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Wo steht die Junge Deutsche Philharmonie, das deutsche Studentenorchester, heute? Wie stellt sie sich den neuen Herausforderungen in einer sich wandelnden Musiklandschaft? Welche Perspektiven gibt es für die Zukunft? Zu diesen und weiteren Fragen sprach Reinhard Schulz mit dem Geschäftsführer der Jungen Deutschen Philharmonie Matthias Ilkenhans.
Wo steht die Junge Deutsche Philharmonie, das deutsche Studentenorchester, heute? Wie stellt sie sich den neuen Herausforderungen in einer sich wandelnden Musiklandschaft? Welche Perspektiven gibt es für die Zukunft? Zu diesen und weiteren Fragen sprach Reinhard Schulz mit dem Geschäftsführer der Jungen Deutschen Philharmonie Matthias Ilkenhans. nmz: Die Junge Deutsche Philharmonie ist vor gut 25 Jahren – genauer im Jahr 1974 – ausgezogen, um der Musikwelt das Fürchten zu lehren. Schlagworte waren Selbstorganisation, Basisdemokratie, letztlich ein Aufbrechen der Konzertriten. Was ist heute davon übrig geblieben?Matthias Ilkenhans: Die Junge Deutsche Philharmonie formierte sich aus dem Protest gegen den eingefahrenen Konzertbetrieb heraus. Da hat sich bis heute einiges geändert. Wir verstehen Basisdemokratie mehr als pädagogisches Projekt. Es geht darum, dass jungen Menschen Fachleute an die Seite gestellt werden, die bei Willensbildung helfen, die über den Musikbetrieb aufklären. Unser Programmausschuss wird zum Beispiel durch einen erfahrenen Dramaturgen verstärkt, der Anhaltspunkte geben kann, wie man ein Programm baut. : Das klingt wie ein gescheiterter Prozess. Die Jugend gibt ihre ertrotzte Mündigkeit zurück.
: Nun, man sollte auch Fernwirkungen sehen. Es gibt ja mittlerweile ein großes Netzwerk von Leuten, die bei uns mitgespielt haben und die jetzt in größeren Orchestern sitzen. Sie haben hier ein Gefühl für Selbstverantwortung mit auf den Weg bekommen, das sie auch in der Folgezeit nicht mehr abzugeben bereit waren. Es ist Ziel bei uns, die Musiker von ihrer Fixierung auf Probespiel und Orchesterstelle wegzubekommen. Sie sollen dazu gebracht werden, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen. Gerade in Zeiten, wo vielleicht nur jeder fünfte Musikstudierende ins Orchester kommt ist das besonders wichtig. : Heute gibt es ja ein weit breiteres Spektrum von Jugendorchestern als vor 25 Jahren. Wie stellt man sich dazu?
: Es ist in der Tat kein Selbstläufer mehr, hier die besten Studierenden zu versammeln. Das hat mit der genannten Konkurrenz zu tun, aber auch die Hochschulorchester selbst sind viel besser geworden. Und dann hat schon fast jedes große Orchester eine eigene Orchesterakademie mit vielen Praktikantenplätzen. Es geht darum, dass wir ein hochklassiges Angebot an Orchestermusik bieten, das auch einen eindeutigen Schwerpunkt Neue Musik hat. Wir müssen etwas anbieten, was auf diesem Niveau an den Hochschulen nicht zu bekommen ist. : Ist die Neue Musik eine Zugkraft? Viele Orchester stellen sich ja heute verstärkt dieser Aufgabe.
: Ich habe nach wie vor das Gefühl, dass Neue Musik nur eine Randgruppe der Studenten interessiert, obwohl die Orchesteraktivitäten ganz allgemein sich wirklich in diese Richtung bewegen. Es gibt eine kleine Gruppe von Studenten, die sich schon während ihrer Ausbildung intensiv mit Neuer Musik beschäftigen. Die kommen auch aus diesem Grund zu uns. Unser Aufgabe ist es, breitere Kreise dafür zu interessieren. Ich glaube, dass mehr Leute gehen, die etwas mit Neuer Musik anfangen können, als gekommen sind. Das ist auch das Ziel. : Und die Zusammenarbeit mit Komponisten?
