Die Allgegenwärtigkeit macht ihn unsichtbar, in Sprichwörtern und Liedern ist er lebendig, gefunden und gesammelt tritt seine Unterschiedlichkeit zutage – aber wie klingt er?
Die Allgegenwärtigkeit macht ihn unsichtbar, in Sprichwörtern und Liedern ist er lebendig, gefunden und gesammelt tritt seine Unterschiedlichkeit zutage – aber wie klingt er?Die Steinbildhauer erkennen am Klang des Steins seine Beschaffenheit, aber der Klangqualität nachzugehen, das war der besondere Einfall des 1989 verstorbenen Steinbildhauers Elmar Daucher, als er bei einem Auftrag, eine Steinskulptur für eine Behindertenschule zu gestalten, alle drei Möglichkeiten realisierte: Betrachten, Betasten und Bespielen. Die Technik der fugenartigen Einschnitte in den Stein war von ihm schon zuvor verwendet worden; um mehr Klang zu erzielen, mussten die Einschnitte nur tiefer gemacht werden, damit die dazwischen stehen bleibenden Lamellen besser schwingen konnten – eine Klangsteinentwicklung hatte begonnen. 1986 konnte man im Ulmer Münster die großen, unterschiedlichen Kuben betrachten. Einzelne Exemplare, auf Schaumgummi gelagert und mit Hartgummischlegeln angeschlagen, hatten einen Nachhall von sieben Sekunden. Die nächste Begegnung mit Klangstein fand im Dezember 2001 statt, als Klaus Feßmann zum Abschluss der Tagung „Klangökologie – Klangdesign“ einen seiner Klangsteine bespielte. Eine Vertiefung des Themas versprach die nächste Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing zusammen mit der Universität Mozarteum in Salzburg. Im Konzertsaal des Orffinstituts sahen um die 100 interessierte Teilnehmer Klaus Feßmann zu, wie er einen etwa 40 mal 40 mal 130 Zentimeter großen, etwas abgeschrägten Serpentinitkubus, der durch breite Fugen in 9 Lamellen unterteilt war, mithilfe warmen Wassers, das er auf die polierten Flächen des Steins verteilte, durch sanftes Reiben in Schwingung versetzte. Die Lautlosigkeit seines Tuns war faszinierend.Ohne den Geräuschanteil eines Anschlags oder Anstrichs fing der Stein an zu tönen: Es waren tiefe, mittlere und Obertöne zu hören, die ungebremst ausschwingen konnten – auch ohne Mikrofonierung, als ein Zuhörer das Abschalten vorschlug. Zu Beginn des Vortrages also Klang. Auch zwischen den schnell und komprimiert vorgetragenen Fakten immer wieder Klangereignisse. Ausgehend von der in Mythen erwähnten göttlichen Natur der Steine – Wohnstätten für Götter, Götterbilder – hatte er Kompositionen für Lyrik und Musik begonnen. 1990 Aufführung von „Habakuk 2“ in einer Höhle. Dann – auf einen Hinweis hin – Kennenlernen und Spielen eines Klangsteins von Elmar Daucher und von da an eigene Entwicklung und Herstellung von bis jetzt 35 Klangsteinen. Ihre dauernde Beobachtung und Erprobung – welche Temperatur, welche Luftfeuchtigkeit? – förderte auch ihre Klangentwicklung, die manchmal Wochen aber auch Jahre dauern kann. Er entwickelte eine eigene Spieltechnik.
Instrumentenbau, Komposition und Interpretation wurden eine Einheit. Das Spiel mit den Steinen veränderte den Menschen. „Wenn ich spiele, spreche ich mit dem Stein oder er mit mir? Was bewegt er, eröffnet sich Welttiefe im Molekularstrom?“ Die Klangarbeit zog immer weitere Kreise: Mitspielende Musiker stimmten ihr Instrument nach den Steinen, Psychologen und Klangarchitekten begannen die Wirkungen zu erforschen. Eine Schule erwarb drei Klangsteine und Schüler und Lehrer machten Erfahrungen mit einer neuen Klang- und Lebensqualität.
Klaus Feßmann hat für ihn wichtige Wissenschaftler zur Tagung eingeladen: Der Geologe Helmut Schmidt-Witte aus Balingen gab einen kurzen Überblick über seine noch relativ junge Wissenschaft. Erst seit 250 Jahren hatten sich aus dem Erzbergbau die Erforschung der Erdgeschichte, der Lagerungsverhältnisse der Gesteine und, in dem Maß wie die verkehrstechnische Entwicklung des Globus fortschritt und der Austausch sich intensivierte, viele Teilgebiete entwickelt wie Vulkanologie, Ozeanologie, Meteorologie, Erdbebenkunde. Das Wissen um das Weltklima, die Endlichkeit der Ressourcen, veränderten das Bild einer starren Weltkugel in Richtung Lebendigkeit des Erdkörpers, nicht zuletzt dadurch, dass die Kontinentalverschiebung wirklich messbar ist und Tremorerscheinungen im Gneis in die Hörbarkeit übertragen werden können.
Dann machte Gretel Schwörer-Kohl vom musikwissenschaftlichen Institut der Universität Halle mit der alten chinesischen Klingsteinkultur bekannt – im Unterschied zum Klangstein, wird dieser mit dem Hammer angeschlagen. Aus regionalem Material hergestellt – Marmor und Sandstein, später auch Jade –, stammen die ältesten Funde – drei Steine in der Stimmung ais„, cis„, dis„, – aus der Zeit um 2.000 vor Christus.
Nach dieser Exkursion wurden die Teilnehmer, unterbrochen von Klaus Feßmanns Steinklängen, von Christian G. Allesch in die Polyaisthesis, eine integrative Sinneswissenschaft eingeführt. War in seinem Vortrag die Integration allen künstlerischen Schaffens in ein philosophisches Gebäude das Hauptanliegen, so plädierte Michael Wieck in seinem Vortrag „Töne statt Worte“ dafür: „Einfach immer wieder aus dem Haus der Gewohnheit heraustreten!“ Er gab Einblick in seine Tätigkeit als Konzertmeister berühmter Orchester, die Verantwortung des Interpreten im Umgang mit den ihm anvertrauten Kompositionen.
Ein Podiumsgespräch zwischen Klaus Feßmann und dem Diplompsychologen Rolf Verres aus Heidelberg zum Thema „Resonanzen zwischen Steinen und Seelen“ entsprach dem Titel. In gelöster Atmosphäre bot jeder der beiden Künstler dem Gegenüber seine Erfahrungen an. Dabei wurde klar: Wichtig neben Leistung und Kunstanspruch ist das Erspüren von neuen Möglichkeiten des Psychologen, die weiterführenden Fragen zu stellen, des Klangkünstlers, die Beseeltheit des Steins „herauszuzaubern“.
Limpe Fuchs