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Elektra in Lyon. Foto: Bertrand Stofleth
Elektra in Lyon. Foto: Bertrand Stofleth
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Erinnerungen an die Zukunft – Opernpremieren in Lyon

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Mit dem Festival „Memoires“ poliert Serge Dorny an der Opéra de Lyon Prunkstücke der Operngeschichte wie Heiner Müllers Bayreuther „Tristan und Isolde“ und die Dresdner „Elektra“ von Ruth Berghaus wieder auf.

Der Bau mitten in Lyon ist originell. Und das, was er bietet, auch. Von außen wird die Oper von einer spektakulären Stahlglas-Überwölbung des prunkigen 19. durchs späte 20. Jahrhundert beherrscht. Hier wurde nicht angebaut, sondern draufgesetzt. Innen ist die schwarze Gruft des Zuschauerraums von einem Gewirr von Rolltreppen und Metallstiegen umgeben. Mit Ein-, Durch- und Ausblicken, die selbst Bühnenbildqualität haben. 

Intendant Serge Dorny versteht es dieses Statiognehaus zu füllen und zu vermarkten: Einheimisches, auch junges Publikum mit einem originellen Programm binden ohne Anbiedern. Das hat der Flame bei Gerard Mortier gelernt und so erfolgreich in Lyon praktiziert, dass ihn die sächsische Kulturpolitik in einem Anfall von progressivem Wagemut nach Dresden als Intendant an die Semperoper holen wollte. Das scheiterte bekanntlich an Unverträglichkeiten, hinter denen alle Welt den in Dresden übermächtigen (wenngleich in der laufenden Spielzeit nicht mal eine Premiere dirigierenden, außer der mit Salzburg koproduzierten und jetzt auch in Dresden herausgekommenen Othello-Produktion) Christian Thielemann vermutet. Dorny hat in Dresden geklagt und gewonnen. Er macht erstmal in Lyon weiter und bleibt so im Geschäft. München bspw. ist auch schön und obendrein deutlich aufgeschlossener als Dresden. In der Kulturpolitik ist Bayern jedenfalls noch nicht mit irgendwelchen „Obergrenzen“ aufgefallen. Schau mer mal.

Für sein alljährliches thematisches Hingucker-Festival im März hat er sich diesmal etwas einfallen lassen, was von manchen Beobachtern gleich zu einem neuen Retro-Trend in der Opernregie erhoben wird. Weil man zufällig zu Ostern in Salzburg mit der Karajan-Walküre (pikanterweise unter Christian Thielemann) so etwas Ähnliches vorhat. Dorny hat unter dem Motto „Memoires“ drei zu ihrer Zeit als spektakulär geltende Inszenierungen rekonstruieren und neu einstudieren lassen. Ob Klaus Michael Grübers „Krönung der Poppea“, die 1999 das erste Mal in Aix-en-Provence über die Freiluftbühne des Théâtre de l’Archevêché ging, wirklich in diese Rubrik gehört, darüber kann man (erst recht jetzt nach der Wiederbegegnung) geteilter Meinung bleiben. Nicht nur, weil die laue Sommernachtluft, die die hübsch behäbige Bebilderung seinerzeit verschönerte, im berühmten Theatre National Populaire in der Vorstadt Villeurbanne heuer fehlte und sich der Sängernachwuchs ausprobieren durfte. Sébastian d’Hérin dirigierte und aus dem Ensemble ragte Aline Kostrewa als Ottone heraus.

Mit den Hauptproduktionen im Opernhaus freilich verhält es sich anders. Das fängt schon mit den beiden so verschiedenen Theatergenies Ruth Berghaus (1927-1996) und Heiner Müller (1929-1995) an, die auch dann noch mit der DDR verbunden blieben, als sie mit den dort Herrschenden aneinander gerieten. Die Elektra-Inszenierung der auf Eigensinn und Perfektion bestehenden und die Ästhetik ganzer Generationen prägenden Regisseurin Rut Berghaus lief seit 1986 noch bis vor kurzem an der Semperoper. Der Sprungturm, den Hans Dieter Schaal hinter dem auf die Bühne postierten, groß besetzten Orchester wiederauferstehen ließ, passt als metaphorischer Raum wie maßgeschneidert in die dunkel nüchterne Arena in Lyon. Hier lenkt kein Prunk vom Verhängnis ab.

Das gilt auch für den instinktiven szenischen Geniestreich des immer verqueren Autors und Regisseurs Heiner Müller bei seinem Operndebüt, das 1993 gleich mit dem Tristan und gleich in Bayreuth über die Bühne ging. Und Furore machte. Was auch seine Richtigkeit hatte und auf Wolfgang Wagners Kappe geht! Auch hier ist es die Ästhetik der Reduktion, die besticht. Die neubayreuther Statuarik der Figuren, umrahmt Erich Wonder zunächst mit der ruhigen Farbenpracht, die von Marc Rothko inspiriert scheint. Dem fügt er ein metaphorisches Unterholz aus Harnischen und schließlich einen grauen Schotterboden a la Anselm Kiefer hinzu. Nicht zuletzt diese Affinität zur Kraft der bildenden Kunst macht die Szene zu einem in Lyon herangezoomten Bühnenzauberwürfel. Mit dem goldumfluteten Liebestod als Höhepunkt! 

Dass das in beiden Fällen auch zu einem frischen (retrofreien) musikalischen Ereignis von Rang wurde, ist in erster Linie Hartmut Haenchen zu verdanken. Und zwar nicht, weil der Dresdner mit dieser Elektra aus ihren Anfängen vertraut ist. Sondern weil er in den letzten Jahrzehnten zu einer Strauss- und vor allem Wagner-Koryphäe wurde, die lange im Ausland mehr galt, als im eigenen Lande. Er schaffte es natürlich auch mitten in Frankreich mit dem heimischen französischen Orchester die Musik der beiden deutschen Richards lodern zu lassen, mit Präzision und Sängergenauigkeit zu bestechen und letztlich auch den Geist der Produktionen musikalisch gleichsam neu zu beschwören. Die aktuelle Bayreuther Kundry Elena Pankratova führt souverän das Elektra-Ensemble an, aber auch Katrin Kapplüsch als lebenshungrige Chrysothemis und vor allem Lioba Braun als Klytämestra beeindrucken mit ihrer Präsenz. Neben Ann Petersen (Isolde) und Daniel Kirch, der als eher belcantischer Tristan bis an seine Grenzen ging, war die Brangäne von Eve-Maud Hubeaux eine vokale Überraschung, Christof Fischesser (wie schon als Orest) ein eindrucksvoller Marke und Alejandro Marco-Buhrmester eine veritabler Kurwenal.

Solche Retro-Experimente, wie sie Dorny gerade erfolgreich zelebriert, sind sicher nicht die Zukunft der Oper – aber sie erinnern an die Maßstäbe, an denen man messen kann. Im nächsten Jahr wird sich das Festival in Lyon auf Verdi konzentrieren und „Macbeth“, „Don Carlo“ und „Attila“ zur Diskussion stellen.

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