Ausgerechnet Festspielintendant und Cellist Jan Vogler spürte das Motto am eigenen Leib. So heiß und kalt wie ihm dürfte der aktuelle Jahrgang niemandem unter die Haut gegangen sein.
„Feuer Eis“, da stecken Hitze und Kälte drin, sollen die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Norden und Süden suggeriert werden. Bei allem Augenzwinkern, das die Macher der Dresdner Musikfestspiele in diesem Motto sicherlich auch gesehen haben wollten, Intendant Jan Vogler nahm mit großer Ernsthaftigkeit ebenso das Unwort vom Nord-Süd-Gefälle aufs Korn. Was sich gewisse realitätsferne Politiker da ausgedacht haben, bedarf einer dringenden Korrektur. Vogler wollte damit deutlich machen, dass nicht nur die Wirtschaft für das Gedeihen der Menschheit entscheidend sei, sondern nicht minder auch die Kultur.
Indem der Musiker zum Abschluss des nunmehr 38. Jahrgangs eine äußerst positive Bilanz präsentieren konnte, erwies er sich nicht zuletzt auch als Meister, das Eine mit dem Anderen geschickt zu verbinden. Gerade in Zeiten, da allerorts Festspiele grassieren und beinahe jedes Chortreffen zum Festival erhoben wird, machen Vogler und seine Mitstreiter das einzig Richtige, sie setzen das Musikfest mitten in die Stadt, auf dass es zum gesellschaftlichen Ereignis werde, um das niemand in Dresden herumkommt, weder die Einheimischen, noch die Touristen. Eine Auslastung von 93 Prozent und gestiegene Einnahmen in Höhe von 930.000 Euro können sich als Fazit sehen lassen. Mehr als 1.500 Künstlerinnen und Künstler, die binnen dreieinhalb Wochen 48 Konzerte bestritten, haben ihren Anteil daran.
Gegen Pegida und politische Ratlosigkeit
Es ist allerdings nicht die Kunst allein, um die es hier ging. In einer schlagzeilenträchtigen Stadt wie Dresden sollten ganz bewusst Zeichen gesetzt werden – angesichts von Pegida-Protest und politischer Ratlosigkeit wurde für Vielfalt und Weltoffenheit plädiert. Rein praktisch bedeutete dies ein Kartenkontingent für Asylbewerber, kostenfreie Veranstaltungen für alle, Mitsingekonzerte sowie eine enge Vernetzung mit den etablierten Kulturinstituten von Staatskapelle und Philharmonie bis hin zu Kreuzchor und Schulen. Daneben gab es natürlich auch die übliche Hochpreispolitik, ein Staraufgebot mit großen Namen und internationaler Ausstrahlung.
Zwar waren damit spürbare Akzente einer Öffnung verbunden, die gerade im beschaulichen und manchmal etwas selbstgefälligen Elbtal von Wichtigkeit ist, doch das Wort vom Nord-Süd-Gefälle hatte im Alltag der Festspiele dann kaum mehr eine Rolle gespielt. Stattdessen stand „Feuer Eis“ tatsächlich mehr für ein Aufeinandertreffen von Norden und Süden, für musikalische Gäste aus Skandinavien und Spanien, aus Nordamerika und Südeuropa, wobei auch die Programminhalte für mitreißende Hitze und vornehme Kühle zu stehen hatten.
Treffen der Orchester
Traditionell sind die 1978 gegründeten Dresdner Musikfestspiele stets ein Orchestertreffen wenn nicht der Superlative, so doch der erlesenen Art. Unter Daniel Harding und mit Nikolaj Znaider musizierte das Schwedische Rundfunk-Sinfonieorchester – zum bevorstehenden 150. Geburtstag des Finnen Jean Sibelius gabs unter anderem dessen Violinkonzert. Das Philadelphia Orchestra unter Yannick Nézet-Séguin hatte gleich zwei Programme dabei, stellte mit dem jungen Pianisten Jan Liesiecki das a-Moll-Konzert von Edvard Grieg und mit Lisa Batiasvili das 1. Violinkonzert von Dmitri Schostakowitsch vor. Auch die Accademia Nazionale di Santa Cecilia kam mit reichlich Gepäck, brachte unter Antonio Pappano Bruckners Achte in die Frauenkirche und Sibelius‘ Zweite in die Semperoper. Dies war eines der Konzerte, in denen Intendant Jan Vogler in seiner Cellistenprofession mitgewirkt hatte – und just beim letzten Ton von Tschaikowskis „Rokoko-Variationen“ die Spitze seines Bogens zerbrach! Für ein paar Tage war dies das beherrschende Thema beim Festspielpublikum. Wer mochte da nachfühlen können, wie heiß und kalt es just dem Intendanten unter die Haut ging?
