Es gibt Terrains, auf die man sich nicht begeben sollte – oder noch nicht, auch wenn dies die Frage impliziert: Wann aber dann? In „Même soir“ hat sich Heiner Goebbels auf solch ein Terrain begeben. Und scheiterte.
Goebbels hat in den letzten 15 Jahren – spätestens seit dem Heiner-Müller-Hörstück „Verkommenes Ufer“ von 1984 – immer wieder überzeugt, verblüfft, Werte umstoßend wachgerüttelt. Er tat es im großen Stil, in der virtuosen Handhabe von Zitaten und Zitatgeflechten, in semantischen Überblendungen, in bewusstmachenden Ein-, Auf- und Ausblendungen. Nachhaltiges entstand, Tiefsitzendes, Eindrücke, die nicht mehr los lassen. Das aber hatte seine Wurzeln im Vertrauten, im allzu oft Viel-Vertrauten, das durch Heiner Goebbels’ Querstände plötzlich und unmittelbar ins Ungesicherte driftete. Immer aber war es ein ganz konkretes Sujet, an dem sich der Hörer verunsichert abrieb.
In „Même soir“ aber gibt es diese Konkretion kaum. Zwar ist da ein Text, der hinter allem wohl steht, etwas wie eine Tagebuchnotiz von nächtlicher Begegnung, angefüllt mit wehen Empfindungen. Der aber kann in dieser Form nicht konkret werden (entstammt er doch obendrein einem Buch, „das nie geschrieben wurde“) – und wird es nicht. Er bleibt unausgesprochen, wird im Stück nicht formuliert.
Also bleibt die Musik, die Heiner Goebbels mit dem Schlagensemble „Les Percussions de Strasbourgh“ komponierend/improvisierend erarbeitete. Es ist eine Musik des ungesicherten Raums, der vom klackenden Puls pendelartig aufgehängter Kugeln rastriert wird. Keine neue, aber eine immer wieder schöne Idee: Rhythmen haben sich einzuklinken in einen Puls, den das Leben oder hier besser die Physik vorschreibt: So wie das Pendel der Zeit Gesetze vorschreibt, denen niemand entkommt.
Doch hier an dieser Stelle, die Spannendes hätte versprechen können, ist Goebbels nicht mehr viel eingefallen. Und wenn einem nichts einfällt, dann greift man gerne in die Kiste materieller Selbstläufer. Schlagwerk wird vorgeführt, fast mit akrobatischen Ausbuchtungen. Trommeln werden auf die Bühne angefahren und bringen im Gepäck gleich Rituelles mit. Und die klackenden Kugeln, im Grunde omnipräsent, werden am Schluss wie verzweifelt zuckende Froschschenkel zum Schnürboden hinan gezogen. Materiale Techniken dieser Art aber kennen wir triftiger und zugleich gelöster etwa von Mauricio Kagel. Das Spielerische, der ungut-gute Leerlauf fehlte bei Goebbels, obwohl die verwendeten Mittel danach drängten. In „Même soir“ jedenfalls entstand weder Gelöstheit des Spiels, wohin Goebbels bisher noch nie tendierte, noch die Triftigkeit des nachdrücklichen Verweises. So mochte man als Ergebnis unbefriedigt mit nach Hause nehmen: Es ist wirklich erstaunlich, wie oft man in der öden Mitte bleibt, auch wenn man Ränder sucht.