An der Staatsoper Hamburg bringen Kent Nagano und Dmitri Tcherniakov „Ariadne auf Naxos“ von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal auf die Bühne. Ein Hochgenuss.

Björn Bürger, Anja Kampe, Wolfram Koch, Michael Heim, Olivia Warburton. Foto: Monika Rittershaus
Familienfeier mit Risiko – „Ariadne auf Naxos“ in Hamburg
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Regisseur Dmitri Tcherniakov hat mit der jüngsten „Ariadne auf Naxos“-Produktion an der Staatsoper Hamburg nach „Elektra“ (2021) und „Salome“ (2023) eine Richard-Strauss-Trilogie komplettiert. So ähnlich wie es der designierte Intendant des Hamburger Hauses Tobias Kratzer nach „Arabella“ und „Intermezzo“ gerade mit der „Frau ohne Schatten“ an der Deutschen Oper in Berlin gemacht hat.
Auch diesmal kommt Tscherniakow, der sich die Bühnenbilder immer selbst dazu erfindet, den Zuschauern (wie schon bei den beiden Einaktern) mit der Opulenz eines großbürgerlichen Ambientes auf halbem Weg entgegen. Im Falle dieses besonderen Stückes, das aus einem gescheiterten Zwitterversuch aus Schauspiel und Oper entstand, lässt sich das sogar mit der Vorgabe des Librettos von Hugo von Hofmannsthal legitimieren.
Das wiederum scheint dem Regisseur nicht ganz geheuer gewesen zu sein. Mit einigem Orginalitätsehrgeiz würzte er die Vorlage nach. Dabei verlegte er das Stück in einem kommentierenden Abspann („… Alles ist ein Spiel am Rande des Abgrundes …“) ausdrücklich an den Vorabend des ersten Weltkrieges. Sozusagen mit dem Effekt eines „Zauberberg“ – Finales a la Thomas Mann. Wobei die Kostüme von Elena Zaytseva das nicht so explizit machen, sondern mit einer ungefähren Gegenwart aufs Allgemeinere zielen.
Im Finale setzt sich der gesamte, wieder hübsch üppige Salon mit einem Pusteblumenleuchter als Clou aus der Kategorie Augenschmaus auf der Drehscheibe in Bewegung und postierte das gesamte überlebende Personal hinter einer Fassade, hinter die wir davor geblickt hatten. Angesichts der in Erinnerung gebrachten, dann heraufziehenden Katastrophe wirken die Probleme, die hier vorher verhandelt wurden, ziemlich kleinteilig.
Anders als in der Vorlage gab es diesmal aber einen Toten. Denn Tscherniakov behauptet in einer rahmenden Einblendung, dass die ganze Veranstaltung im Hause des reichsten Mannes von Wien ein bestelltes und bezahltes Event zur Silberhochzeit des Ehepaares Ariadne und Theseus ist. Schauspielstar Wolfram Koch macht aus dieser (hinzugefügten) Doppelrolle des Theseus als Gastgeber und mitspielendem Haushofmeister ein Kabinettstück. Dass er mit seinem expressiven Spiel immer ein klein wenig übertreibt, passt, weil er ja sozusagen sein Mitspielen vorspielt.
Weil der Regisseur einmal (ganz so wie der reichste Mann von Wien in der Vorlage) beim „Umstoßen“ ist, wird (via Einblendung) der Musiklehrer zu Ariadnes Vater, Zerbinetta zur Cousine und den Tenor Bacchus zu deren neuem Freund. Najade, Dryade und Echo werden in diesem Setting zu Tanten. Irgendwie sind hier also alle miteinander verwandt.
Dass die Regie den Hausherrn Theseus dann aber sterben lässt und die ganze Geschichte um drei Monate unterbricht, um aus der komponierten tragischen Oper des jungen Komponisten, die eskalierende Trauer der Witwe zu machen, ist auch neu. So werden die dazwischenfunkenden, aufmunternden Einwürfe von Zerbinetta und ihrer Truppe zu einer Art Trauertherapie für Ariadne. Die verhallt erst ungehört, schlägt dann aber doch an. Sie kehrt ins Leben, sprich in den Kreis der anderen, zurück. Das hat (für Kenner des Werkes) stellenweise seinen Reiz, wirkt am Ende aber doch etwas allzu willkürlich. Die Handlungslogik kommt durch das gleichzeitige in und neben dem Stück spielen ins Stolpern. Im Grunde ist nämlich die Vorlage schon hinreichend mit Spiegeln für diverse Aha-Effekte der Selbsterkenntnis ausgestattet, so dass es einer zusätzlichen Ebenen nicht bedarf.
Musikalisch freilich sind Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg dicht bei der Melange aus melodischem Schwelgen, Andeuten, Sichselbstzitieren und komödiantischem Witz, die diese Mischung aus großer Oper und Komödie zum Genuss macht.
Zudem überzeugt das Protagonistenensemble. An der Spitze leuchtet die imponierend strahlende Anja Kampe, die neben (oder über) Ariadne und Prima Donna hier auch noch die trauernde Witwe glaubhaft machen muss. Der wohltimbrierte Tenor Jamez McCorkle wird von Zerbinetta zum Quasi-Therapeuten an die Seite der trauernden Witwe geschickt und bedient sich dafür der noch im Regal deponierten Partiturblätter, die sonst dem Deus ex machina Bacchus zugedacht sind.
Gleich neben Ariadne brilliert Nadezhda Pavlova, die als lebenskluge, pragmatische Zerbinetta verdientermaßen den obligaten Szenenapplaus für ihre Koloraturakrobatik mitnehmen kann. Ella Taylor ist der zunächst trotzig auf seinem Werk bestehende, aber nach einem Kuss von Zerbinetta schnell kompromissbereite Komponist. Martin Gantner und Peter Tantsits bleiben zwar nicht stimmlich, dafür aber darstellerisch hinter dem komödiantischen Potenzial ihre Rollen als Musiklehrer und Tanzmeister zurück. Als Zerbinattas Commedia-dell’arte-Truppe profilieren Björn Bürger (Harlekin), Florian Panzieri (Scaramuccio), Stephan Bootz(Truffaldin) und Daniel Kluge (Brighella) das Männerquartett ebenso prägnant wie es Olivia Warburton (Najade), Aebh Kelly (Dryade) und Marie Maidowski (Echo) mit der szenisch dezent integrierten Nymphen-Verwandtschaft gelingt.
Alles in allem ein musikalischer Hochgenuss. Dazu eine szenische Opulenz, die letztlich auch die Ambitioniertheit der Regie überstrahlt.
Information
- Staatsoper Hamburg: R. Strauss: Ariadne auf Naxos (besuchte Vorstellung am 5.2.25)
- Kent Nagano (Leitung), Dmitri Tcherniakov (Regie & Bühne), Elena Zaytseva (Kostüme), Gleb Filshtinsky (Licht), Wolfram Koch, Anja Kampe, Nadezhda Pavlova, Jamez McCorkle, Martin Gantner, Ella Taylor, Michael Heim, Peter Tantsits, Grzegorz Pelutis, Hubert Kowalczyk, Björn Bürger, Florian Panzieri, Stephan Bootz, Daniel Kluge, Olivia Warburton, Aebh Kelly, Marie Maidowski, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
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