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Rembrandt Harmensz. van Rijn: Die Auffindung des Moses. um 1635, Feder, 17 × 23,2 cm
Rembrandt Harmensz. van Rijn: Die Auffindung des Moses. um 1635, Feder, 17 × 23,2 cm
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Es werde Licht: „Wir brauchen einen neuen Moses!“ – Rubinsteins „Moses“ in Warschau

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Selbst Opernkenner denken bei „Moses“ vor allem an Schönberg, vielleicht auch an Rossini. An Rubinstein denken sie nicht - Michail Jurowski will das unbedingt ändern. Anton Rubinstein (1829-1894) wird heutzutage vor allem als begnadeter Pianist erinnert. Dass der brillante Virtuose, Franz-Liszt-Freund und Gründungsdirektor des berühmten Konservatoriums von Sankt Petersburg auch ein ebenso begnadeter wie schaffensreicher Komponist gewesen ist, wissen beinahe nur mehr musikalische Kenner. Vieles aus seinem reichen Œuvre ist so gut wie vergessen – und manches hatte nicht mal dazu die Chance.

Sein „Moses“ zum Beispiel, offiziell als „geistliche Oper in acht Bildern“ bezeichnet, schaffte es 1892 lediglich bis zu szenischen Endproben in Prag. Warum darauf keine Premiere folgte, ist bis heute nicht bekannt; vermutet werden antisemitische, vielleicht auch finanzielle Gründe. Ein gutes Jahr später dirigierte der Komponist in einem Konzert mit dem Gewandhausorchester drei Teile aus „Moses“ in Leipzig, 1894 schließlich sollen auch in Riga Fragmente aufgeführt worden sein. Hernach geriet Rubinsteins „Moses“ in Vergessenheit. Arnold Schönberg sorgte viele Jahre später mit seinem Opernfragment „Moses und Aron“ für stärkeres Aufsehen, das bis in die heutige Zeit anhält, hin und wieder gerät auch Gioacchino Rossinis „Mosè in Egitto“ („Moses in Ägypten“) ins Repertoire (zuletzt im Sommer 2017 bei den Bregenzer Festspielen).

Dass sich der 1945 in Moskau geborene und in der Sowjetunion wegen seiner jüdischen Herkunft stark angefeindete Dirigent Michail Jurowski seit langem für Rubinsteins „Moses“ interessiert und nun auch dessen moderne Erstaufführung realisiert hat, führt er auf ein Zitat aus Michail Bulgakows „Meister und Margarita“ zurück: „Manuskripte brennen nicht“ heißt es darin. Gemeint ist damit der vor den Nazis (die bekanntlich weder vor dem Verbrennen von Büchern noch dem von Menschen Halt gemacht hatten) gerettete Schatz des Verlagskonvoluts von Bartholf Senff, Leipzig. Jurowski würde nie so weit gehen, sich als Wiedergänger der legendären Moses-Figur zu betrachten, doch auch er sehnte sich Ende der 1980er Jahre nach einem „Verheißenen Land“ und fand es in Deutschland, wo er und seine Familie noch vor dem Mauerfall aufgenommen worden sind.

Inzwischen habe sich die Welt dahingehend entwickelt, so Jurowski in Warschau, dass man „einen neuen Moses“ brauche. Doch wahrscheinlich müsste diesmal mehr als vierzig Jahre gewartet werden …

Geduld und Zuversicht war bekanntlich schon in der Legendensammlung der Bibel angesagt. Moses, einst im Schilf des Nils ausgesetzt und dann von der eigenen Mutter als Amme umsorgt, wird mit den Gesetzestafeln vom Berge Sinai ebenso in Verbindung gebracht wie mit dem Brennenden Dornbusch und dem Tanz seines frühchristlichen Volkes ums Goldene Kalb. Solche Allegorien haben zahlreiche Kunstschaffende in Literatur, Malerei und Musik angeregt, jene wundersamen Metaphern in Worte, Bilder und Klänge umzusetzen.