: Da bieten wir immer wieder neue Projekte an. Wir haben mit der Kompositionsklasse Zender zusammengearbeitet, beim zweiten Mal mit der Klasse Spahlinger. Aber hierbei können sich auch Probleme einstellen. Etwa in dem Sinne, dass sich beide Seiten irgendwie ausgenutzt vorkommen. Denkbar wäre in diesem Sinne eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem Ensemble Modern, um von den größeren Erfahrungen dort zu lernen. : Dort gibt es ja inzwischen auch eine große Formation...
: ...zu der wir nicht in Konkurrenz stehen wollen. Wir sind kein Spezialorchester für Neue Musik, sondern wollen möglichst alle Felder der Orchestermusik, also auch Alte Musik abdecken. Als Projekt haben wir die Erarbeitung der Bach’schen Matthäus-passion angedacht, eine Aufführung mit zwei Orchestern, wobei die Junge Deutsche Philharmonie den einen Part übernimmt. Als Partner sind Concerto Köln und Frieder Bernius im Gespräch. : Auf neuen Instrumenten?
: Nein, auch wir wollen, was die Bläser betrifft, auf Alten Instrumenten spielen, die Streicher zumindest mit Darmsaiten. : Wer ist verantwortlich oder zuständig für solche Projekte?
: Im Prinzip ist jeder hier, die Mitarbeiter wie die Musiker, aufgefordert, Ideen zu haben. Das Gremium ist dann der Orchestervorstand und die Orchestervollversammlung. Wenn die Ideen auf Resonanz der Studenten treffen, dann versuchen wir, sie in die Tat umzusetzen. : Es ist die Resonanz der jetzigen Studenten, die bei der Verwirklichung vielleicht schon nicht mehr dabei sind?!
: Das sind eben die Gefahren der Selbstbestimmung. Zum einen ist unsere Fluktuation zu groß, die meisten Studenten nehmen nur an ein oder zwei Arbeitsphasen teil, erst am Schluss sind sie so in der Materie, dass vernüftige Projekte entwickelt werden können.
Zum anderen klaffen häufig zwischen den Wünschen und dem Machbaren zu große Lücken. Oft gehe ich mit einer großen Wunschliste aus den Vollversammlungen, es sind etwa zehn im Jahr, nach Hause. Da sind Dirigenten genannt oder aufwändige Kompositionen und dann stellt man fest, dass kein Vorschlag, etwa aus Termingründen der genannten Dirigenten, zu realisieren ist. Dann wieder Konsens herzustellen ist schwierig. : Die eine Orchestergeneration, wenn man so sagen will, entwickelt Ideen, die dann bestenfalls von der nächsten und einigen „Überhängern“ verwirklicht wird.
: Es ist ein pädagogisches Moment dabei. Es geht nicht darum, dass Leute ihren Willen durchdrücken, es geht darum, dass sie lernen, einen zu entwickeln. : Hat die Junge Deutsche Philharmonie eine Brückenfunktion zwischen dem vorstudentlichen Bundesjugendorchester und den professionellen Orchestern? Die Organisation ist ähnlich zum BJO, das freilich in den Deutschen Musikrat eingebunden ist.
: Das sind wir nicht, vielleicht sollte man zum Deutschen Musikrat eine größere Annäherung herstellen. Wichtiger aber ist mir der intensivere Kontakt zu den Hochschulen. Ich strebe an, regelmäßig zu den Rektorenkonferenzen eingeladen zu werden. Unser Ziel muss es sein, ein pädagogisch sinnvolles Angebot auf die Beine zu stellen. Das geht nur, wenn wir uns bei den Hochschulen Rückmeldung holen, was das sein könnte. Eine engere Absprache scheint mir unerlässlich. Viele Hochschulrektoren empfinden die Junge Deutsche Philharmonie viel zu wenig als Repräsentant der deutschen Hochschulen in In- und Ausland. Ich würde mir von dieser Seite eine größere Aufmerksamkeit wünschen: also die Ermutigung ihrer Studenten, bei uns mitzuspielen. : Es gibt da also Defizite.
: Nun, die Hochschulen trachten natürlich, einen perfekt laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten. Die Angst, dass die Teilnahme bei uns die Studenten abhalten könnte, im eigenen Hochschulorchester zu spielen, ist überall spürbar. Ein Fernziel, das ich anstrebe, wäre, dass die Teilnahme bei uns an den Hochschulen als Orchestertestat vergolten würde. Denn wer bei uns spielt, spielt in den Semesterferien jeweils drei bis sechs Wochen auf allerhöchstem Niveau und pädagogisch bestens betreut. Ich fände es konsequent, diese Zeit im Semester zum individuellen Üben freizuräumen. Ein logischer Ablauf könnte sein: Hochschulorchester bis zum Vordiplom, für die Begabtesten dann zwei Jahre Junge Deutsche Philharmonie, danach, für den der das will, Praktikum im Orchester. : Gibt es Nachwuchssorgen?
