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Die „Riemannoper“ im Theater Altenburg. Foto: Ronny Ristok

Die „Riemannoper“ im Theater Altenburg. Foto: Ronny Ristok

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Fragment-Wissen neben Theater-Baustelle: Johnsons „Riemannoper“ in Altenburg

Vorspann / Teaser

Gemeinhin gibt es Tom Johnsons „Riemannoper“ wie „Viertonoper“, der zweite Hit des 1939 geborenen Komponisten, als Lowbudget-Renner mit Dekor und Kostümen möglichst zum Nulltarif. Nicht so im Heizhaus Altenburg. Dort ist seit 2023 wieder regulärer Spielbetrieb möglich. Ein Grund für die Opulenz der in Altenburg zur Premiere gelangten und 2025 auch in Gera zu sehenden Studio-Produktion ist klar: Es geht um Präsenz, Regelmäßigkeit und Sichtbarkeit des von Altenburg, Altenburger Land und Gera getragenen Fünfspartentheaters vor Ort. Große Produktionen des Theaters Altenburg Gera und des Philharmonischen Orchesters kommen hier seit Jahren vor allem in einem Theaterzelt am Altenburger Festplatz. Das Ende der Sanierung des großen Theaterjuwels unterhalb des Schlosses zieht sich hin. 

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Die Wiedereröffnung zum 150-jährigen Jubiläum des Architektur-Prunkstückes 2021 zerschlug sich. Am Theater Altenburg gab es 2021 einen massiven Wassereinbruch, der Architekt für die Sanierung verstarb und am Gebäude wurden gefährliche Schäden am aus dem 19. und den 1950-er Jahren stammenden Gebälk entdeckt. Von der Theater-Baustelle zum 1994 als zweite Spielstätte mit 104 Plätzen eröffneten Heizhaus führt ein Pfad zwischen Sperrzäunen über Kiesflächen. 

Im Heizhaus selbst ist bei der „Riemannoper“ für Klavier und vier Sänger:innen neben der dekorativen Opulenz eine didaktische Präsenz angesagt, bis der musikalische Leiter Changmin Park nach 85 Minuten genervt oder verzweifelt, auf alle Fälle aber zügig, seinen Platz am Konzertflügel verlässt. Die vier Solist:innen tragen Casual, aber alles ist ein bisschen drüber. Schließlich soll man merken, dass es sich um ernsthafte Sänger:innen handelt, für die nicht nur Werk und Wiedergabe, sondern auch Hintergrund und Form zählen. Bei den Kleidungen ließ Elena Köhler dem Ensemble offenbar Mitspracherecht, die Bühnenaccessoires drapierte Köhler vermutlich allein. Eine Büste, feschere Sitzmöbel und ein hoher mit Büchern zugestapelter Türrahmen. Alles Fundusware, die nicht wie Fundus aussehen soll und eher wie eine liebevolle Sammlung nostalgischer Bildungssouvenirs wirkt. Das sind auch Reminiszenzen aus einer von starkem Verfall geprägten Innenstadt zurück in die große Vergangenheit von Altenburg. 

In den zwei etwa gleichlangen Akten der „Riemannoper“ durchkreisen, wiederholen, skandieren, pikieren und räsonieren die vier Stimmvertretenden Absätze und Aufsätze aus Riemanns Musiklexikon: Dieses Standardwerk und zugleich Startpunkt der systematischen Musikwissenschaft wurde vom ersten Erscheinen 1882 unter alleiniger Autorschaft Hugo Riemanns bis zuletzt 2012 in mehreren Auflagen immer wieder erweitert, aktualisiert und viel genutzt. Reichlich viele Worte werden vom Gebrauchstext zum Libretto. Sie erklingen in Nummernform, als Arioso, Ensemble, Rezitativ und – vom Tenor – als fragmenthafte Phrasendrescherei. Das Klaviergehämmere dazu belustigt erst und wird dann als Johnsons karikierender Kommentar zum Aufgesagten erkennbar: Definitionen der Stimmgattungen und einzelner Partienfächer, Typologien des Rezitativs, Arienmuster und historische Spitzfindigkeiten … quasi alles, was Sänger*innen wissen müssen oder sollten. Thomas Weber-Schallauer hat die vier Solist:innen mit reicher eigener Erfahrung als Schauspieler und Regisseur mit Bewegungsmaterial versorgt, sie überdies zu großem Bewegungsradius, feiner Gestik und Mimik animiert. 

Der Komponist Johnson erweist sich auch bei mehrfachen Begegnungen diesem Stück als humorbegabter Minimalist. Affekte – außer Wettbewerb und Nachdrücklichkeit – sind in der „Riemanoper“ weniger gefragt. Da kommt es wirklich eher auf den theatralen Interaktionseifer der Spielenden an als auf das Ergrübeln, was mit der Musik gemeint sein könnte. Die Zitate in deutscher Sprache sind den meisten Musikausübenden – da oft kolportiert und in Gebrauchstexten abgekupfert – fast bis zum auswendigen Mitsprechen vertraut. In einer Bandzuspielung empört sich der Ur-Autor des Lexikons darüber, dass durch weniger kompetente Bearbeiter der Gehalt seines Opus für Anfänger und Fortgeschrittene etwas an Qualität verloren habe. 

Ein wenig kolportiert Johnson auch Klischees und Erwartungen. Die Rivalität zwischen Primadonna assoluta (Julia Gromball) und Primadonna (Franziska Weber) führt prompt auch zu minimalen und perfekt kaschierten Verstimmungen zwischen ihnen, den Sängerinnen. Ervin Ahmeti bricht dank Johnson immer wieder aus und zeigt weitaus mehr Kehlkopfkraft als die Frauen. Kai Wefer als offenbar am meisten erfahrener Kollege ist als Bariton auch jener, der am ehesten einlenkt und Kompromisse macht. 

Zufall oder Absicht? Latentes Thema von Johnsons „Riemannoper“ ist das Auseinanderdriften von Ideal und Realität, Vision und Pragmatismus. Die vier Darsteller füllen den Fundus mit aktuellem Leben. Meist nähern sie sich der Vergangenheit in der Haltung von wissender Distinktion und eloquenter Weltläufigkeit. Das richtige Stück also für die Situation um das Heizhaus. Denn Johnson zeigt kein richtiges Theater, sondern eines mit Stolz auf Kunst und Form vergangener Zeiten, welche in der szenischen Gegenwart nicht so recht fassbar sind. Die Utopie eines pulsierenden Theaters, in dem die Kenntnis der Vergangenheit zu einem Impuls für die künstlerische Gegenwart werden sollen, steht nur allzu deutlich im Raum. Am Ende wollte der Applaus nicht zum Stillstand kommen.

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