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Fantastische Reise zum Ursprung der Welt

Untertitel
Uraufführung von Claudio Ambrosinis „Big Bang Circus“ in Venedig, Musikbiennale im Aufbruch
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Neustart bei der Biennale Venedig. Der im letzten Dezember ernannte Präsident der Biennale, der frühere Industriemanager Franco Bernabè, gab am 11. Oktober die Programmpolitik der Sektoren Musik/Theater/Tanz für die nächsten Jahre bekannt. Wichtigste Neuerung ist, dass die Direktoren künftig jedes Jahr wechseln werden. Verantwortlich für die Musikprogramme der Biennale Venedig sind 2003 Uri Caine und 2004 Giorgio Battistelli. Für das Jahr 2005, in dem das abgebrannte Teatro Fenice wieder eröffnet werden soll, gibt es noch keine definitive Ernennung. Vorgesehen sind jedoch gemeinsame Musik/Tanz-Projekte in Zusammenarbeit mit Michail Barishnikov, dem Tanzdirektor für 2004. Zu den Programmverantwortlichen im Sektor Theater gehört unter anderen Peter Sellars (2003). Die Pläne signalisieren eine Akzentverschiebung hin zu einer Ästhetik der Mischformen und Querverbindungen. Wenn bei dieser aktuellen Orientierung auch die Traditionen der klassischen Avantgarde nicht unter den Tisch fallen, kann sich ein perspektivenreicher Programm-Mix ergeben.

2002 gab es im Sektor Musik zwei Veranstaltungsserien, die trotz ihres Übergangscharakters ein durchaus eigenes Gesicht hatten: Im Mai ein dreitägiges Klavierfestival und nun im September eine Serie von Konzerten und szenischen Produktionen. Einen Schwerpunkt bildete die Uraufführung des Musiktheaterstücks „Big Bang Circus“ von Claudio Ambrosini im Piccolo Teatro Arsenale, einer einfachen, aber zweckmäßig eingerichteten Off-Bühne am Rande der weitläufigen Militäranlagen im Osten der Stadt.

Der 1948 geborene Ambrosini, Komponist und langjähriger Leiter des Ex Novo Ensemble Venedig, nennt sein Werk im Untertitel eine „kleine Geschichte des Universums“ und deutet damit die Schwierigkeit, aber auch den Reiz seines Unterfangens an: Die größte aller Erzählungen, den Mythos vom All, auf die Miniaturform einer Kammeroper zu reduzieren. Die Kosmogonie als Kammerspiel. Das Libretto verfasste er zusammen mit dem Theaterschriftsteller und Dramaturgen Sandro Cappelletto, der ihm vor zwei Jahren auch schon den Text zu einer abendfüllenden, semiprofanen Markus-Passion geliefert hat.

Im ersten der beiden Teile verknüpfen die Autoren Textfragmente aus Schöpfungsmythen von den Sumerern bis zu den Azteken, von den Ägyptern bis zu den Eskimos, von der Bibel bis zum Taoismus zu einem dichten semantischen Beziehungsnetz. Der zweite Teil, der mit einem Dialog zwischen dem Schach spielenden Albert Einstein und dem würfelnden Max Born anfängt, stellt philosophisch-naturwissenschaftliche Deutungsmuster von heute ins Zentrum. Ein hübscher Einfall der Autoren, die Entwicklung der Welt mit Lichtgeschwindigkeit zum Ursprung zurück zu verfolgen, so dass das Publikum nach der Theaterreise durch Raum und Zeit am Schluss Zeuge des mystischen Big Bang wird: Ein ferne zuckendes Licht, untermalt von elektronischen Sphärenklängen, die sich im Raum verlieren.

Das Libretto, dessen Charakter als Zitatenmontage von Ferne an Massimo Cacciaris Textsteinbruch zu Nonos „Prometeo“ erinnert, inspirierte Ambrosini zu einer farbigen und gestenreichen Partitur. Von der geräuschhaften Aktion bis zu kollektiven Klangprozessen hält sie ein breites Spektrum an Zwischentönen bereit. Von dem unter Marcello Panni musizierenden Ex Novo Ensemble wurde diese Klangvielfalt sorgfältig realisiert und durch die Live-Elektronik (Alvise Vidolin) zum suggestiven Raumklang ausgeweitet. Die Stimmen der vier Gesangssolisten sind meist zu mehrstimmigen Vokalsätzen gebündelt – Madrigalismen, durch die all die poetisch beschworenen Naturerscheinungen, die archetypischen Rituale und mythologischen Figuren aus der Sphäre der Individualität herausgeholt und als Allegorien und Inkarnation kollektiver Sehnsüchte und Fantasien gedeutet werden.

Für die Bühne schuf Philippe Marioge einen neutralen schwarzen Raum mit verstellbaren Wandelementen, die sich leicht auch zu Kammern und Spiegelkabinetten zusammenstellen lassen. Im Zusammenspiel mit den vielfältigen Lichtwirkungen entstand so ein durchaus brauchbarer Rahmen für das zu erwartende Wundergeschehen. Doch aus dem Angebot der Partitur an fantastischen Bildern und Klängen vermochte die Inszenierung wenig herauszuschlagen. Die Regisseurin Christine Dormoy ließ die vier Protagonisten vorwiegend feierlich auf und ab schreiten, wodurch wenigstens die bunten Kostüme von Stefania Battaglia zur Geltung kamen.

Ein weiteres Handicap lag im Stück selbst. Vielleicht aus Angst, das abstrakte Geschehen nicht richtig über den Bühnenrand bringen zu können, führten die Autoren die Figur des „Presentatore“ in ihre Geschichte ein, eine Art Zirkusdirektor oder Jahrmarktrufer, der die Szenen wortreich ansagt und kommentiert. Ein Fehler, wie sich nun erwies, denn der Darsteller dieser Sprechrolle machte sich das Inszenierungsvakuum zunutze und spielte sich ebenso virtuos wie hemmungslos ins Zentrum und die musikalischen Partien an die Wand. Ambrosini will nun offenbar eine kürzere, rein musikalische Fassung ohne Sprechrolle ausarbeiten. Davon kann das Stück nur profitieren.

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