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Les Contes d’Hoffmann 2024: Kathryn Lewek (Antonia), Benjamin Bernheim (Hoffmann), Géraldine Chauvet (Die Stimme der Mutter). © SF/Monika Rittershaus
Les Contes d’Hoffmann 2024: Kathryn Lewek (Antonia), Benjamin Bernheim (Hoffmann), Géraldine Chauvet (Die Stimme der Mutter). © SF/Monika Rittershaus
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Filmgeschäft mit Nebenwirkungen –Jacques Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ in Salzburg

Vorspann / Teaser

Bei dieser Produktion verheddere sich die Regie rettungslos in ihrer eigenen Idee, weil Hoffmann dauernd zwischen den Erzählebenen hin und her geistert, findet Joachim Lange. Mark Minkowski zeige sein Händchen für Offenbach. 

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Die Dramaturgie des Opernprogramms der Salzburger Festspiele, die Markus Hinterhäuser verfolgt, macht erkennbar Sinn. Auch, dass er in diesem Jahr Sergej Prokofjews „Der Spieler“ und Mieczyslaw Weinbergers „Der Idiot“ im ambitionierten Teil des Programms nebeneinander gestellt hat und sich in der Abteilung publikumsfreundliche Opulenz für Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ entschieden hat. Das hätte auch gut gehen können. Selbst wenn man nicht von vornherein auf die Idee gekommen wäre den offenbachaffinen Mark Minkowski dafür ans Pult der Wiener Philharmoniker im Großen Festspielhaus zu stellen. Das vielseitige Luxusorchester, das hier zu den Festspielen im Dauereinsatz ist, und der französische Dirigentenstar kommen natürlich auch unfallfrei und mit vielen schönen Momenten bis ans Finale des mit zwei Pause recht langen Abends. Aber eine Offenbacherleuchtung was es gleichwohl nicht. 

Von den Premieren dieses Sommers hat Krzysztof Warlikowskis Inszenierung von „Der Idiot“, den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen und Prokofjews „Spieler“ zumindest bei den Fans von Regisseur Peter Sellars Eindruck gemacht. Begonnen hatte man ja konzertant mit einer exquisiten Aufführung von Richard Strauss’ Konversationsoper „Capriccio“ mit dessen Statthalter auf Erden Christian Thielemann am Pult und der Übernahme der „La clemenza di Tito“-Inszenierung von den Pfingstfestspielen. 

Das Problem des letzten Opernpremierenabends dieses Festspielsommers ist allerdings weniger die Musik, als eine Regie, die über die eigenen Füße stolpert, ihrer eigenen Grundidee immer wieder misstraut und sich dadurch selbst ins Aus schießt. Berührend sind die von Regisseurin Mariame Clément zur Filmvorlage transformierten Begegnungen mit den drei „Teil“ Frauen Hoffmanns jedenfalls nicht.

Jacques Offenbachs nie ganz fertig gewordenes Meisterwerk bietet in jedem Fall große Oper mit populärer Musik und einer Länge, die für zwei Pausen reicht. Ein mit Stars gespicktes Protagonistenensemble auf der Bühne. Dazu ein weibliches Regieteam mit Mariame Clément und Ausstatterin Julia Hansen, was heutzutage ja schon zu der Vermutung einer speziell weiblichen Sicht auf die Frauenbilder führt, die Offenbach und sein Librettist hier zelebrieren. 

Eine spezielle Herausforderung für Regisseure, die sich auf die überbreite Bühne im Großen Festspielhaus einlassen, ist es immer wieder, diese Bühne möglichst glaubwürdig zu füllen. Voll war sie dieses Mal immer. Mit den abstoßend hässlichen Mauersegmenten, die sich in jedem Akt schrittweise in einen speziellen Ort verwandeln, aber immer erkennbar verschiebbare Kulissen bleiben.

Denn eine Grundidee der Regie ist es, aus den drei Frauenbildern, die Dreharbeit für drei Filme zu machen. Wobei Hoffmann der Regisseur ist. Oder der Autor. Oder der Mitspieler. Oder alles gleichzeitig und dann wieder gar nichts davon. Die Regie scheitert nicht an der Riesenbühne, die ist immer mit jeder Menge Personal oder Kulissenversatzstücken gefüllt hat. 

