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Poppaea: Handmaidens Foto: © Delia Burri, Lukas Graf und Adrian Kelterborn – Prismago GmbH
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Freispruch für „Poppaea“ in Basel? – Nicht in Michael Herschs Oper

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War Donald Trump ein Anlass-Splitter für diese neue Oper über den Kaiser Nero? Und kann seine in Adaptionen immer sehr ambivalent charakterisierte Frau Poppaea Sabina für die Gegenwart eine sympathetische Umdeutung erfahren? Bernhard Günther, Kurator des Festival ZeitRäume Basel – Biennale für neue Musik und Architektur und des Festival Wien Modern, brachte die Uraufführungspremiere von „Poppaea“ im Kulturzentrum Don Bosco Basel.

Michael Hersch wagte in dieser Partitur weit ausschwingende wie quälende Opulenz und schrieb für Ah Young Hong eine bravouröse, für Steve Davislim und Silke Gäng wirkungsvolle Partien. Die 18-köpfige Besetzung des Ensemble Phoenix Basel klang im akustisch hervorragenden Don Bosco, als seien sie 80-köpfig. Viel Applaus.

ZeitRäume erkundet offen und sprunghaft „Die Verwandlung“ Basels, so das Motto der vierten Ausgabe, und steuert am liebsten Stellen an, wo dieser Wandel sichtbare Furchen in urbane Flächen kerbt. Das kann geschehen durch einen „Urlaub vom Ich“ wie beim fragmentierten Club-Environment „Niemandsland“ von Dimitris de Perrot im jungen Kulturzentrum des Kasernenareals, aber auch mit einem Psycho-Abenteuer in der mit zwei Stunden Spieldauer voll spannungstauglichen Oper des Amerikaners Michael Hersch (geb. 1971) im Kulturzentrum Don Bosco. Aufführungen in Wien werden 2022 folgen.

Hersch hat keine Angst vor großen, drastischen Gefühlen. Deshalb bietet „Poppaea“ Sängern und Musikern tollen bis dankbaren Spielstoff. Immer neue Einzelfarben schälen sich aus der üppigen Brandungsmetrik dieser Partitur. Das Blech, irgendwann nach Octavias langsamen Verbluten die Flöte und die ätzend fragende Bassklarinette, nachdem aus dem Kern von Poppaeas und Neros Ehehölle das erste Piano glimmt. Aus den metaphorischen und elliptischen Versen Stephanie Fleischmanns springen die Gewalttaten: Vom Bad Poppaeas in der Milch von 500 Eselstuten und der Liste imperialer Laster, Opfer und Morde singt man auf Englisch. In den Sprachbildern ist die Décadence nicht fern, wohl aber die Allgeschlechter-Phantasien von der Femme fatale. Poppaea gerät wie Macbeth in den Strudel der Gewaltausübung, bis sie selbst zum Opfer von Neros Gewalt wird. Aber sie agiert mit fraulicher Autonomie, nachdem sie ihre Schönheit als Fassade zwischen sich und der Welt erkannt hat. Im visionären Gegeneinander belauern sich Octavia und Poppaea, deren Schicksale sich so ähnlich sind, und mit einer bizarren Ambivalenz von Mitleid und Rivalität. Ob „Rom brennt“ als Chiffre oder als Handlung zu nehmen ist, wird darüber gleichgültig.

Die Welt ist den schlicht gekleideten Figuren (Kostüme: Eva Butzkies) längst abhandengekommen. Ihre Aggression richtet sie auf Marius Kobs fleischfarbene Puppen, die sie zerfetzen, ausweiden oder schlagen. Die Menschen ziehen ihre Kreise und vor allem aus den Stimmen dringt Gier, Sehnsucht und frauliche Siegeslust. Zum Bühnencoup aber geraten Myriaden von an zig Zügen aufgefädelten Plastikflaschen, die erst das Orchester hinter der Spielfläche abschirmen und später mit dumpfem Klimpern herunterprasseln (Bühne: Piertozowanis Toews Architekten). Das Plastikmeer und die Puppen entzweien die Menschen noch mehr. Auch Blutartiges rieselt aus Plastikflaschen auf nur zu sterbliche, aber blühend junge Haut.

Für den mit Ökonomie eine verzehrende Spannung erzeugenden Regisseur Markus Bothe sind die Figuren Wandernde, deren Gedanken und Begierden viel schneller als ihre Bewegungen. Herschs Musik wogt und wallt über Textstellen, an denen sich das hohe Ethos von Poppaeas Ermächtigung bricht. Das moralsaure Wort „sodomisieren“ entstammt eher mittelalterlichen Klöstern als der permissiven Pansexualität der alten Römer. Und jeder Hobbypsychologe weiß, dass eine Frau unwiderruflich verloren hat, wenn sie den Gatten mit der Entscheidung „Dein Superschlitten oder ich“ konfrontiert. Bothe tappt bei solchen poetischen Ausrutschern nicht in klein machende Realismus-Fettnäpfchen, sondern bleibt beim stilisierten Darstellen des Mordens in Gedanken. Die Sprech-, Flüster-, Choral- und Bewegungschöre der Mägde und Massen sind von ihm mit dem erstaunlich konsequent durchgezogenen Klangkolorit verwoben. Das Ensemble Phoenix Basel hat einen großartigen Auftritt und differenziert auch da, wo „Poppaea“ ansatzweise klingt wie eine Studio von Kaija Saariaho und orchestriert von Ottorino Respighi. Jürg Henneberger macht am Pult aus den pulsierenden Strömen Herschs zu einem die drei Hauptsolisten tragenden Klangplasma.

Innovatives Musiktheater bietet eher selten Gelegenheit zur Würdigung von genuin sängerischen Topleistungen. Hier sind es gleich drei von Hersch luxuriös bedachte und ebenso luxuriös klingende Stimmen. Silke Gäng gibt Octavia als aparte blonde Schönheit, die nie vernarbende Seelenkratzer mit kühler Anmut und wenig Make-Up verbirgt. Dazu passt ihr heller Mezzosopran, der von weitaus dramatischerer Kondition ist als man ihr anhört. Steve Davislim dürfte einer der ganz wenigen Tenöre sein, der exponiert Zeitgenössisches mit intelligenter Schönheit singt und zugleich eindringlich zu gestalten vermag. Trotz macht er Nero nicht zum Charisma. Ah Young Hong schließlich ist des Komponisten Muse. Für ihre ersten „Poppea“-Erfahrungen bei Monteverdi wird sie mit einem satten, ihr auf den Interpretinnen-Leib geschriebenen Primadonnen-Part an der äußerst dankbaren Schnittstelle von „Monster“ und „Opfer“ belohnt. Ständige Riesen-Intervallsprünge von Sopran-Explosionen ins tiefere Mezzo-Register lassen ihr zwischen Diamant- und Rubin-Farben schillerndes Timbre nicht zur Ruhe kommen, aber auch nicht ermüden. Diese Frau ist hinsichtlich des Männerteufels an ihrer Seite unbelehrbar, hoffnungssüchtig, sittenwidrig. Einige Versuche unternimmt die Regie, das neue und letztlich negativ bleibende Poppaea-Narrativ aufzulösen. Das gelingt nicht. Dafür zeigen Herschs Oper und diese Uraufführung, dass die Bestie Mensch sogar, wenn ihr der Plastikmüll bis zum Hals steht, noch immer nach selbstzerstörerischen Prioritäten geifert.

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