Im Zusammenspiel mit Hélène Grimaud wirkte der Cellist noch etwas zurückhaltender, wurde als Duopartner von der Pianistin regelrecht dominiert. Dominant auch der finnische Geiger Pekka Kuusisto mit einem eigenwilligen Projekt, in dem er Sibelius‘ Violinkonzert zu Klavierbegleitung für zwei Tänzer interpretierte.
Entdeckungen bescherten zahlreiche Kammerensembles, da reichten sich Helsinki Baroque und Venice Baroque die Hände, entführte Al Ayre Espanol und die spanische Sängerin Raquel Andueza ins frühe Barock, kombinierten das Trio Mediaeval und der Trompeter Arve Henriksen aus Norwegen traditionelle Fiddle-Musik mit Elektronik und Improvisation, bestachen Dirigent Peter Kopp mit seinem Vocal Concert Dresden in einem Chorkonzert zum 90. Geburtstag von Mikis Theodorakis. Dessen Liturgie Nr. 2 „Den Kindern, in Kriegen getötet“ wurde 1983 als Auftragswerk der Dresdner Musikfestspiele uraufgeführt und ist nun mit einem spannenden Filmporträt über den Komponisten sowie mit Werken von Orlando di Lasso, Arvo Pärt, Dmitri Schostakowitsch und Peter Tschaikowski kombiniert worden (dieses Konzert soll, leicht verändert, am 23. August im Brandenburger Dom zu den dortigen Sommerkonzerten wiederholt werden).
Offenheit & Öffnung
Die angesprochene Offenheit sollte auch in Genrefragen widergespiegelt werden. Zu einem wahren Ausnahmekonzert gestaltete sich in völlig artfremdem Kontrast – wegen des G7-Innenministertreffens wimmelte es in Dresdens Innenstadt von Polizeipräsenz, Sperrgittern und Betonmauern, Elmau ließ schon mal grüßen – ein treffen von Freunden. Der israelische Mandolinenspieler Avi Avital nannte seinen Abend „Between Worlds“, zwischen Welten. Das Resultat aber war die Verbindung von Welten, ein unwiderstehliches Miteinander europäischer Vergangenheit, die es so nicht mehr gibt. Béla Bartók und der Georgier Sulkhan Tsintsadze haben noch rechtzeitig erfasst, auf welchen Traditionen die Balkanmusik fußt, wie grenzüberschreitend jene Kulturen schon einmal waren. Avital hat gemeinsam mit dem exzellenten Streichquintett der Kammerakademie Potsdam und dem Perkussionisten Murat Coskun in diese Folklore geführt, um gleich darauf mit dem französischen Akkordeonisten Richard Galliano den Kontinent zu verlassen und zusammen mit dem bald alles beherrschenden Klarinettisten Giora Feidman wahre Weltmusik ertönen zu lassen. Die Verschmelzung von Klezmer mit Musik von Louis Armstrong und Astor Piazzolla, sie ging zu Herzen und verdeutlichte, wie sehr Musik leuchten kann! Für eine kaum zu schätzende Weile durfte vergessen werden, dass es immer noch Mauern in Köpfen und in der Welt gibt. In seinem 80. Lebensjahr hat Giora Feidman einmal mehr den Glauben an die Kraft von Kunst und Kultur gestärkt und mit wenigen Gesten das gesamte Publikum umarmt.
Im Abschlusskonzert der diesjährigen Dresdner Musikfestspiele gelang das der Fado-Interpretin Mariza zwar mit anderen Mitteln, doch kaum weniger energiegeladen. Von Eis war da nichts mehr zu spüren, es war längst schon gebrochen, stattdessen wehte leidenschaftsvoll das Feuer von Saudade. Ein Fingerzeig, dass Mariza diesmal den Musikfestspiel-Preis bekam. Auch das ist ein Zeichen von Offenheit wie von Öffnung.