Anton Rubinstein, von dessen Opern allenfalls „Der Dämon“ bleibende Beachtung gefunden hat, notierte für seinen geradezu oratorischen „Moses“ mehr als zwanzig Gesangspartien, zwei Chöre sowie großes Orchester. Dass Michail Jurowski als Erster Gastdirigent mit der Sinfonia Juventus in Warschau einem äußerst engagierten und leistungsstarken Klangkörper vorsteht – gegründet vor zehn Jahren und seitdem vom polnischen Kulturministerium getragen – hat sich als großes Glück für seinen Traum erwiesen, den er auch gern als „mein Lebenswerk“ bezeichnet. Die jungen Musikerinnen und Musikern haben sich diesem Mammutprojekt trotz erheblicher finanzieller Hürden mit größtmöglicher Energie gewidmet. Nach einer intensiven Probenphase, die von Studioaufnahmen für eine „Moses“-CD begleitet worden sind, gab es am 15. Oktober im Haus der Warschauer Philharmonie die längst überfällige komplette Erstaufführung von Rubinsteins „Moses“. Der überwältigende Erfolg gab sowohl Jurowski als auch sämtlichen daran beteiligten Künstlerinnen und Künstlern wirkungsvoll Recht.

Wundertäter Moses

Rubinsteins Komposition ist von einem gläubig überzeugten Gigantismus geprägt, reflektiert reichlich Romantik und wagt pompöse Aufbrüche in die frühe Moderne. Dramaturgisch enorm packend werden die Szenen an Nil und Jordan, am Hofe des Pharao sowie am Berge Sinai, beim Brennenden Dornbusch und dem Tanz ums Goldene Kalb mit einer – aus heutiger Sicht – geradezu filmischen Musik dargestellt. Für szenische Umsetzungen dürfte er höchst herausfordernd sein, sich dieses Opus’ einmal anzunehmen. Aber auch die konzertante Warschauer Aufführung ist hörbar ein Kraftakt gewesen. Just im Polen von heute ist dieser „Moses“ – neben seiner künstlerischen Potenz – auch inhaltlich ein kulturell werthaltiges Bekenntnis. Ein Ereignis von europäischem Rang.

So war es geradezu logisch – und wegen der gleichzeitigen Einspielung für die 2018 bei Warner erscheinenden CD auch vonnöten –, dass neben dem grandios aufspielenden Orchester und den bestens präparierten Chören eine internationale Solistenriege engagiert worden ist. Die Titelpartie gestaltete mit Stanislaw Kuflyuk ein nobel agierender Bariton, Moses’ Mutter Johebet sang Malgorzata Walewska mit zupackendem Mezzo, als deren Tochter Miriam überzeugte Chen Reiss ebenso hinreißend wie Evelina Dobraceva als Pharaonentochter Asnath.

Es wären viele Namen zu nennen, etwa der von Jerzy Trela, einem der führenden Film- und Theaterschauspieler Polens, der zur besseren Verständlichkeit der acht Szenen als Erzähler in polnischer Sprache eingesetzt worden ist und dem Projekt auch werbewirksam sein charaktervolles Gesicht lieh. Aaron, den Bruder von Moses, hat Bastian Thomas Kohl als gleichsam zerrissener Hüter und Bewahrer eines noch unbewiesenen geistigen Erbes dargestellt. Noch größer war der inhaltlich zu bewältigende Spagat für Torsten Kerl, der als Pharao den frühen Christenverfolger sowie als Gottes Stimme den geistigen Führer mit Alleinvertretungsanspruch zu geben hatte. Beides gelang dem starken, seine schiere Kraft freilich stets fein dosierenden Tenor ebenso textverständlich wie überzeugend.

Ein wie auch immer „Verheißendes Land“ oder eine ihm dienliche Instanz ist derzeit nicht in Sicht. Der legendäre Wundertäter Moses ist allerdings dank des fortwährenden Engagements von Michail Jurowski für diese oratorische Oper von Anton Rubinstein in einer eindrucksvollen Sicht dargestellt worden. Verbunden mit der Vorfreude auf die CD ist ganz gewiss die Hoffnung, das eine oder andere Musiktheater für dieses Werk interessiert zu haben.

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