Musikalische Genremischung ist eine sympathische Idee – die in der Umsetzung allzu oft nur schalen Crossover generiert. Anders beim Festival „Gemischter Satz“ im Konzerthaus Wien, das die Unterschiede gerade nicht kaschiert, sondern in fruchtbaren Kontrast zueinander setzt. Das bereitet nicht nur wegen der Weinbegleitung Hochgenuss.
Es gehört zu den Annehmlichkeiten Wiens, dass innerhalb des Stadtgebiets, an den Hängen des Wienerwalds ein Weinbau betrieben wird, der unter Hauptstädten seinesgleichen sucht. Als Aushängeschild gilt der Gemischte Satz, ein Weißwein aus verschiedenen Rebsorten, die anders als beim Cuvée bereits gemeinsam angebaut und nicht erst im Herstellungsprozess vermengt werden. Nach dieser Spezialität ist das dreitägige Festival benannt, das dieses Jahr nun schon zum vierten Mal das Wiener Konzerthaus mit kühnen Stilmischungen füllt, wobei reichlich Wein als Schmiermittel zum Einsatz kommt. Ob das nun besonders modern ist und dem Musik-Zapping auf iTunes oder YouTube entspricht – oder nicht vielleicht doch ein gekonnter Rückgriff auf das gemischte Konzert vergangener Zeiten –, ist eine offene Frage.
Unterschiede zu feiern ist in jedem Fall das erklärte Ziel von Andreas Schett und Christian Seiler, die das umfangreiche Programm konzipiert haben. Und diese Konzeption hat es in sich. Denn auch wenn sich das Programm mit Musik von Hildegard von Bingen bis System of a Down, von Georg Kreisler bis Jean Sibelius auf den ersten Blick liest wie mit einem Zufallsgenerator erstellt, ergibt sich doch in der realen Erfahrung von Musik, Literatur und köstlichem Wein verschiedener Wiener Winzer in den Pausen eine erstaunlich schlüssige Komposition.
Mischung aus Mitreißendem und Anspruchsvollem
Dafür bedarf es der richtigen Mischung aus Mitreißendem und Anspruchsvollem, aus Lustigem und Ernstem (aus Frucht und Säure sozusagen), aber natürlich auch der Qualität der einzelnen Beiträge. Und hier schöpft das Konzerthaus aus dem Vollen. Mit der Weltklasse-Blockflötistin Dorothee Oberlinger, die Bach ebenso einnehmend spielt wie Berio. Denn ja, auch Neue Musik hat hier ihren Ort und trifft auf ebenso offene Ohren. Mit der Schauspielerin Dörte Lyssewski, die drei Abende lang wach, einfühlsam und witzig Texte liest – auch hier ohne Reinheitsgebot zwischen Aristophanes und aktuellen Zeitungsglossen mischend. Mit Pianist Víkingur Ólafsson, der als Solist mit Musik von Bach bis Glass ebenso überzeugt wie als Liedbegleiter oder, ganz uneitel, als Blätterer für den Kollegen vom Fauré-Quartett.
Das Festival kann natürlich auf bewährte lokale Lieblinge und Stammgäste des Hauses zurückgreifen. Der Gastgeber Konzerthaus glänzt nämlich neben dem die Wiener Poleposition beanspruchenden Musikverein übers Jahr zwar geringfügig weniger mit internationalen Stars, dafür aber umso mehr mit innovativen Programmen und Formaten. Damit ist es für viele, denen eine Weiterentwicklung eines niveauvollen Musiklebens am Herzen liegt, die interessantere Adresse vor Ort.
Mischung aus Lustigem und Ernstem
So bietet das innovative Wienerlied-Duo „Die Strottern“ gemeinsam mit „Blech“ und weiteren Stars der Szene Songs mit Witz und Dialekteinschlag. Florian Boesch führt mit der Musicbanda Franui Lieder von Schubert und Mahler in frechen Kapell-Arrangements auf ihre volkstümlichen Wurzeln zurück. Und da Weinbau und eigentlich jede Kultur auch der fremden Einflüsse bedarf – in einer Lesung betont Lyssewski diese Einsicht in Form eines Seitenhiebs auf die Regierungspartei ÖVP –, holen sich die Macher auch reichlich Verstärkung von „außerhalb“ herbei, zum Beispiel das schräge Mundharmonikaquartett „Sväng“ aus Helsinki und das junge A-Cappella-Ensemble „Sjaella“ aus Leipzig. Der Rausch des Weines hilft über die seltenen weniger gelungenen Beiträge wie das unbeholfene Sounddesign des Cellisten Lukas Lauermann hinweg.
„Unterschiede Feiern“ beschreibt ziemlich gut, welche Erfahrung der Besucher durchmacht: Jeder neue Programmpunkt kann eine Überraschung sein. Denn natürlich besteht in Wirklichkeit ein Unterschied – die alte Crossover-Masche verdeckte es gern – zwischen einer Antiphon und einem Wienerlied. Und natürlich muss nicht fortan jedes Konzert derart wild die Stile mischen. Als ein Format, das einmal die etablierten Schubladen aufreißt und kräftig die Ohren putzt, hat der Gemischte Satz aber jede Berechtigung. Davon könnte sich auch der sonstige Konzertbetrieb einmal eine Rebe abschneiden.