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Elias | Opernchor. Foto: Lutz Edelhoff

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Erfurter „Elias“-Spiel: Sattes Bilderspektakel zu Mendelssohns Oratorium

Vorspann / Teaser

Felix Mendelssohn Bartholdys 1846 beim Chorfest Birmingham uraufgeführtes Oratorium „Elias“ über den alttestamentlichen Jesus-Vorläufer gelangt in der Spielzeit 2024/25 am Theater Krefeld und Mönchengladbach, im Theater Erfurt und an der Oper Zürich zu gleich drei szenischen Produktionen. In Erfurt lässt sich die musikalische Seite unter dem Dirigat von Roland Böer vom bizarren Aktionismus auf der Bühne nicht in den verflachenden Bann ziehen. Der Bariton Johannes Schwarz wandert in Jürgen R. Webers unbelasteter Bibelrevue und Hank Irwin Kittels Bilderrausch durch phantastische Unzeiten und erlebt den Übergang zum Monotheismus als Spektakel der grellen Reize mit einer Prise Bildungsanspruch. Schöner Erfolg in der Bischofsstadt Erfurt.

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Im Programm spricht der Bühnenbildner Hank Irwin Kittel von dem Anspruch einer „Balance zwischen Ernsthaftigkeit und einer gewissen Komik“. Aber die in einer Antike von Space Opera-haftem Zuschnitt beginnende und mit Elias’ Entrückung endende Theatralisierung von Felix Mendelssohn Bartholdys Erfolgsoratorium „Elias“ geriet im Theater Erfurt kaum komisch und nur in Maßen ernsthaft. Das Spektakel ist ein Streifzug durch phantastische Unzeiten an Sinai und Nildelta. Sie gerät mit bizarrer Buntheit zu amorpher Materialfülle. Irgendwann kommt man mit dem Propheten Elias ins Paris der Résistance mit rollenden Panzern und dann auch noch vor die bundesdeutsche Flagge. Elias’ Entrückung im Feuerwagen, einen der spektakulärsten biblischen Abgänge vor Christi Himmelfahrt, sieht man nicht. Elias entschwebt dafür mit der Bundeslade gen Schnürboden. Der in der christlichen Exegese als Vorläufer Jesu etablierte Wanderprediger wird im Theater Erfurt zur Schlüsselfigur der Entwicklung des Judentums vom Götterpaar Baal und Aschera zum Monotheismus des JHWH. Die den Elias-Geschichten aus dem Alten Testament folgenden Episoden Mendelssohns geben Anlass zu Massenszenen vor einer Stierkopf-Statue mit muskulösem Männer-Sixpack und vielen ausladenden Kostümkreationen von Tristan Jaspersen. Es dominieren die Farben Mythisch-Magenta und Apokalypse-Schwarz: Mäuseohren, Spitzhüte, Netzshirts, Korsetts, Lederstreifröcke und weitere Accessoires aus der Gothic-Ecke gibt es die Menge, dazu Tänzchen von riesigen Embryonen. Aber nur wenig bis gar keine Personenregie. Inszeniert hat Altmeister Jürgen R. Weber, der sich zu seinen gelegentlichen Ausflügen ins Musiktheater noch immer an Ästhetiken und schroffen Dualismus-Mustern früher Videogames inspiriert.

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Elias | Johannes Schwarz (Elias), Felicia Pahl (Knabe), Anastasiia Doroshenko (Witwe). Foto: Lutz Edelhoff

Elias | Johannes Schwarz (Elias), Felicia Pahl (Knabe), Anastasiia Doroshenko (Witwe). Foto: Lutz Edelhoff

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Die Farben Mythisch-Magenta und Apokalypse-Schwarz

Diesem Grundmuster bleibt Weber auch bei „Elias“ treu. Die Engelsfrauen (gut anhörbar: Daniela Gerstenmeyer und Candela Gotelli) sind aufgeplustert durch edles Weiß. Tristan Blanchet beeindruckt mit schönem Tenor-Material als Elias’ untergeordneter Prophetie-Kollege Obadjah. In weiteren Partien überzeugen Valeria Mudra als Königin mit Mordabsichten gegen den widerborstigen Botschafter JHWHs, Jörg Rathmann als König Ahab, Marlene Gaßner als vital aufgepolsterte Göttin Aschera, Anastasiia Doroshenko als Witwe und Kakhaber Shavidze in den Bass-Positionen.

Die Titelpartie übernimmt der momentan auch durch den Propheten Jochanaan in der „Salome“ am Theater Plauen Zwickau auf Biblisches spezialisierte Johannes Schwarz. Einen noch lyrischen und doch schon kernigen Bariton hat er. Schwarz gibt einen Pracht- und Wanderburschen durch Wunder, Zeiten und kollektive Kalamitäten. Der traditionsbewusste Trekking-Prophet fürchtet keinerlei Anfechtungen durch Trends und Tand. Ausgestattet ist Elias mit Material von manufactum und Equipment aus Edelshops. Solche Geradlinigkeit passt kongruent zur Partitur, denn Mendelssohn setzte seinem spirituellen Helden als Starter sofort ein Donnerwort mit Drohung von Regenmangel und gewährt ihm erst spät die erste echte Arie. Großangelegt sind die Chöre der Abtrünnigen und später gläubigen Massen. Trotz Markus Baisch’ hervorragender Einstudierung bleiben Mendelssohns Chöre hier zwangsläufig hinter der Farb- und Form-Frenetik auf der Bühne zurück. Der nach Ende schütter einsetzende Schlussapplaus wirkt wie erschlagen von der visuellen Überfülle. Später jauchzt es mit Pfiffen und Jubelrufen.

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Elias | Johannes Schwarz (Elias). Foto: Lutz Edelhoff

Elias | Johannes Schwarz (Elias). Foto: Lutz Edelhoff

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Elias, ein Prachtbursche in der Dauerkonjunktur diffuser Zeiten

Die Erfurter Bistumsakademie bietet Begleitveranstaltungen und die Vorstellungen bekommen von Glaubensinteressierten erfreulich starken Zulauf. Vor knapp zwei Jahren monierte man bei Berlioz’ „Fausts Verdammnis“ auf den Domstufen die Penisattrappen zum exegetisch plausiblen Niedergang des skeptischen Doktors. Bei „Elias“ ist jetzt die Zustimmung einhellig für dessen sich mit Masse und Bildermacht vollziehender Zeitwanderung. Elias ist auf der richtigen Seite und er ragt als Fels aus den Brandungen von Ausschweifung, Verschwendung und leichtgewichtiger Esoterik. Wie gesagt: Ein Prachtbursche in der Dauerkonjunktur diffuser Zeiten. Diese Geradlinigkeit zeigt auch der Nürnberger Generalmusikdirektor Roland Böer mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt. Im Graben versucht man nicht, Mendelssohns lyrisch-epischen Oratorienlauf dramatisch zu zerklüften. So laufen Webers voluminöse Szenenstiche und Mendelssohns paradiesische Partitur dialektisch nebeneinander her: Bühne frei für das fastenzeitliche „Elias“-Spiel!

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