Diesmal war Valery Gergiev bei der Sache. Am Pult der Wiener Philharmoniker. Im Großen Festspielhaus in Salzburg. Mit Giuseppe Verdis Thriller aus dem Genua, als da noch Dogen das Sagen hatten. Die Wiener Philharmoniker erfüllten ihre Rolle als Salzburger Hausorchester mit Bravour. Und auch der Russe am Pult, dem gerade in Bayreuth sein „Tannhäuser“ nicht so recht glücken wollte, und der dafür von der Kritik ziemlich einhellig verrissen wurde, überzeugt! Manchmal bewusst schroff akzentuierend, kleine surreale Momente auskostend – im Ganzen ein packender Verdi für den Premierenreigen der Festspiele! Joachim Lange berichtet.
Die berechtigte Freude über das Musikalische Festspielniveau war natürlich vor allem auch Luca Salti in der Titelpartie und an René Pape in der Rolle seines Gegenspielers Jacopo Fiesco zu verdanken. Da begegnen sich ein italienisches Verdi- und ein deutsches Wagner-Schwergewicht auf Augenhöhe. Beide sind schlichtweg grandios. Der Eine privat und politisch auf offener Bühne oft der Verzweiflung über die Wirkungslosigkeit seiner Bemühung um inneren Frieden nahe. Und der Andere mehr aus der Düsternis der Vergangenheit kommend und im Hintergrund. Dazwischen strahlt die jugendliche Tenor-Leidenschaft von Charles Catronovos Gabriele Adorno, der selbst in seinen Szenen als Möchtegern-Attentäter nicht alle Sympathien verspielt. Marina Rebeka vertritt die weiblichen Stimmen als überzeugende, wenngleich manchmal etwas schrille Amelia. Auch das übrige Ensemble und natürlich der Chor (Ernst Raffelsberger hat die Konzertvereinigung der Wiener Staatsoper einstudiert) halten da mit.
Szenisch ist dieser Salzburger Verdi zunächst mal (mindestens) eine Klasse überzeugender als die Rumsteh-Aida von vor zwei Jahren. Die blieb nur in Erinnerung, weil Anna Netrebko die Aida sang. Bei einem etwaigen Rennen um die Palme für die beste der aktuellen Inszenierung hat „Simon Boccanegra“ gleichwohl keine Chance.
Inszenierung: festspielkompatibel
Regisseur Andreas Kriegenburg kann natürlich die große Bühne (Harald B. Thor ist sein Bühnenbildner) optisch und mit den Protagonisten und Chormassen füllen. Und er schafft es auch, die ziemlich verworrenen Linien des Jeder-gegen-Jeden besonders dieses Librettos zu entwirren und klar (nach)zuerzählen. Was bei der komplizierten Vorgeschichte, die in der Oper nach einem Vierteljahrhundert ihr „Recht“ verlangt, gar nicht so einfach ist. Am Ende, wenn die beiden Erzfeinde aufeinander zugehen, berührt das sogar. Dennoch wirkt in der letzten Zeit vieles bei Kriegenburg wie aus dem Regie-Setzkasten, auf den er in den letzten Jahren zunehmend zurückgreift. In seinen Operninszenierungen bleibt er längst betont moderat und ist wohl auch dadurch gerade in für Salzburg festspielkompatibel!
Das gilt auch für das historische Genua, das gerade einen integren Mann als Dogen an die Spitze des Staatswesens gewählt hat, der sich redlich bemüht, den Dauerstreit zwischen Patriziern und Plebejern zu überwinden, am Ende aber mit Gift aus dem Weg geräumt wird.
Einer echten historischen Einordnung oder präzisen Überschreibung durch unsere Gegenwart entzieht sich Kriegenburg genauso wie einer bewussten psychologischen Feinzeichnung der Charaktere durch eine ambitionierte Personenführung.
Hinter einem zunächst flatternden weißen Vorhangtuch wird ist ein nur leicht aufgehübschter, aseptischer Betonbau sichtbar. Rechts dominiert ein Rundbau im imperialen Stil mit Treppen, Tribüne für die Worte ans Volk. Links eine schräge Decke – hinten zwei knappe Ausschnitte. Mal sieht man da das Meer, mal einen Horizont im Flammenschein einer Revolte. Alles nur angedeutet. In der Wand eine Bar – schließlich braucht es in diesem Stück eine Karaffe mit Wasser, in die der Oberfiesling Paolo Albiani Gift schüttet, um den amtierenden Dogen zu vergiften. Diesem Paolo müsste in der Gestalt von André Heyboer eigentlich jeder ansehen, dass er selbst gemeint ist, als der Doge ihm einen öffentlichen Fluch auf einen Entführer, der noch nicht entdeckt wurde abverlangt.
Im Hintergrund taucht schließlich noch ein kleiner künstlicher Urwald auf. Links daneben ist ein Konzertflügel postiert. Es sorgt für Heiterkeit im Publikum, wenn sich der Doge, als schon das Gift zu wirken beginnt, ohne ersichtlichen Grund, auf dem Instrument ausstreckt, und mitbekommt, wie sein potentieller Schwiegersohn sich zunächst als Attentäter versucht, aber dann doch nicht traut. Zum Glück für ihn. Diesem jungen Mann und schmachtenden Tenor, der ganz zu recht auf einer Liste mit Attentäter und Umstürzlern steht, die den Dogen beseitigen wollten, steht in der kurzen Restzeit der Oper noch einiges bevor. Erst darf er mit Verblüffung – und von Verdis sehr effektvoll komponiert – zu Kenntnis nehmen, dass das enge Verhältnis, das seine Angebetete Amelia offensichtlich zum viel älteren Dogen hat, tatsächlich „nur“ eine Tochter-Vater-Liebe ist. (Das ist eine der Passagen, in denen sich die komplizierte Vorgeschichte des Prologs, die sich ein Vierteljahrhundert vorher zutrug, im Stück eine Rolle spielt.) Auf der Stelle verwandelt sich Gabriele vom aufständischen Wüterich zum Streiter für Frieden und Versöhnung an der Seite des Dogen. Er wird denn auch zu dessen Schwiegersohn und sogar zum Nachfolger im Amt! Was ja selbst in einem Melodrama-Libretto aus der Mitte des 19. Jahrhunderts eine beachtliche Karriere ist. Im Sterben bittet der Doge seine Senatoren darum Gabriele zum Dogen zu machen. Dazu noch ein großes Standbild-Tableau der Ergriffenheit – Vorhang und ein (deutlich zu früh) einsetzender Beifall
Es gibt nur ein eher symbolisches Schwert (über der kleinen Bar für die bewusste Karaffe). Ansonsten wird mit gezückten Handys und dem fake-news-Gift in WhatsApp-Sprechblasen gekämpft. Was heute zur Mode geworden ist, wie früher die Maschinenpistolen oder davor die blitzenden Schwerter. Erst bewegen sich die Verschwörer (bzw. „Wahlkämpfer“) gebeugt auf ihre Displays starrend über die Bühne von links nach rechts. Dann sind es die Verwalter(innen) der Macht. Eine gewisse Ausnahme ist René Pape als der große Gegenspieler (und – wegen der Vorgeschichte – Erzfeind Simons) Jacopo Fiesco. Einer, der unversöhnlich ist und ohne Zweifel selbst das Format zum Dogen hätte. Einer, der ihn hasst, aber dem so etwas wie Giftmord oder Entführung einer jungen Frau zutiefst zuwider sind. Dass er und der Doge am Ende zueinander finden, und der Doge dann doch stirbt, bleibt berührend. Großes italienisches Opernpathos halt, das es auch sein will.