In Zeiten, in denen Jugendliche sich Schönheitsoperationen als Geburtstagsgeschenk wünschen, ist Oscar Wildes ironisch böse Entlarvung eines verabsolutierten und daher selbstzerstörerischen Schönheitskultes aktueller denn je: „Dorian Grays“, die alles darum gäben, ihre geposteten Images altern zu lassen und selbst dafür „forever young“ zu bleiben, lassen sich auf Anhieb finden.
Dies zu thematisieren, dafür je einen Choreographie– und einen Kompositionsauftrag zu erteilen - das zeigt wieder einmal die künstlerisch-kritische Lebendigkeit des einzigartigen deutschen Theaterraumes, diesmal des von Juliane Votteler geleiteten Theaters Augsburg.
So erwuchs ein interdisziplinäres Werk. Der das Milwaukee Ballet leitende Michael Pink schuf eine der Romanhandlung folgende Choreographie: Dorians Weg vom schönen Model zum egozentrischen Beau, der den Tod der jungen Schauspielerin Sibyl und ihres Bruders verursacht, schließlich sogar den Maler des Bildes, das an seiner Stelle altert und seinen charakterlichen Verfall zeigt, tötet – das ist leicht fasslich zu verfolgen. Stefan Morgenstern Bühne und Kostüme wechseln dabei gekonnt fließend vom Atelier über Salon zum Boudoir und zeigen eine zeitlose Party-Society, der „Chic“, Style“ und „Fun“ über alles gehen. Doch das Produktionsteam scheint der Expression von Szene, Musik und Choreographie nicht genügend getraut zu haben. Der den jungen Dorian zu einem hemmungslos ausschweifenden Leben verführende Lord Henry ist zusätzlich als Sprechrolle angelegt: mal als Erzähler, mal als er selbst, mal als innere Stimme Dorians – dramaturgisch inkonsequent, was Schauspieler Toomas Täht nicht retten kann – und statt Steigerung verliert das Werk.
Das liegt auch an Tobias PM Schneids Musik. Müsste nicht – vergleichbar Fausts Schwur an Mephisto oder Alberichs Liebesfluch im „Rheingold“ – Dorians wahnhaftes Angebot an sein Gemälde, seine Seele hinzugeben, wenn das Bild an seiner Stelle altere, ein fulminanter musikdramatischer Höhepunkt sein, an dem Szene und Tanz zusätzlich Abgründe eröffnen? Es war nur eine Szene von vielen. Schneid lässt ein großes symphonisches Orchester samt Xylophon und Band-Schlagzeug einen eher an Hollywood-Filmsound erinnernden Klangteppich ausbreiten. Es fehlt an kompositorischer und dann musikdramatischer Bandbreite, etwa an Intimität für Sibyls kurze Liebe, an bös ironischen Klängen für Dandy-Arroganz oder an rauschhafter Ekstase für Dorians Ausschweifungen. Ganz kurz ist mal ein ironisch schräger Ländler à la Gustav Mahler zu hören.
Wo im Buch Schumann-Musik eine Rolle spielt, nimmt Schneid einen Chopin-Klavierwalzer, den er dunkel und üppig-schwer instrumentiert, doch Ravels „La Valse“-Morbidezza stellt sich nicht ein – so gut Roland Techet und die Augsburger Philharmoniker auch musizieren. So überwiegt die Freude an der zarten Lyrik von Coco Mathiesons Sibyl, zu der die laszive Gräfin von Ana Dordevic gut kontrastiert. Patrick Howell bringt eine überzeugend „maskulin schöne“ Bühnenerscheinung für den Dorian mit. Ihm wäre eine zerrissen abgründigere Choreographie und Musik für Dorians zwei Seiten zu wünschen: mal der egozentrische Hedonist, mal der vor dem wahren Ego in seinem Gemälde erschreckende Mensch, der am Ende sein Bild und damit letztlich sich tötet. Da wirkt Pinks Tanzsprache so, als ob er für eine künftige Übernahme einem verklemmt prüden US-Publikum nur ja nichts Schockierendes zumuten will. Doch über diese Enttäuschung hinaus bleibt Augsburgs Innovationsmut zu bewundern.