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Ich geh unter lauter Schatten, Elisabeth Stöppler. Im Uhrzeigersinn: Kerstion Avemo,Kristina Stanek, Sophia Burgos, Klangforum Wien, musikalische Leitung Peter Rundel. © Volker Beushausen, Ruhrtriennale 2022.
Ich geh unter lauter Schatten, Elisabeth Stöppler. Im Uhrzeigersinn: Kerstion Avemo,Kristina Stanek, Sophia Burgos, Klangforum Wien, musikalische Leitung Peter Rundel. © Volker Beushausen, Ruhrtriennale 2022.
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Eröffnung der RuhrTriennale 2022 mit Elisabeth Stöpplers Musiktheater Kreation „Ich geh unter lauter Schatten“

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Für Eingeweihte sind sie als Vertreter einer eigenwilligen musikalischen Moderne keine Unbekannten. Aufmerksame Konzertbesucher sind ihnen früher oder später schon einmal begegnet. Für das Programm der mittleren Jahresscheibe der von Barbara Frey verantworteten RuhrTriennale, liefern diese Komponisten das künstlerische Eröffnungsstatement: Giacinto Scelsi (1905-1988), Gérard Grisey (1946-1998), Claude Vivier (1948-1983) und Iannis Xenakis (1922-2001).

Regisseurin Elisabeth Stöppler hat Lieder und Stücke bzw. „Schwellengesänge“ dieser Komponisten unter dem poetischen Titel „Ich geh unter lauter Schatten“ vereint und zusammen mit dem Bühnenbildner Hermann Feuchter in die Bochumer Jahrhunderthalle – tja was eigentlich? – gezaubert, imaginiert? Jedenfalls ist diese Halle in der Geschichte der RuhrTriennale bislang kaum so exponiert selbst zu Worte (oder zum Zuge) gekommen, wie an diesem Abend.

Von den Zuschauertribünen blickt man in die Halle mit ihrem Riesenfenster an der Giebelseite. Über die Länge der so entstehenden Bühne hat Feuchter vier Laufstege aus Metall, die wie aus der Konstruktion der Halle selbst erwachsen scheinen, an jeweils einem Ende von der umlaufenden Galerie in den Raum abknicken lassen. Darauf und dazwischen bewegen sich die mit durchnummerierten Stimmen bezeichneten Solistinnen (jeder Sängerin ihren Steg), die Ensemble Chorwerk Ruhr und die von Peter Rundel von wechselnden Positionen aus dirigierten Musiker des Klangforum Wien. Der optische Eindruck von Kreuz und Quer ist überwältigend und wird durch das ausgeklügelte Licht-Design von Ulrich Schneider in eine zusätzliche Dimension erweitert. Inklusive einer imaginierten Beleuchtung von außen durch das Glasdach der Jahrhunderthalle, die Tageshelle vorzutäuschen vermag. 

Die optisch dominierenden Stege werden zu metaphorischen Wegen nach unten oder auch nach oben, weil es um Wechsel dieser Art tatsächlich geht. Und zwar so, wie er grundsätzlicher kaum denkbar ist. Für Menschen ist das der Wechsel vom Leben zum Tod, das Sterben. Da aber Menschen denkende, sich selbst reflektierende Wesen sind, vermögen sie – zumindest von der einen Seite (der des Lebens) aus über die andere zu spekulieren. Oder zu glauben, also auch nicht mit einem Faktencheck Überprüfbares anzunehmen. Auf jeden Fall setzten sie sich früher oder später mit diesen Übergängen auseinander. Genau hier eröffnet sich die Chance, dass naturwissenschaftliche Banalität der Antrieb für Kunst wird. In diesem Fall eine komplexe musikalisch szenische, die einen gewissen Hang zum Eskapismus wohl nicht mal leugnen würde. Aber die RuhrTriennale ist per se nicht als Sommertheater der leuchtverdaulichen Art gedacht. War sie noch nie. Also gehört die Begegnung von Versuchen der Macher und das Akzeptieren von Geheimnisresten bei aufgeschlossenen Rezipienten zur Besonderheit vieler der Angebote. Das gilt in diesem Jahr gleich für die Eröffnung.

Mit Scelsis Stück Okanagon (1968) für Harfe, Kontrabass und Tam-Tam, mit seinen pulsenden, gongartigen Schlägen, die sich aus einer weit entfernten Ecke wie Wellen im Raum verbreiten, wird der sozusagen in Besitz genommen. Dann folgt das erste der zentralen Lieder von Grisey, die den Kern des Einhundertminutenabends bilden. „Quatre chants pour francir le seuil“ (Vier Gesänge, die Schwelle zu übertreten) sind vier Variationen über den Tod. Grisey hat sie kurz vor seinem Tod komponiert. Der erste ist „Der Tod des Engels“ mit Sophia Burgos.  Die zweite „Der Tod der Zivilisation“ dem Kerstin Avemo Stimme und Gestalt verleiht. Dem folgt Der Tod der Stimme (mit Kristina Stanek) und als letzte singt Caroline Melzer „Der Tod der Menschheit“. Was vier mal intensiv gestalteter Gesang bedeutet, der hier seinen originären Ort gefunden zu haben scheint. Was analog auch für die teils in Wortmalerei eskalierenden kollektiven Beiträge des Chorwerk Ruhr und natürlich für die Musik des Klangforum Wien gilt. 

Ein erstes Intermezzo zwischen den Liedern bildet Viviers „Glaubst du an die Unsterblichkeit der Seele“, mit der er fast schon gespenstisch seine eigene Ermordung unmittelbar vorausahnte. Eric Houzelot verlässt für den verbal beigesteuerten Bericht über den Mord seinen Platz am Klavier. Das zweite liefert Griseys „Tempus ex machina“ für sechs Schlagzeuger, das den Raum so flutet, dass ihm niemand entkommt. Das dritte ist Xenakis’ „Nuits" für zwölf gemischte Stimmen. Ganz am Ende, nach dem „Tod der Menschheit“, folgt immerhin ein Wiegenlied (Berceuse). 

Eine Handlung gibt es hier naturgemäß nicht. Die Regie erfindet auch keine. Es wird auf den Stiegen auf- und abwärts geschritten, oder in Formation aufmarschiert, zu Boden gegangen oder sich wieder aufgerappelt, dem Klang und der Wirkung von Licht- und Raumveränderungen nachgelauscht. Auf der Zuschauertribüne wird bei alledem gegen eine Hitze gekämpft, die es diesmal mit der bei der Eröffnung der Festspiele in Bayreuth locker aufnehmen konnte.  

Elisabeth Stöppler hat es jedenfalls geschafft, Kompositionen, die ohne Szene erdacht wurden, zu einem mit purer Bewegung sparsam umgehenden, eindrucksvoll rätselhaften, allemal assoziationsoffenen Stück Musiktheater zu verbinden. Zumindest bei der RuhrTriennale findet sie dafür ein Publikum, das sich auch ohne eine erkennbare Handlung beeindrucken und in einen anderen Zustand versetzen lässt. Immer im Bereich der Lebenden versteht sich, die bereit sind, über „das Andere“ nachzudenken.  

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