Juliane Votteler, Intendantin des Theaters Augsburg, rühmte bei der Premierenfeier zu Recht auch die „unglaubliche Arbeit der Logistik“. Denn die zwei Jahre währende Organisation des Musiktheater-Großprojekts und Auftragswerks „Die Abenteuer des Tom Dumm“ stand dem beeindruckenden Resultat nicht nach.
Ungefähr 180 Kinder und Jugendliche aus und um Augsburg und aus fast allen Schultypen buchstäblich unter einen Hut zu bekommen, sie für das Erlebnis Neue Musik zu begeistern und bis zur Uraufführung zu Engagement und Proben zu motivieren – das kommt nahe an die Quadratur des Kreises. Projektleiterin und Dramaturgin Ute Legner, die außerdem „Mehr Musik!“ managt – mit dem Theater als Träger die Augsburger Variante des bundesweiten Förderprojekts „Netzwerk Neue Musik“ – wirkte daher am Premierenabend nicht als Einzige auch erleichtert. Doch der enorme Einsatz hat sich gelohnt: Die von den professionellen Komponisten, Regisseuren, musikalischen Leitern und Dirigenten in musikalisch-szenische Form gebrachte Kinderkreativität, die im ehemaligen Augsburger Kasernengelände „Kulturpark West“ auf vier Simultanspielstätten, darunter eine Disco mit dem DJ-Pult als Klang- und Geräuschlaboratorium, über die Bühne ging, war grandios. Allein der Operntext, der kaum verändert von Viertklässlern aus der Schreibwerkstatt, ebenfalls eine Veranstaltung von „Mehr Musik!“ im April 2008, stammt, zeigt eine wunderbar hemmungsfreie und unverblümte Fantasie im Reich der Kinderwelt, die „großen“ Librettisten nicht leicht fallen dürfte. So befreit Tom Dumm (von vier Darstellern unterschiedlichen Alters gespielt), der seinem Namen zum Trotz nicht auf den Kopf gefallen ist, die nette Rektorin aus einem Käfig, rettet die Welt vor dem schlimmen Professor Phingers, nimmt an einem Rattenbankett teil und wiegt den gefährlichen Säbelzahntiger in den Schlaf. Außerdem erfährt Tom Dumm, was Einsamkeit und Frühlingserwachen sind, spricht mit seinem Freund Yakup eine Geheimsprache, die nur sie beide verstehen und zieht immer wieder die „Arschkarte“ – letztere ebenso ein Leitmotiv durch die drei Miniopern wie der Ton „E“, der für Reinheit und Unschuld steht und somit für die Bösewichte unerreichbar ist.
Überhaupt vertonten die beauftragten Komponisten Juliane Klein, Gordon Kampe und Fredrik Zeller das episodische Libretto individuell, dabei musikalisch und atmosphärisch an einem Strang (ebenso Regie und Inszenierung) und bemerkenswert bedarfs- und altersgerecht: Zeller etwa das Abenteuer „Yakup, Tom Dumm und die Rektorin im Käfig“ mit traum- bis alptraumhaft schrill-hohen Tonsphären oder dumpf-beschwörerischem Ensemblemurmeln, Klein ihre szenische Installation „… es ist einfach …“, deren Motive die Ausführenden ersonnen hatten, mit großer Bandbreite von Song, Rap und Hip-Hop bis Cluster, Aleatorik und massivem Geräusch; Kampe zitierte in seiner zweiteiligen, vielseitigen und vielschichtigen Minioper „Phingers“ mit spürbarem Lächeln vereinzelt aus Bizets Carmen oder Wagners Gralserzählung.
Auch die Palette an Instrumenten war enorm, reichte von akustischen bis zur Elektronik, Spielzeuginstrumenten wie Knackfrösche, Alltagsgegenständen oder einem Hometrainer, der beim Treten Effekte produzierte – alles Klangerzeuger gerade zeitgenössischer Musik, die das Projekt „Mehr Musik!“ seit seinem Bestehen in Workshops oder Seminaren seiner Hauptzielgruppe Kinder und Jugendliche nahe gebracht hatte. Toll war dabei, wie souverän und sicher die jungen Mitwirkenden sangen, spielten, agierten, sich in dem neuen Gebiet zeitgenössisches Musiktheater bewegten.
Für die Zuhörer war „Tom Dumm“ ebenfalls unkonventionell und spannend. Mal saß man auf der Tanzfläche, mal auf der Bühne, auf umgestülpten gelben Eimern oder tief im Ledersofa versunken und wurde von den geballten Mehrsparten-Eindrücken tief beeindruckt. Trotz des Aufwands: Eine Fortsetzung von „Die Abenteuer von Tom Dumm“ wäre schon schön.