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Parsifal am Staatstheater Nürnberg. Foto: Ludwig Olah.

Parsifal am Staatstheater Nürnberg. Foto: Ludwig Olah.

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Gral an Erde – oder das Licht der Vernunft: David Hermann inszeniert in Nürnberg Richard Wagners „Parsifal“

Vorspann / Teaser

Sein Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ hatte Richard Wagner nicht nur fürs Bayreuther Festspielhaus maßgeschneidert, sondern dem Haus auch die Exklusivität der Aufführung gesichert. Auf ewig war das natürlich nicht zu halten und so haben alle, die sich heute an das Opus magnum des deutschen Überkomponisten heranwagen, das Problem, das Faszinosum dieser Musik zu imaginieren und eine szenische Lösung zu bieten. Nicht nur für die Hardcore-Gemeinde, die eh nicht nur jede Note, sondern auch jedes Wort des Meisters als der Weisheit letzten Schluss hinnimmt.

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Regisseure können das heutzutage natürlich nicht mehr, sie müssen und wollen hinterfragen. Was dem einen mehr, dem anderen weniger schlüssig gelingt. Wobei man auch den stets verbleibenden Rest an Geheimnis für einen Vorzug halten kann. So nach dem Motto: vielleicht klappt es ja beim nächsten Mal. Allein die letzten Versuche in Bayreuth boten jedes Mal immerhin eine Überschreibung der Geschichte als Ganzer. Ob nun durch eine Weiterung ins Multikulturell-assoziative wie bei Christoph Schlingensief, als Geschichtslektion in Sachen Deutschland und Wagner-Bayreuth bei Stefan Herheim, als Parabel auf religiöse Konflikte heute bei Uwe Eric Laufenberg oder jetzt mit einer Blickerweiterung in eine zusätzliche optische Dimension für Jay Scheibs Naturdystopie.

In Nürnberg umgehen David Hermann (Regie), Jo Schramm (Bühne und Video) und Bettina Werner (Kostüme) die Herausforderung einer Annäherung durch eine geschlossene Überschreibung. Sie machen aus den drei Aufzügen drei jeweils eigenständige „Perspektiven“. Wäre Parsifal hier die Figur einer Geschichte, wäre die zumindest fragwürdig, wenn nicht toxisch. 

Am Anfang in der Perspektive des „Weihspiels“ sieht die Bühne nach einer Rasthütte auf dem Weg nach Oberammergau aus. Das Balkenkonstrukt auf der Drehbühne, die bunten übergeworfenen Gewänder, ein Gurnemanz, der über den Zuschauerraum kommt und nicht die Knappen, sondern das Publikum ermahnt, nicht einzuschlafen, sondern zu wachen. Das tümelt zwar vor sich hin, erlaubt aber dem fabelhaften Patrik Zielke schon hier aus dem Gurnemanz-Klischee auszubrechen. Dazu ein Parsifal im Trainingsanzug, der der Gralsenthüllung tatsächlich verständnislos von der Seitenloge aus zusieht. Die beginnt mit einer spektakulären Verhüllung. An zwei Seilen, die bis in den obersten Rang reichen, wird ein weißes Riesensegel über die Köpfe der Zuschauer bis auf die Bühne gezogen, um dort die Hütte zu verdecken. Immerhin ein ziemlicher Effekt. Der Gral selbst, dessen Enthüllung von einem zitternden Zombiekönig namens Titurel (Nicolai Karnolsky) stimmstark gefordert und vom rebellierenden Amfortas zunächst verweigert wird, ist eine Art Lichtdusche. Kein Blut, kein Kelch, sondern eine Dosis Stimmungsaufheller mit erhoffter Nebenwirkung. Hm …

