„Vernetzung“ ist schnell gesagt, in Wirklichkeit aber ein zeitaufwändiger Prozess. Auf Initiative des Generalsekretärs des Landesmusikrats NRW, Robert von Zahn, gründeten Vertreterinnen und Vertreter der neun Gesellschaften für Neue Musik (GNMs) 2008 in diesem Bundesland einen Arbeitskreis. Man wollte sich kennenlernen, Informationen austauschen, mögliche Kooperationen entwickeln und gegebenenfalls Gastspiele organisieren. 2012 veranstaltete man gemeinsam die ersten „Stationen“. Dazu wurden sechs Komponierende aus sechs GNMs mit neuen Werken für das Münsteraner „ensemble:hörsinn“ beauftragt. Nach den Uraufführungen in Dortmund spielte das Ensemble dasselbe Programm in sechs weiteren Städten. Seitdem macht alle zwei Jahre ein neues Projekt „Stationen“ in NRW.
Hitzige Klänge aus kaltem Blech
Bei der inzwischen sechsten Ausgabe beteiligten sich fünf lokale Gesellschaften für Neue Musik sowie die Kölner GEDOK Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfördernden, eine von insgesamt 23 Regionalgruppen des bereits 1929 gegründeten bundesweiten Verbandes. Konzerte gab es in Aachen, Bielefeld, Essen, Münster und in der Alten Feuerwache Köln. Nicht beteiligt waren Detmold, Dortmund und Wuppertal. Die Auswahl von Programm und Mitwirkenden traf der Komponist und Oboist Tamon Yashima vom Essener Ensemble S201. Die Gesamtkoordination der fünf Termine, fünf Orte, fünf Kulturämter und fünf begleitenden Schulprojekte oblag einmal mehr dem Komponisten und Gitarristen Albrecht Zummach, vormals Vorstand der Kölner GNM. Gefördert wurde die Konzerttournee durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW.
Unter dem Motto „Was für ein Blech“ spielten aus den beteiligten Städten fünf Blechbläser und eine Trompeterin sechs Stücke für drei bis sechs Blechblasinstrumente. Angefangen mit zwei Uraufführungen reichte das Programm zurück zu Stücken aus den 1980er-Jahren.
Hommage auf den Smalltalk
Für „Das Wetter ist der Schlüssel“ der 1992 in Südkorea geborenen Sowon Yun traten die Spieler von Tuba, Euphonium, Posaune, Horn, Trompete und Piccolo-Trompete der Reihe nach auf die Bühne, um sich kurz zu begrüßen und rhythmisch mit den Ventilen zu klappern. Gemäß dem Thema „Smalltalk“ – Sprechen ohne viel zu sagen – wurde gespielt, ohne Töne zu erzeugen. Erst der zuletzt erscheinende Posaunist brachte dann die Wendung zu tonlosem Blasen, Repetieren und sanften Liegetönen, die alle aufgriffen und zu einem Akkord überlagerten, um eindrücklich die gemeinschaftsbildende Kraft von Smalltalk zu demonstrieren. Ganz ähnlich fand in „Stationen – Positionen“ des 1975 in Bielefeld geborenen Vivan Bhatti die Triobesetzung erst über gegenläufige Pendeltöne einen gemeinsamen tonalen Nenner als Basis für Stilanleihen bei Free Jazz, Ragtime und Balkan Banda, die durch auskomponierte Atemlosigkeit und Schläge auf die Mundstücke dann wieder zu Ploppen, Stocken, Japsen zerfielen.
Milica Djordjevićs „Phosphorescence“ von 2014 überträgt die für Streichinstrumente typischen Vibrationen und Schwebungen auf Trompete, Horn und Bassposaune. Deren Spiel wird durch Dämpfer, Flatterzunge und unregelmäßige Repetitionen abgewandelt und zu einem pulsierenden Gesamtklang verschmolzen. Ganz auf Klang und Farbe setzt auch Wolfgang Rihms „Sine nomine“: Die schroffe „Studie“ treibt die fünf Blechbläser in extreme Lagen und Dynamiken – hier zählen nur Gestik, Kraft, Energie und Intensität wie im Tachismus oder Action Painting mit grobem Pinsel auf die Leinwand geklatscht. Luciano Berios „Call“ wirkte dagegen filigran mit polyphon hin und her laufenden Signalen sowie dem ironisch überzeichneten „Humbta-humbta“-Schlusspunk. Als virtuoser Rausschmeißer folgte Witold Lutosławskis „Mini Overture“.
Nahbare neue Musik
Passend zum Konzertprogramm erstellten Johanna Daske und Hanna Fink Unterrichtsmaterialien, die bei begleitenden Schulprojekten zum Einsatz kamen. In die Klassen Sechs, Acht, Neun und Elf von Musiklehrerin Susanne Duve am Gymnasium Köln-Rodenkirchen kam jeweils für eine Doppelstunde der Trompeter Christian Sharpe. Er stellte Berios „Call“ und als Kontrast Haydns Trompetenkonzert vor. Die Schülerinnen und Schüler malten dazu assoziative Bilder: zum Klassiker stolze Burgen und idyllische Schwanenteiche, zu Berio dagegen furzende Vulkane, Flugzeugabstürze, brennende Raketen, rennende Hühner. Anschließend improvisierte wiederum der Trompeter über die „Berio-Bilder“, um die Antworten der Schulklassen auf die Frage, „Was darf neue Musik?“, klingend zu bekräftigen: Neue Musik darf Formen sprengen, Brüche produzieren, schräg sein, alles anders machen, und hinter dem kalten Blech auch die warmen Körper, atmenden Lungen und zarten Lippen der spielenden Menschen entdecken.
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