Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg präsentieren Franz Schuberts Schauspielmusik „Rosamunde“ mit dem neuen Text „Es kommt ein Schiff gefahren“ von Ulla Hahn. „Mozart auf der Reise nach Prag“ ist ein Mörike-Titel, der es zum geflügelten Wort gebracht hat. Vielleicht widerfährt es ja der jüngsten Reise Schuberts nach Hamburg so ähnlich? Zumindest in Hamburg und für die Besucher der Elbphilharmonie. Diese Reise hat den Komponisten, der 1823 die Schauspielmusik zum romantischen Schauerstück „Rosamunde“ komponierte und der (auch) seine Sinfonie Nr. 8 C-Dur, die den programmatischen Beinamen „Große“ führt, nie selbst hören konnte, jetzt in die Stadt an der Elbmündung geführt.
Bei Kent Nagano und dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg war in ihrem 5. Philharmonischen Konzert der laufenden Saison nicht nur zu erleben, warum man diese Sinfonie getrost so nennen kann. Diesmal kommt der Wiener Romantiker, der vor allem in seinen Liederzyklen lebendig geblieben ist, nicht nur als Komponist, sondern auch ganz persönlich in Deutschlands nobelstem, und bislang auch im Modus des Dauerbetriebes so gut wie immer ausverkauften Konzertsaal auf einen Besuch vorbei.
Kent Nagano hat nämlich keine Geringere als die Lyrikerin und gerade mit dem Abschluss ihres großen Romanzyklus „Wir werden erwartet“ gefeierte Autorin Ulla Hahn gebeten, sich als Autorin, Schuberts „Rosamunde“ vorzunehmen. Die erklärte Schubert-Liebhaberin auf professioneller Augenhöhe mit einem ihrer musikalischen Idole – wer ließe sich das entgehen. Der Auftrag oder die Bitte: der Rosamunde-Musik, die zum, nun ja ziemlich verqueren Text von Helmina von Chézy komponiert wurde, sollte eine andere Geschichte zugrunde gelegt und damit ein anderer Sinn beigefügt werden. Es galt also die Musik sozusagen retrospektiv neu (be)gründen.
Und das ist der zur weltläufigen Hamburgerin gewordenen Rheinländerin mit einer sozusagen traumwandlerischen Sicherheit auch gelungen. Im dritten Anlauf, wie sie im Vorfeld verriet. Wobei damit nicht nur die Leichtigkeit, anspielungsreiche Ironie und Qualität des Textes gemeint ist, sondern auch ihre Methode. Sie lässt Franz Schubert nämlich an seinem Schreibtisch träumen, nennt ihren Text „Es kommt ein Schiff gefahren“ und trägt ihn selbst vor. Wobei Nagano und sein Orchester das Ganze, der Aufführungskonvention dieser Schauspielmusik folgend, in die Ouvertüre zu Schuberts „Die Zauberharfe“ einfassen. Ein paar Takte am Anfang und dann der Rest zum Schluss. Dazwischen gibt es die „Entreact“ genannten Zwischenmusiken. Deren Atmosphäre, biografischer Intention und asszoziativer Offenheit, auch ins Heute folgend, (emp)findet Ulla Hahn einen sich aus seiner Enge ins Freie träumenden Franz Schubert.
„Es kommt ein Schiff gefahren“ so der Titel. „Ein Schiff wird kommen… Ein Schiff mit acht Segeln und mit fünfzig Kanonen? Ein Traumschiff mit fünfzig Kabinen?“ – so findet dieser Titel im Text zu einer bekannten „andere“ Melodie, die sich wie von selbst auch in den Vortrag der Autorin am schlichten Holztisch auf dem Podium einschmuggelt. Was dann in Schuberts Traum tatsächlich kommt, heißt Rosamunde, was wie rosa mundi, die Rose der Welt, klingt und „Kömmlinge“ bringt. Ein aparter Wortbrückenschlag über die Jahrhunderte zwischen Metternichs Europa und dem heutigen Traumort der Vielen, die kommen…
Und da wir auf Traum-(Schiffs)-Reise sind, ist Störtebeker (mit spitzem S-t versteht sich) nicht nur an Bord, sondern gleich der Kapitän. Klar, dass die Kanonen dann Mozartkugeln in die jauchzende Menge schießen. Doch dann kommt „ein zweites Schiff“ – wie weiland zum sterbenden Tristan? Sind die freundlichen Kömmliche der Rosamunde womöglich nur tückische Tarnung? So wie der Held doch nur ein Bösewicht? „Nicht die Völker der Stadt- Störtebeker allein hört die Signale“ ….
Es macht Spaß, wie hier, ohne, dass es gleich knallt, die Funken sprühen, als würden sich Stromkabel berühren. Der Träumer Schubert, die Utopie des „Hört die Signale“ und den Hilferuf an die „Völker der Welt“ sind hier in einem Satz beisammen. Das ist schon ziemlich viel Welt in einem Traum eines Romantikers. Das kann nur Musik geworden sein.
So wie ihr Erfinder in Ulla Hahns Text, am 19. November 1828 spätnachmittags dann auch nicht stirbt, sondern bei seiner Ankunft im Himmel Aufsehen erregt und Neugier weckt. „Auf weißem Ross samt Klarinette wirbelt Mozart für ihn eine Pirouette“ – um dort dann die Zauberharfe zu spielen. Was man Ulla Hahn glaubt, so wie sie es sagt. Und was Kent Nagano und seine Musiker dann übernehmen.
Nach der Pause zu dieser Uraufführung dann noch mal Schubert pur. Die Große Sinfonie mit all seiner Beethovennähe und Originalität, maßgeschneidert in diesem Saal als Feier eines nicht immer angemessen gewürdigten Genies. Wie gut, dass es am Tag davon das Ganze als Schulkonzert mit Rufus Beck als Moderator schon einmal gab.