In der zweiten Perspektive, dem Bühnenspiel, wird die Geschichte des 1905 als eines der schönsten und teuersten in ganz Europa eröffneten Nürnberger Opernhauses selbst aufgegriffen. Bühne und Logen werden mit der historischen Pracht überblendet und wir finden uns in einer Parsifal-Inszenierung von 1925 wieder. Klingsor, Parsifal, Kundry und die Blumenmädchen werden von einem immer wieder dazwischenfunkenden Regisseur inszeniert, dem sie als Darsteller auch immer mal widersprechen. Diese Melange aus parodierender Distanz und Ausstattungspracht (Kundry sieht hier im Ornat der Zeit so prachtvoll aus, als wäre sie Kriemhilds Schwester) ist nicht wirklich schlüssig, weil sie auf eine Kritik an den Klippen des Stückes – also an Wagner – und nicht an dessen Umsetzung hinausläuft. Parsifal verweist jetzt mit seinen SA-braunen Klamotten und den Stiefeln unter seiner Kostümierung (am Ende auch der Frisur) immer mehr auf die bevorstehende neue Zeit. Da Hitler den alten prachtvollen Zuschauerraum des Hauses 1935 zerstören und in einem pseudoklassizistischen Stil wieder aufbauen ließ, wird diese historische Fußnote zur Steilvorlage für den Zusammenbruch von Klingsors Reich. Die imposante Videoüberblendung der Bühne mit der dekorativen 1905er-Pracht wird am Ende des Klingsoraktes zu einer Sprengung der Ränge und deren Auferstehung mit Hakenkreuz-Fahne vor der Mittelloge. 

Zu der „Endspiel“-Perspektive des dritten Aufzuges schließlich, taucht Parsifal nicht nur zusammen mit einem halben Dutzend Alter Egos in Schutzanzügen an der lädierten Gralshütte auf, sondern alle überleben diese Wiedersehen und das Finale. Wenn jetzt Kundry den Gralstrog enthüllt, sehen alle, dass er leer ist und funktionieren ihn zu einer Art Solarkollektor um. Die zusammengesteckten Rohrteile, die Parsifal&Co. anstelle des Speeres dabeihatten, ergeben die rechte Höhe für das Gerät. Da sich herausstellt, dass der aufgebaute Leichnam Titurels eine Skulptur aus lauter Spiegelscheiben ist, werden die verteilt und mit ihrer Hilfe das Licht auf den zweckentfremdeten Gralstrog gelenkt. Gral an Erde – oder das Licht der Vernunft? Man kann das als spätes Einlenken der Regie vom Ausweichen in die möglichen Methoden der Darstellung und in die Geschichte des Hauses auf den Versuch einer inhaltlichen Deutung lesen. Oder auch nur als eine Pointe, die dem segelnden Tuch und dem einstürzenden Altbau Paroli bietet. 

Musikalisch geht der neue Nürnberger GMD Roland Böer mit der Staatsphilharmonie zupackend diesseitig und vor allem flott zur Sache. Man merkt nach dem Vorspiel bald, dass er mit dem ersten Aufzug schneller durch ist auf als auf dem Aushang angekündigt. Mit 1 Stunde 36 Minuten gehört er zu den flotten Parsifaldirigenten. Er bleibt damit auch im Graben auf dem Boden des Musiktheaters, das die Bühne bietet, allerdings mit deutlich mehr innerer Konsistenz als die Szene. Die Sänger hat er freilich immer im Blick und das lohnt sich. Vor allem Anna Gabler als ausdrucksstarke Kundry und Tadeusz Szlenkier als metallisch strahlender und dunkel timbrierter Parsifal krönen eine beeindruckende Ensembleleistung. Jochen Kupfer ist ein akzentuiert rebellischer Amfortas, Patrick Zielke ein sehr konditionsstark singender und handfest diesseitiger Gurnemanz. Wonyon Kang verpasst Klingsor eine angemessene Portion Dämonie. Die Blumenmädchen nutzen ihre Tableau-Aufstellung für vokale Profilierung. Der von Tarmo Vaask einstudierte Chor überzeugt vor allem bei seinen machtvollen Auftritten zu den Gralsenthüllungen. Bei diesem Parsifal bleiben zwar szenisch einige, musikalisch aber kaum Wünsche offen! Das Premierenpublikum würdigte die Interpreten angemessen und ließ die Inszenierung erstaunlich widerspruchslos passieren.

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