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CARMEN: Ondrej Saling, Carolina Krogius. Foto: © Marie Liebig
CARMEN: Ondrej Saling, Carolina Krogius. Foto: © Marie Liebig
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Georges Bizets Dauerbrenner „Carmen“ am Staatstheater Meiningen

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In Thüringen erlebt „Carmen“ gerade eine Mini-Konjunktur. In Erfurt hat Guy Montavon die Spielzeiteröffnung mit den Domstufenfestspielen einer ganz speziellen „Carmen“-Variante vorbehalten: Liebe und Eifersucht zwischen unzähligen Autowracks. Ein imposanter Rahmen, mit dem er das Erfolgsstück in die Gegenwart holte. Mit all den akustischen Ecken und Kanten, die sich bei so einem Freiluftspektakel halt nicht vermeiden lassen. Auch in Meiningen hat Intendant Ansgar Haag die französische Spanienoper an den Anfang der neuen Spielzeit gesetzt.

Musikalisch überzeugt der Abend vor allem, weil der Meininger GMD Philippe Bach im Graben am Pult der Hofkapelle kräftig zulangt und ohne falsche Zurückhaltung auf die Effekte der Musik und ihr melodisches Einschmeicheln hin dirigiert. Es gibt zwar einige aus dem Off eingespielte Texte von Else Lasker-Schüler und Edith Södergran, die Carmens Liebes- und Freiheitsanspruch als Innehalten des Bühnengeschehens poetisch aufscheinen lassen. Ansonsten aber unterbrechen weder Rezitative noch gesprochene Texte den Fluss der Musik. Damit entfaltet sie immer mehr ihren eigenen mitreißenden Charme. 

Dass die Geschichte von Don Josés Liebe zur schönen, verführerischen Zigeunerin musikalisch gesehen schlicht und einfach eine Nummer- bzw. Szenenfolge ist, das wird bei Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović überdeutlich. Gemeinsam mit Christian Rinke macht sie lediglich eine leicht nach vorn geneigte, quadratische Spielfläche, die von Glühbirnen umrahmt ist, zur eigentlichen Bühne. Protagonisten und Chor tauchen frontal von hinten auf und verschwinden dort auch wieder. Um für die Eingangsszene die Zigarettenfabrik anzudeuten, senkt sich ganze Reihen von Tüchern wie ein Dickicht aus dem Schnürboden herab. Später gibt es einen riesigen Stierkopf und eine Salontür – mehr braucht es nicht. Bei den Kostüme konzentriert sich Christian Robert Müller auf eine Mischung aus biederer mediterraner Sonntagsausgeh-Kleidung. Die Schmuggler könnten in jedem Western mitspielen. Die Soldaten tragen modernes Uniformblau.

Ganz gleich, mit welchem Gewusel hier eine Szene beginnt, bei Regisseurin Jasmina Hadžiahmetović läuft sie noch jedes Mal auf ein Tableau an der Rampe hinaus. Oder frönt hemmungslos dem großen Auftritt. Exemplarisch natürlich beim absoluten Hit der Oper, dem „L'amour est un oiseau rebelle“, bei dem Carmen laut Vorlage aus der Zigarettenfabrik von der Arbeit kommt. Hier taucht sie zur Habanera im rauschenden, roten Olé-Gewand auf, zu dem nur die Revuetreppe fehlt. Es bleibt auch danach im Grunde vor allem bei einem Spiel mit den gängigen Carmen-Klischees, aber ohne sie so auszuhebeln, dass sie wirklich den Blick auf die Abgründe der Leidenschaften preisgeben, die hinter Carmens Freiheitsbegriff brodeln.

Martin Wettges und André Weiss haben die Chöre (neben dem hauseigenen Chor und Extrachor auch noch die Kinderchöre der Meininger Kantorei und des Evangelischen Gymnasiums) präzise einstudiert. Die Regisseurin freilich muss die Losung ausgegeben haben: Bewegt euch mal so zu der Musik, wie ihr das schon immer mal machen wolltet! Da wird mit den Fingern geschnipst und die Hüfte geschwungen – bis kurz an die Grenze des Mitschunkelns im Saal. Auf einen Platz in der Rezeptionsgeschichte ist diese „Carmen“ nicht aus. Muss sie auch nicht. Vielleicht war der eine oder andere Meininger Zuschauer ja im Sommer auf dem Schrottplatz vor den Domstufen dabei und hat jene Bilder noch im Gedächtnis….

Musikalisch ist diese Produktion hoch zu loben. Hier ist ein Ensemble beisammen, das sich wirklich hören lassen kann und dem der GMD auch den Raum lässt, sich vokal in Szene zu setzten. Die finnische Mezzospranistin Carolina Krogius verfügt über die Leuchtkraft, die eine Carmen braucht. Obwohl sie mit ihrem seltsamen Frack und dann im zweiten Teil im Hosenanzug wie eine seriöse Firmen- (oder Clan-)Chefin wirkt, die das Heft eigentlich fest in der Hand haben müsste und sich dann doch mit den lästigen Besitzansprüchen Don Josés auseinandersetzen muss. Und ihnen zum Opfer fällt. Vergleicht man den Status, mit dem sie auftritt, mit Ondrej Šalings eher leidend und verdruckst wirkenden Don José, dann hätte man sich auch ein anderes Ende als eine Messerattacke in den Rücken der Frau vorstellen können. Stimmlich sitzt die Partie bei dem slowakischen Tenor, der ebenfalls als Ensemblemitglied schon als Walther von Stolzing im Gedächtnis geblieben ist. Shin Taniguchis bleibt etwas steif im Spiel, bietet aber vokalen Aplomb als Escamillo. Elif Aytekin ist die eher zerbrechlich wirkende Micaela. Aus ihren kleineren Auftritten als Frasquita und Mercedes schlagen vor allem Marianne Schechtel, aber auch Monika Reinhard szenische Funken!

Meiningen hat eine „Carmen“, die sich szenisch zwar ein wenig zu sehr auf das Spiel mit den Klischees verlässt, aber niemanden richtig verärgern dürfte und musikalisch in jeder Hinsicht gelungen ist. 

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