: Also bei den Bläsern sind wir absolute Spitze, da kommen zweimal jährlich 40 Bewerber auf ein paar Stellen. Bei den Streichern gibt es hingegen Probleme. Wir müssen manchmal auf Aushilfen zurückgreifen. : Wo kommen die her?
: Es gibt Vorschläge und wir fragen dann an. Die sind nicht unbedingt schlechter, aber das kann nicht unser Weg sein. Und wenn es mehrere sind, die auf diesem Weg ins Orchester kommen, dann spricht sich womöglich herum, dass man nicht unbedingt vorspielen muss, um in die Junge Deutsche Philharmonie zu kommen. Das nimmt dem Unternehmen einen Gutteil des Sinns. : Wie sieht es mit den Kontakten zur anderen Seite, zu den professionellen Orchestern aus?
: Es gibt zwei Orchester, zu denen wir gute Verbindungen haben. Das sind die Berliner Philharmoniker und die Bamberger Symphoniker... : Ist das zufällig entstanden, oder über ehemalige Mitglieder?
: In beiden Orchestervorständen sind ehemalige Mitglieder von uns vertreten. Über diese Kontakte ergeben sich diverse Möglichkeiten, etwa Akademieplätze oder auch Lehrkurse für das Probespiel. In Bamberg ist es zurzeit aus den bekannten finanziellen Problemen etwas schwieriger. : Die Junge Deutsche Philharmonie versteht sich als studentisches Eliteorchester. Ist dieser Anspruch – etwa bei der Vielzahl von Orchesterakademien – überhaupt noch aufrecht zu erhalten?
: Wir sind keine Elite per se, wir sind einfach nur ein Angebot. Deswegen reise ich auch zu den Hochschulen. Wenn wir nur noch ein weiteres Hochschulorchester mit schöner Orchesterfreizeit sind, dann braucht es das nicht. : Die Luft für klassische Musik wird derzeit dünner. Macht man sich in dieser Hinsicht, zum Beispiel in Bezug auf neue Programmatik, neue Darbietungsformen bei der Jungen Deutschen Philharmonie Gedanken?
: Schon immer haben wir den Gedanken der Werkstattkonzerte, also mit Erläuterungen, mit Hinweisen auf ästhetische oder politische Zusammenhänge, verfolgt. Was unbedingt verstärkt werden muss, ist der Kontakt zum jungen Publikum, etwa in Zusammenarbeit mit der Jeunesse Musicales oder mit dem Deutschen Musikrat.
Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, wo wir zum Beispiel mit der Pisa-Studie konfrontiert sind, was in der Konzentration auf das Basis-Wissen zu einem weiteren Abbau der musikalischen Bildung führen könnte, ist das besonders nötig.
Letztlich muss es im Kindergarten anfangen und über die Schule bis zum Studium fortgesetzt werden. Ich stelle bereits fest, dass hoch qualifizierte deutsche Musiker im Vergleich zu ausländischen bei uns zahlenmäßig abnehmen. : Wo steht denn Ihrer Meinung die Junge Deutsche Philharmonie im Vergleich zu anderen Studentenorchestern?
: Ich will keinem anderen Orchester zu nahe treten, aber ich glaube, dass die Junge Deutsche Philharmonie, auch weil sie aus dem Land der höchsten Orchester- und Hochschuldichte der Welt stammt, das einzige Jugendorchester ist, das mit international besetzten Jugendorchestern wie etwa dem Gustav Mahler Jugendorchester mithalten kann. Darauf sind wir stolz. Die Aufnahme mit Mahlers Fünfter wurde CD des Monats bei „Klassik heute“. Das ist ein gutes Zeichen. : Wo liegt in erster Linie die Qualität? Im Engagement?
: Der Zustand, dass Leute wahrscheinlich nie mehr besser spielen als kurz vor ihrem Examen, die ein Werk zum ersten Mal, unverbraucht und mit viel Lust mit einem Dirigenten ihrer Wahl spielen, das ist zu hören. Es ist ein Glücksfall, der sich so vielleicht nicht ins Berufsleben retten lässt.