Kalt war’s. Das ist der Nachteil, wenn man ein Festival im Wintermonat Januar ansetzt und Spielorte auswählt, die schwer oder manchmal gar nicht zu beheizen sind. Dann wird Musik auch physisch zur Herausforderung. Wer sich also zu den Konzerten und Performances des vierten Out Of The Box Festivals aufgemacht hat, war mit Daunenjacke gut beraten und bekam einiges geboten. Denn für die federführende Martina Taubenberger ist ein Festival kein einfacher Abspielkanal, sondern ein Versuchslabor – mit Normalitäten will sich die künstlerische Leiterin nicht beschäftigen: Entsprechend stehen Raum, Dauer, Präsentationsform und auch das Genre als offener Begriff zur Disposition. Verhandelt wird ein Thema aus vielen Perspektiven, als Tanz und Text, als Komposition und Installation, als Kommunikation und Singularität des Ereignisses.
![Kunst in der Bubble? Die aufblasbare Plastikblase des Künstlerdu[1]os Plastique Fantastique war ein begeh- und hörbarer Hingucker. Foto: Ralf Dombrowski Kunst in der Bubble? Die aufblasbare Plastikblase des Künstlerdu[1]os Plastique Fantastique war ein begeh- und hörbarer Hingucker. Foto: Ralf Dombrowski](/system/files/styles/nmz_hero_xs_1x/private/image/dsc06998.jpg?h=711b18e2&itok=sZsfw3Af)
Kunst in der Bubble? Die aufblasbare Plastikblase des Künstlerdu[1]os Plastique Fantastique war ein begeh- und hörbarer Hingucker. Foto: Ralf Dombrowski
Erinnern, verschmelzen, lösen
Und darin ist sie gut. Martina Taubenberger hat schon einen Pianisten an einen Kran gehängt, Musiker*innen unter Wasser spielen lassen oder ein Orchester für ein Konzert auf Riesenradkabinen verteilt. Sie hat ein Gespür für die Wirkung intellektueller Ästhetik. Die künstlerische Aussage steckt sowohl in der Musik, als auch in den Bildern. Unter anderem deshalb gehörte die Plastikblase des Künstlerduos Plastique Fantastique zum Festival. Eine begeh- und bespielbare Installation aus durchsichtiger und farbintensiv beleuchteter Plastikplane, die an mehreren Orten von Out Of The Box aufgeblasen und etwa für Kurzkonzerte und Soundinstallationen eingesetzt wurde. Das sah unwirklich futuristisch aus und war zugleich ein fotogenes Sinnbild für eine Gegenwart, die jenseits der Kunst gerade die Exklusion als antidemokratisches Handlungsmuster wiederentdeckt.
Dabei ging es inhaltlich um das Gegenteil. Das Motto des Festivals „The Resonance Of Time“ verwies auf Prozesse der Erinnerung: das Verknüpfen von Dingen und Geschehnissen im Modus gemeinsamen Erklingens und Erscheinens, eben ihre Resonanz. Folgerichtig wurden die Gewerke kombiniert. Die Tänzer*innen von Ceren Orans Kompanie Moving Borders, Musiker*innen des O/Modernt Kammerorchesters und des Munich Composers Collectives, Installationskünstler*innen wie Ruth Hof und Ben Miller, Spoken Word Artists und Improvisator*innen wie Christine Yohannes oder die Trondheim Voices wirkten zusammen, in wechselnden Kombinationen, mal konzeptuell festgelegt, dann wieder ergebnisoffen.
Ein gutes Dutzend Spielorte vom oberfränkischen Haus Marteau in Lichtenberg und dem Moosacher Meta-Theater über Kirchen und Klöster in Passau, Burghausen, Schongau, Kaufbeuren, München, ein Salzstollen in Berchtesgaden, ein Memorial in Regensburg und mehrere Räume im Münchner Werksviertel lösten die Topographie des Festivals auf. Die installativen Arbeiten schlugen die Brücke von Musik zu Geräusch und Bild wofür nur selten auf bereits vorhandenes Klangmaterial zurückgegriffen wurde. Die meiste Musik der mehr als 40 Veranstaltungen war entweder beauftragt oder entstand aus dem Augenblick heraus. Niemand wusste genau, was zu erwarten war, und so konnten künstlerisch ungewöhnliche und auch musikalisch herausragende Momente entstehen.
Beispielsweise erwies sich das noch junge Munich Composers Collective, das der Geiger Gregor Hübner mit Jazz-Student*innen und Alumni der Münchner Hochschule für Musik und Theater aufgebaut hat, sowohl als gesamtes Ensemble bei der Eröffnung in der Tonhalle wie auch mit Teilformationen zu wechselnden Anlässen als ungewöhnlich pointiert und vielfarbig agierendes Kollektiv. Die Lyrikerin Christine Yohannes wiederum rezitierte ihre Gedichte zur afroamerikanischen Erinnerungskultur mehrfach, wirkte aber erst in spontaner Kommunikation mit der Sängerin Jelena Kuljic und dem Schlagzeuger Oliver Steidle wirklich wortkräftig. Mit der Komposition „The Trace Of Echoes“ des musikalischen Ko-Leiters des Festivals Emmanuel Witzthum wurde das Finale in der whiteBOX des Münchner Werksviertels schließlich zur multimedialen Klang-raumerfahrung mit Tanz zwischen Musik und Publikum. Da waren dann auch die Grenzen dieses Konzepts erreicht. Mehr ging nicht. Aber das ist ja kein Grund, weniger zu denken.
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