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Szenenfoto Król Roger. Foto: Marlies Kross
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Glauben im Sonderangebot – Karol Szymanowskis „Król Roger“ in Cottbus entfesselt Sogwirkung

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Karol Szymanowskis (1882-1937) einzige Oper „König Roger“ entfaltet auch am Staatstheater in Cottbus vor allem ihre unglaubliche musikalische Wucht. Der 1926 uraufgeführte kurze Dreiakter des polnischen Komponisten kann sich in der Beziehung durchaus neben „Salome“ von Richard Strauss oder „Penthesilea“ von Otmar Schoeck sehen bzw. hören lassen. Obendrein sind bewusst französische, gar orientalische Klangfarben unter die aufrauschende Opulenz gemischt.

Auch in „Król Roger“ wird die zerstörerische Kraft von Verführung zum Thema. Verführung als Bedrohung eines Gemeinwesens ist heute – auf andere Weise – aktueller und für jeden nachvollziehbarer denn je. Das Ganze hat wie immer natürlich auch eine persönliche, biografische Komponente und kann durchaus (wie etwa bei Benjamin Britten) als ein künstlerisches Abarbeiten an der eigenen (sexuellen) Identität des Komponisten aufgefasst werden.

Für die Geschichte, die Jaroslaw Iwaszkewicz und Szymanowski in ihrem Libretto erzählen, waren sowohl die Bakchen von Euripides, als auch die Erfahrung des Komponisten als Homosexueller im katholischen Polen eine Quelle. Es ist gut nachvollziehbar, dass er immer wieder der beklemmenden Enge seiner Heimat (wie nach ihm und aus ähnlichen Gründen Hans Werner Henze der seinen) ins freiere, hedonistische Italien entflohen ist. Szymanowski zog es vor allem nach Sizilien, das er dann auch zum Schauplatz seiner Oper machte.

Im Stück gerät die klar geordnete, eigentlich mittelalterliche Welt des sizilianischen Königs Roger und seiner Frau Roxana durch das Auftauchen eines charismatischen Hirten aus den Fugen. Dieser Hirte zieht als Prophet einer dionysischen Lehre durchs Land, die sich direkt gegen die bis dahin geltende Werteordnung wendet. Er hat Erfolg, denn selbst die Königin, und später auch Roger, fühlen sich zu dem neuen Glauben hingezogen. Was nicht wirklich überrascht, denn dieser Hirte ist in Wirklichkeit niemand anderes als der Gott Dionysos selbst. Am Ende wendet sich Roger nach einer im Grunde resignierenden Selbstfindung und dem Triumph des Dionysos, als Akt der Emanzipation von beiden Welten, metaphorisch der aufgehenden Sonne zu.

Ob nun originelle Neudeutung oder Missverständnis – Regisseur Tomo Sugao und Kostümbildnerin Carola Volles drehen den Gegensatz von gesellschaftlicher Strenge und einbrechendem Hedonismus zumindest auf den ersten Blick einfach um. Rogers Gesellschaft ist hier nämlich eine dem Konsumrausch und der modebewussten Selbstdarstellung verfallene Gesellschaft. Vom Einbruch eines in strengem, nüchternem Weiß gekleideten Gurus und den seine Heilsverkündigungen umtanzenden Begleitern zunächst alle irritiert und dann zunehmend fasziniert. Vor allem Rogers Frau Roxane hat verdächtig schnell ein allzu offenes Ohr für die neuen Gewissheiten. Das spielt sich alles in einem holzvertäfelten Innenraum (Bühne: Julia Katharina Berndt) ab, der zunächst (im „byzantinischen“ ersten Akt) die Marienkathedrale in Palermo und dann (im zweiten, „orientalischen“ Akt) den Palast Rogers darstellen soll. Schließlich imaginieren demontierte Wände die Ruinen des antiken Theaters im dritten Akt.

Dennoch ist der fundamentale Umsturz der Werteordnung einer Gesellschaft – oder des Selbstverständnisses beim Titelhelden – vor allem eher zu hören, als szenisch nachzuvollziehen. Was besonders dem wohldosierten, gleichwohl opulenten Schwelgen des Philharmonischen Orchesters, von dem Harfen und Klavier außerhalb des Grabens platziert sind, unter Leitung seines GMDs Alexander Merzyn zu verdanken ist. Und den mustergültig rollendeckenden Protagonisten. Das gilt für die intensiv leuchtende Ketevan Chuntishvili als Roxane und Alexey Sayapin als Rogers Berater Edrisi und alle Nebenrollen. Vor allem aber für die beiden zentralen Protagonisten: Nils Stäfe als Roger und Uwe Stickert, als dessen dionysischen Kontrahenten. Sie werfen sich beide mit Vehemenz und vokalem Standvermögen in ihre herausfordernden Partien.

Schade, dass sich in Cottbus allzu viele potenzielle Besucher abhalten ließen, ihr phantastisches Opernhaus für diese Premiere wieder zu besuchen. Sie haben etwas verpasst!

Zwei weitere Vorstellungen in dieser Spielzeit: am 19. Mai 2022, 19.30 Uhr und am 26. Juni 2022, 19.00 Uhr

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