Hauptrubrik
Banner Full-Size

Feldman und die Viola

Untertitel
Neue Bratschen-Stücke in Kölns „Musik der Zeit“
Publikationsdatum
Body

Wie neu ist Neue Musik? Wie definiert sich überhaupt das „Neue“? Ist Donaueschingen „out“? Wer aber wäre dann „in“? Vielleicht der Westdeutsche Rundfunk, Abteilung Neue Musik? Seit fünfzig Jahren existiert dort die Veranstaltungsreihe „Musik der Zeit“. Und ebenso lang das Elektronische Studio. Im Augenblick arbeitet man an einer großen Dokumentation. Schon das Betrachten der Korrekturfahnen wirkt fast verwirrend: Was alles ist in Köln in fünf Jahrzehnten zum ersten Mal erklungen: Über fünfhundert Uraufführungen enthält die Statistik, davon über die Hälfte Auftragswerke des WDR für die Musik-der-Zeit-Reihe und die Wittener Tage für Neue Kammermusik, für die der Westdeutsche Rundfunk ebenfalls die Programme konzipiert. Über die Dokumentation und das, was sie enthält, wird nach Erscheinen zu berichten sein.

Wie neu ist Neue Musik? Wie definiert sich überhaupt das „Neue“? Ist Donaueschingen „out“? Wer aber wäre dann „in“? Vielleicht der Westdeutsche Rundfunk, Abteilung Neue Musik? Seit fünfzig Jahren existiert dort die Veranstaltungsreihe „Musik der Zeit“. Und ebenso lang das Elektronische Studio. Im Augenblick arbeitet man an einer großen Dokumentation. Schon das Betrachten der Korrekturfahnen wirkt fast verwirrend: Was alles ist in Köln in fünf Jahrzehnten zum ersten Mal erklungen: Über fünfhundert Uraufführungen enthält die Statistik, davon über die Hälfte Auftragswerke des WDR für die Musik-der-Zeit-Reihe und die Wittener Tage für Neue Kammermusik, für die der Westdeutsche Rundfunk ebenfalls die Programme konzipiert. Über die Dokumentation und das, was sie enthält, wird nach Erscheinen zu berichten sein. Inzwischen aber werden die musikalischen Erkundungen mit unverändertem Elan fortgesetzt. Harry Vogt, Leiter der Neue-Musik-Abteilung und Nachfolger Wolfgang Becker-Carstens, fällt zur „Musik der Zeit“ immer wieder thematisch Interessantes ein, zum Beispiel: Die Bratsche, das einst zur Mittel- und Füllstimme degradierte Streichinstrument, das in der Neuen Musik eine verblüffende Renaissance erfuhr.

Fünf Konzerte an zwei Tagen mit zehn Uraufführungen und zwei deutschen Erstaufführungen sowie gewichtigen Wiederbegegnungen: fast ein kleines, komprimiertes Donaueschingen. Kompetente Interpreten für die Neue Musik das WDR-Sinfonieorchester unter Heinz Holliger, das unermüdliche „ensemble recherche“, dazu ein Sextett hochrangiger Solo-Bratscher, deren Zuständigkeit für die Moderne außer Frage steht: Tabea Zimmermann, Geneviève Strosser, Barbara Maurer vom „ensemble recherche“, Elisabeth Kufferath, Garth Knox und Christoph Desjardins vom Ensemble Intercontemporain in Paris.

Der Titel für das Programm stammte von Morton Feldman: „The Viola in My Life“. Der Avantgardist als Romantiker, der 1970 eine junge, hübsche Viola-Spielerin kennenlernt. Feldman komponiert ihr vier Stücke für ihr Instrument, zwei mit kleinem Ensemble, eines als Duo mit Klavier und das letzte und längste für Viola und Orchester. Es war das erste Mal, dass der Zyklus jetzt in Köln komplett erklang. Fast anrührend zu hören, wie Feldmans emotionale Bewegtheit für die Bratscherin Karen Philips sich in seinem Komponieren niederschlägt. Da vernimmt man plastisch ausgeformte Kantilenen, fast traditionelle melodische Formulierungen und expressive Crescendi des Solo-Instruments. Eine seltsame Idyllik breitet sich aus, in der Orchesterversion denkt man unfreiwillig an ein etwas neuartiger formuliertes „Siegfried-Idyll“, zumal Holliger, das Orchester und die Solistin Elisabeth Kufferath in klanglichen Finessen und fast zu edlem Ton schwelgten. Aber es ist, auch in den Kammerbesetzungen und im Duo, hinreißend komponierte Musik, subtil ausgehört im Klanglichen, beredt und plastisch in der komponierten Gestik, mit feinster Expression und fast traumhafter Gespanntheit. Geneviève Strosser und Barbara Maurer exzellierten in den Fassungen für Kammerensemble, Tabea Zimmermann interpretierte das Duo (zusammen mit der Pianistin Silke Avenhaus) mit feiner Ausgewogenheit zwischen gelöstem Ausdruck und intensiver Innenspannung: Sechs Minuten große Musik.