Am Ende, im Giulietta-Akt sind die mit ein paar Neonröhren aufgemotzten Rückseiten der Mauersegmente der Ersatz für Venedig. Das sieht nach einem bewussten Bruch mit traditioneller Gondel-Masken-Canale-Grande-Opulenz aus. Aber die Barkarole, dieses von Offenbach ja mehrfach genutzte musikalische Schmuckstück, mit der Extremtristesse einer leeren Bühne vor hässlicher Mauer mit Nicklaus an der Biergartenbank zu verbinden, darauf muss man auch erst mal kommen. Und das muss man dann auch aushalten wollen. Szenenapplaus für die auch musikalisch fad (rück-)wirkende Nummer gab es jedenfalls nicht. Und das nicht nur, weil Minkowski es wohl bewusst auch gar nicht darauf angelegt hatte.

Ansonsten freilich haben die Mitglieder der (von Alan Woodbridge präzise einstudierten) Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor und die fast zwanzig quer durch den Fundus und die Zeiten kostümierten Statisten, die die Protagonisten umgeben, immer jede Menge zu tun. Mit Rumstehen, Rumwuseln, Wichtigtuerei, die Klappe für eine Aufnahme knallen zu lassen und all dem, was dem selbstgeschaffenen Klischee nach so am Filmset zu machen ist. Es fehlt nur die Schiene für die fahrbare Kamera und der Pool, sonst wäre das ein Remake von Marthalers auch schon missglückter „Falstaff“- Inszenierung an gleicher Stelle.

Bei dieser Offenbach-Produktion jedenfalls verheddert sich die Regie rettungslos in ihrer eigenen Idee, weil Hoffmann weniger erzählt bzw. filmt oder das Filmen vorantreibt, sondern dauernd zwischen den Erzählebenen hin und her geistert. 

Dass Olympia keine mechanische Puppe, sondern die Hauptdarstellerin irgendeines frühen Science-Fiction-Versuches ist, dem kann man noch folgen. Im Antonia-Akt aber, der in einer aufgebauten Filmkulisse (vorvoriges Jahrhundert, Freitreppe, Ahnengalerie und so weiter) spielt, ist Hoffmann mal der Regisseur, dann wieder der Mitspieler, wobei nicht klar wird, ob in seinem Film oder in der Geschichte, die vorgibt, einen Film zu machen. Jedenfalls ist es am Ende so, dass dieses Mal nicht Antonia auf der Strecke bleibt, sondern Hoffmann herzinfarktähnlich zu Boden geht. Hm. Am Ende, bei einer Art behauptet wirkendem lieto fine, ist er Autor, der sich an dem Biertisch Notizen macht. Vielleicht für eine schlüssigere Offenbach-Inszenierung?

Am Anfang ist er jedenfalls der Gestrandete, Gescheiterte oder einfach nur Betrunkene, der wie ein Penner neben seinem Einkaufswagen liegt. Dann ist er aber der begehrte Solist des Klein-Zack-Liedes und hat beim Olympia-Dreh und über weite Strecken auch beim Antonia-Film das Heft in der Hand. Bis sich die Regie auf die Backstage-Unbestimmtheit der Kulissenrückseiten im letzten Akt herausredet. 

Dass Minkowski eigentlich ein Händchen für Offenbach hat, kommt auch hier natürlich zur Geltung, auch wenn man sich das Ganze mitreißender und nicht nur „gut“ gewünscht hätte. Benjamin Bernheim ist ein durchweg konditionsstarker, auch gegen die Inszenierung mit vokalem Charisma ankommender Hoffmann, dem man in dieser Rolle gerne in einem anderen Kontext wieder begegnen möchte. Kate Lindsey als Muse und Nicklausse hat es schwer, sich gegen die szenische Geringschätzung der Rolle durch die Regie zu behaupten, macht das aber mit musikalischer Eleganz. Alle vier Frauen zu verkörpern und drei davon zu singen, ist eine Aufgabe, der sich Kathryn Lewek mit Vehemenz und (vor allem als Olympia mit atemberaubenden Koloraturen) stellt. Christian Van Horn ist ein solider vierfacher Bösewicht, dem am Ende auch die Teufelshörner und der Schwanz nicht erspart bleiben. Alle anderen komplettieren das Ensemble ohne Ausfälle.

Der Beifall ist an diesem Abend übersichtlich; für Bernheim und Lewek rafft er sich beherzt zum Jubel auf. Die Regieriege kommt also glimpflich davon.

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