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Heiliger Minimalismus

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Messiaen-Wochenende in Londons Barbican Centre
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Seit längerem veranstaltet die BBC Ende Januar in Londons Barbican Centre ein ausschließlich einem einzigen Komponisten gewidmetes verlängertes Intensivwochenende zu niedrigsten Eintrittspreisen. Zum Ausklang des gegenwärtigen Jahrhunderts stand Oliver Messiaen zur Debatte und somit ein Komponist, für den, so Ulrich Dibelius, „der Hörer als möglicher Adressat gar nicht existiert“.

Der offizielle Auftakt am Freitagabend blieb der Westminster Cathedral vorbehalten. Weite und mystische Atmosphäre dieser um die Jahrhundertwende im byzantinischen Stil entstandenen katholischen Kathedrale boten das ideale Ambiente für zwei Schlüsselwerke in Messiaens von den Themen Liebe und Ewigkeit diktiertem Œuevre. Mit dem Liedzyklus „Poems pour Mi“ (1936–37) findet er, so Paul Griffith, der Autor der Begleittexte in dem brillant recherchierten Programmheft, durch die Liebe den Zugang zur Ewigkeit. In „Eclairs sur l’au-del“ (1987–92) nähert er sich der Ewigkeit durch die Liebe – mit elf Sätzen eine epische Komposition für ein riesiges, jedoch filigran verwendetes Orchester, deren Uraufführung Messiaen nicht mehr erlebte, die allerdings die Quintessenz seines Gott unterstellten musikalischen Schöpfungsprozesses beinhaltet. Gemeinsam mit den abschließenden neun Orgelmeditationen „La nativité du Seigneur“ (1935) verdeutlichte dieser lange Abend bereits, was den Samstag und Sonntag über immer stärker bewußt wurde. Für Messiaen, der bereits mit elf Jahren am Pariser Konservatorium studierte und als überdurchschnittlich begabter Musterschüler nahezu alle vergebenen Preise auf sich vereinte, um schon 1931 mit der Organistenposition an Sainte-Trinité betraut zu werden, blieb trotz seines umfassenden musikalischen Wissens die Orgel das beeinflussende, ausschlaggebende Instrument. Zugleich mochte man sich fragen, ob der hierzulande auf Goreckis 3. Sinfonie gemünzte Begriff „Heiliger Minimalismus“ nicht weit eher Messiaen gerecht wird. Er widmete seine Musik trotz aller technischer Versiertheit, trotz programmatischer Bindungen, ja selbst unter Einbeziehung ostasiatischer Kulturen der musikalischen Sublimierung der tief in ihm verankerten Überzeugung von der Wahrheit des katholischen Glaubens, wobei seine Erweiterung unseres Zeitbewußtseins den Moment der Ewigkeit einzufangen versuchte. Selbstverständlich verzichtete diese Auseinandersetzung mit Messiaen nicht auf das ein wenig überstrapazierte „Quatuor pour le fin du temps“. Yvonne Loriod vertrat in der gewohnt robusten Manier Ausschnitte aus dem „Catalogue d’oiseaux“, Pierre-Laurent Aimard wartete mit einer ebenso gewaltigen Interpretation des Klavierzyklus „Vingt regards sur l’enfant Jesus“ (1944) auf, und selbst die sogenannte Tristan-Trilogie mit „Harawi“, der „Turangalila Symphonie“ und „Cinq rechants“ kam zur Aufführung. Den negativen Höhepunkt bildete jedoch die gewaltige, dreiteilige Hommage an die Neue Welt „Des canyons aux étoiles“; inwieweit musikalisch wie programmatisch derartig naiver Kitsch ernst zu nehmen ist, bleibt eine Frage des Standpunktes. Fazit des Wochenendes: zuviel tiefgläubige, ja beinahe fanatische Dogmatik verbietet – gegenwärtig noch – jede unbelastete Interpretation. Nicht so allerdings die 22jährige, in Peking geborene und gegenwärtig an der Guildhall School studierende Chinesin Chenym Li. Ohne Konkurrenz überragte sie den 2. Jaques-Samuel-Klavierwettbewerb für die besten Nachwuchspianisten der vier bedeutendsten Londoner Musikhochschulen; darunter besaß ihre Interpretation von „Regard des Anges“ aus Messians „Vingt regards sur l’enfant Jesus“ ungeahnten Humor und hochkarätige Vitalität, was bestätigte, daß man Gott nicht ausschließlich mit tierischem Ernst begegnen muß, will man sich an Messiaen messen.

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