blick. Und weil das Ganze in Köln auf die Bühne kommt und dort schon der Karneval von der Pandemie und anderen Querschüssen verhagelt wurde, entfesselt wenigstens Valerie Hirschmann eine opulent fantastische Verkleidungsorgie fürs Personal, die sich gewaschen hat. Zum Blick aus der Juniorenperspektive auf das Leben und die Liebe, auf Prosperos Zauberei und die Cosi-fan-tutte-Weisheiten in Herzensangelegenheit gibt es einen kräftigen Schuss köllsche commedia obendrüber. Was im Ganzen Spaß macht. Zumal auch noch ordentlich gesungen wird. Kathrin Zukowski schießt dabei als Konstanze den Vogel ab. Die Marternarie wird bei ihr nicht nur zu einem vokalen Feuerwerk, sondern auch zu einem darstellerischen Kabinettstück. SeungJick Kim ist ein höhensicherer, treuherzig spielender Belmonte. Die beiden Mitglieder des Internationalen Opernstudios der Oper Köln, Rebecca Murphy und Dustin Drosdziok, sind das spielfreudige Paar Blonde und Pedrillio. Lucas Singer gibt als wohltönender Osmin und mal mit weiß geschminktem Gesicht seine wüsten Folterdrohungen von sich.
Alles in allem: so eine Entführung ist allemal besser als kein Feldlager.