Die Viola, das Instrument der Schwermut, der Trauer, des Elegischen, der träumerischen Liebessehnsucht – alles richtig, aber unvollständig. Georg Benjamin steigert das Instrument in „Viola, Viola“ für zwei Violen in ein virtuoses Geflecht aus Tempo, Dynamik, motivischen Partikeln und verschlungenen Lienaments, dass es einen den Atem anhalten lässt. Wie herrlich klingen die drei Violen in Madernas Ockeghem-Transkription „Malor me bat“, wie subtil „übersetzt“ Georg Kröll die Dreistimmigkeit der „Deux Chansons“ des burgundischen Komponisten Gilles Binchois (1400 bis 1460) in die „Vokalität“ von drei Violen; wie radikal überträgt Heinz Holliger in seiner Machaut-Transkription „Trema“ die Vorlage in psychische und physische Erregungszustände, die dem Solisten ein Höchstmaß an expressiver Virtuosität abfordern. Wohlklang verlangt auch Peter Eötvös nicht von der Viola. Das in Erinnerung an B.A. Zimmermann komponierte Werk „désaccord pour deux altos“ arbeitet mit „Verstimmungen“ der beiden Violen, mit geräuschhaften und ruppigen Klängen, mit sprachähnlicher Gestik, mit Tremolo-Effekten und, im zweiten Satz, mit Assoziationen an Frescobaldi.

Zu einem Viola-Festival gehört auch die Viola d’amore mit ihrem Resonanzenreichtum. Garth Knox zauberte in Georg Friedrich Haas’ „Solo“ ein dichtes Geflecht aus Spielgesten und mikrotonalen Klangflächen aus seinem Instrument hervor, präzis strukturiert und ausgehört. Johannes Fritsch, der Unermüdliche, stellte noch einmal sein Stück „Violectra“ für Viola d’amore und Synthesizer(1971/2002) vor.

Erstaunlich, wie man im Live-Vortrag inzwischen die verschiedenen Klanghervorbringungen als ästhetische Einheit wahrnimmt. Der Komponist fungierte als Viola d’amore-Spieler und eigener Interpret: Fritsch ist ein fabelhafter Virtuose. Ebenso wie Walter Fähndrich, der mit „Viola VII“ und „Viola VIII“ zwei Fortschreibungen seiner Viola-Serie präsentierte: Stücke ohne Notierungen, die vorerst nur der Komponist selbst vortragen kann, weil nur er die Verläufe im Kopf hat. Das besitzt bemerkenswerte Stringenz, sicher auch Spuren des Manischen und eine intensive Innenspannung zwischen Instrument und „Kopf“ des Schöpfers.

Unschwer war zu erkennen, dass die Bratsche der Neuen Musik weiterhin Impulse verleiht, ihr kompositorische Erfindungen beschert, ihren spezifischen Klang den Klangerfindungen der Komponisten zuspielt. Jörg Widmann kombiniert in seinem neuesten Werk „Polyphone Schatten, Lichtstudie II“ Viola und Klarinette mit einem Orchester, das durchgehend nur in kleinen, wechselnden Ensembles agiert. Wie „Schatten“ huschen die oft entmaterialisierten, „tonlosen“ Klänge vorüber, diese wirken auf das Ohr wie die Pointillismen der impressionistischen Malerei auf das Auge, wenn man sehr dicht an das Bild herantritt. In der horizontalen Bewegung der Komposition geben die Soloinstrumente ständige Impulse vor, die vom Orchester aufgenommen werden. Aus dieser Bewegung entsteht ein bemerkenswert großes Spannungspotential. Als „Lamento di Viola“, als eine große Gesangsszene will Heinz Holliger seinen „Recicanto“ für Viola und kleines Orchester verstanden wissen, zugleich als einen „Versuch über die Sprachhaftigkeit“ der Musik. Das Ergebnis: fast eine halbe Stunde dicht komponierte Sprach-Musik, bei der es nicht an dunklen Tönungen fehlt, für die die Viola zuständig ist.

Im selben Konzert auch Kurtágs „Hommage á R. Sch.“, op. 15d für Klarinette, Viola und Klavier und B.A. Zimmermanns Sonate für Viola (aus dem Jahre 1955) mit dem an Bergs Violinkonzert gemahnenden Titel „...an den Gesang eines Engels“, den der Komponist auf den frühen Tod seiner kleinen Tochter schrieb. Tabea Zimmermann erhob das Werk zum großen, bewegenden Klagelaut ohne jeden Anflug von Larmoyanz.

Das Finale gehörte allein dem fabulösen „ensemble recherche“ und seiner großartigen Viola-Spielerin Barbara Maurer. Zu schon bekannten Stücken von Ferneyhough („Incipits“ aus dem Jahr 1996 für Viola solo, obligates Schlagzeug und sechs Instrumente) und Kurtág (u.a. Hommage à Tristan; Jelek IV) gesellten sich drei Uraufführungen. Eine wieder von Georg Kröll: „Wie das Gebirg, das hochaufwogend“ mit einer durchgehenden Bratschen-Melodie-Linie, die auf- und niederwogt und -stürzt wie die Kammlinie eines Gebirges oder Meereswellen, während Violine und Cello eher statisch agieren, was eine spannungsvolle Konfrontation ergibt. Kurtág stellte seine Komposition „In Nomine – all’ongherese“ in einer Version für Viola vor und James Tenney präsentierte als Uraufführung ein viertelstündiges „Spectrum 8“ für Ensemble, in dem es prozesshaft, dicht und recht dynamisch zugeht, wobei die Ausdruckswerte und Klangprofile eher flächig erscheinen.

Die Viola, das unbekannte Wesen? Nach den fünf Konzerten ist uns das Instrument noch markanter ins Bewußtsein und auch ins musikalische Herz getreten. Kölns „Musik der Zeit“ ist immer auch eine Musik der Zukunft, zu der nicht nur das einzelne Werk gehört, sondern auch seine Präsentation in dramaturgischen Zusammenhängen.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!