Die große französische Oper mag Peter Theiler, der scheidende Intendant der Semperoper, und hat sie wohl deshalb auch als ein Gegengewicht zu den Hausgöttern Wagner und Strauss immer mal in den Spielplan eingefügt. Kein Geringerer als Franz Liszt hatte sich in Weimar für den 1838 ohne nachhaltigen Erfolg in Paris uraufgeführten Opernerstling „Benvenuto Cellini“ von Hector Berlioz (1803–1869) ins Zeug gelegt. Vor allem wegen der hoch virtuos aufsprudelnden, phantasievollen Musik, die zur Komik und zur Grand Opéra gleichzeitig tendiert und obendrein flottes Parlando bietet, lohnt es, von Zeit zu Zeit darauf zurückzukommen.
Game over – Hector Berlioz’ „Benvenuto Cellini“ an der Semperoper Dresden
Dass sie im Karneval spielt, ist zu dem eine Steilvorlage für Kostümopulenz jeder Art. Eine, die Renaissance-Prunk zulässt, oder eine, die etwas infantil albern so tut als ob. Auch die Zutaten haben es in sich: ein Mord (so ganz nebenbei), Ballett und Gaukler und sogar ein Auftritt des Papstes. Dazu – für Dresden wie ein Joker – jede Menge Futter für den grandiosen Chor des Hauses, der sich in ausufernde Wirtshausgelage hineinsteigert, aber auch in einen Streik der Gießereiarbeiter.
Die Titelpartie für einen Tenor und für die Sopranrolle für die Dame seines Herzens sind mit reichlichem Belcanto–Effekten ausgestattet. Auch das Nebenpersonal ist mehr als nur eine Zugabe oder Verzierung. Ein Spitzenorchester wie die Sächsische Staatskapelle vermag natürlich unter Leitung von Giampaolo Bisanti auch hier Farben und Glanz zu entfalten und obendrein mit Durchhörbarkeit so zu glänzen, dass es eine Pracht ist.
Es ist die dramatisch nach allen Regeln der übertreibenden Phantasie aufgepeppte Opernversion der Entstehung von Benvenuto Cellinis (1500–1571) berühmter Perseus-Statue. Mitten im Karneval. Auf Wunsch und unter Aufsicht des Papstes persönlich. Unter rabiater Ausschaltung des Konkurrenten in der Arbeit und bei der geliebten Teresa. So einfach ist das mit der richtigen, großen Kunst …
Berlioz hat hier aber auch die Widersprüchlichkeit und den Triumph des Renaissance-Künstlers Cellini thematisiert. Mit diesem frühen Beispiel einer Künstleroper hat er sich selbst im Auge gehabt und damit durchaus eine Fährte gelegt, um sich mit den Anfechtungen eines Künstlers auf dem Weg zwischen Scheitern und Erfolg auseinanderzusetzen. Als Künstler mag dieser Cellini so genial gewesen sein, wie er selbst und zu seinem Glück auch der Papst meinten; als Mensch ist er hier eher der windige Sprüchemacher, den der Vater seiner geliebten Teresa in ihm sieht.
Die Inszenierung von Barbora Horáková erschließt sich am besten von ihrem Ende her. Da kommt nämlich plötzlich ein kleiner Junge auf die Bühne und macht eine Handbewegung, die wie ein Druck auf einen Knopf aussieht. Alle Figuren, die bis dahin noch aufrecht standen, sacken in sich zusammen. Game over soll das wohl heißen. Ob der Spieler bzw. Zuschauer aber gewonnen oder verloren hat, bleibt eine der berühmten offenen Fragen, wenn sich der Vorhang schließt.
Ziemlich eindeutig lässt sie sich im Hinblick auf die musikalische Seite der Inszenierung beantworten. Die ist allemal ein Gewinn. Auch wenn der wunderbar helle Orchesterklang, die grandiosen Stimmen und der prächtige Chor in Hochform weit neben den Bildwelten auf der Bühne ihrem eigenen Stern folgen und damit begeistern.
Die Bühne von Aida Leonor Guardia wird von einem videobespielten Rundhorizont für Projektionen (Videodesign: Sergio Verde) begrenzt, die mit einer Mischung aus stilisierten Science-Fiktion-Figuren und Renaissance-Malerei aufwarten, mal eine römische Arena imaginieren, dann aber auch mit kosmischem Weitblick und Nahaufnahmen aus dem Innenleben von Schaltkreisen spielen. Im Zentrum aber steht die Riesenskulptur eines futuristisch anmutenden Hauptes. Es ist in zwei Hälften gespalten, die sich unabhängig voneinander im Raum bewegen und deren Rückseiten jede Menge von kreativem Werkstatt-Chaos bzw. technischem Backstage-Gewirr bieten. Das ist alles betont künstlich. Sollte das aber tatsächlich eine szenische Vergegenständlichung von künstlicher Intelligenz (die Worte werden auf bunten Elementen tatsächlich einmal über die Szene getragen) sein, so bleibt das eine kühne Behauptung, in der die vokal höchst eindringliche Štěpánka Pučálková als Cellinis Lehrling Ascanio eine Art metallverkleideter Roboter mit ruckartigen Bewegungen durch die Gegend staken muss.
Zu den kleinen und großen Hinguckern gehören viele der phantasievollen Querbeet-Kostüme von Eva Butzkies. Aber auch das große Gitter-Ei, in dem der weiß funkelnde Papst (mit der gebotenen Würde des Amtes: Tilmann Rönnebeck) wie im Papamobil auf die Bühne rollt und dabei von Schweizer Gardisten (Choreografie der auch als Gaukler die Szene belebenden Tänzer: Juanjo Arqués) umtanzt wird. Die üben dabei offensichtlich für den Auftritt bei einer CSD-Parade. Auch Cellinis Meisterstück, der Perseus, dreht sich mal überlebensgroß im Hintergrund. Aber im Ganzen bleibt das alles eine Show, die in ihre eigene Oberfläche verliebt ist und die sich um eine echte inhaltliche Verbindung zur Vorlage oder zu deren historischem Vorbild oder dem, was man daraus machen könnte, nicht wirklich schert.
Gerettet wird diese Opernshow nicht nur durch die Staatskapelle und den Opernchor, sondern vor allem durch eine exzellente Sängercrew, die mit dem Funkeln ihrer Stimmen an die Zeiten erinnert, wo es vor allem darum ging. Anton Rositskiy ist ein souverän strahlender, höhensicherer Tenor, der sowohl als Zechpreller überzeugt, als auch den genialen Künstler und charismatischen Liebhaber darstellerisch zumindest aufscheinen lässt. Tuuli Takala läuft als Teresa mit ihrem Spiel und mit ihrem Strahlen zu gewinnendem Charme auf. Štěpánka Pučálková überzeugt als Ascanio mit pointierter Eloquenz. Ante Jerkunica als Balducci verkörpert kraftvoll die Beamtenbegrenztheit von Teresas Vater. In der Rolle von Cellinis Konkurrenten Fieramosca musste sich der für die Premiere vorgesehene Jérôme Boutillier in der besuchten Generalprobe kurzfristig von Hans Sotin (Gesang von der Seite) und Yorin Moll (auf der Bühne) vertreten lassen.
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