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Thomas Essl (Dapertutto), Marlen Bieber (Die Muse) © Nasser Hashemi

Thomas Essl (Dapertutto), Marlen Bieber (Die Muse). Foto: © Nasser Hashemi

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Hoffmann im Tunnel: Hochprozentiger Offenbach in Chemnitz

Vorspann / Teaser

Alkohol kann Männer abhängig machen. Frauen können Männer verzweifeln lassen. Im Opernhaus Chemnitz zeigt Regisseurin Juana Inés Cano Restrepo „Hoffmanns Erzählungen“ in fataler Verstrickung.

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Am Ende des Tunnels gibt es Licht. Das kann aber auch blenden, muss kein Ausweg sein. Der Tunnel ist glatt gekachelt, glasiert und nicht greifbar. Zudem ist er grün wie Absinth, la fée verte. Hoffmann und seine Muse, sie stecken fest in diesem Tunnel. Vielleicht ist dieser Tunnel aber auch nur in Hoffmanns Kopf, ebenso wie womöglich das Streiten und Ringen mit dieser Muse nur innere Vorgänge sind? Dasselbe dürfte für sämtliche Barrieren gelten, die ihm im Wege stehen, personifiziert durch die bösen Rivalen Dapertutto, Coppelius und Doktor Mirakel.

Die Neuinszenierung von Jacques Offenbachs opéra fantastique „Hoffmanns Erzählungen“ am Opernhaus Chemnitz ist vieldeutig und folgt dennoch konkreter Absicht. Dem Trio Juana Inés Cano Restrepo (Regie), Anna Schötti (Bühne) und Lena Weikhard (Kostüme) gelang faszinierendes Musiktheater zur sächsischen Saisoneröffnung. Ob dieser Tunnelblick, der sich frontal vor dem Publikum darbietet und immerhin 26 Meter in die Tiefe des Bühnenraums reicht, nun die Pariser Métro assoziiert oder einen sonstigen U-Bahntunnel, der in Kriegszeiten zur Flucht dient und Schutz bieten soll – hier ringt Hoffmann recht einsam um sein Seelenheil, will sein materielles, amouröses und künstlerisches Scheitern nicht akzeptieren, schiebt den vermeintlichen Widersachern die Schuld dafür zu. Seinen persönlichen Tunnelblick dafür hat der Verzweifelte aus der ihm unverzichtbar gewordenen Flasche gesogen. Alkohol wird hier freilich nicht als Ausweg, sondern als möglicher Quell allen Übels propagiert. Denn auch die in dieser Fassung namenlos bleibende Muse kommt von der Flasche erst mal nicht weg, umso mehr ein Indiz für ausschließlich innere Vorgänge in Hoffmanns vernebeltem Kopf.

Giftgrün im krassen Kontrast zu grusligem Grau

Da die Oper „Hoffmanns Erzählungen“ unvollendet geblieben ist, gibt es ausreichend Spielraum, sie unterschiedlich aus- und umzudeuten. Überraschend steht der Giulietta-Akt am Anfang des Abends, wird der erinnerte (vielleicht nur erträumte?) Plot quasi rückwärts erzählt. Hoffmann irrt durch sein Dasein, verliert Hab und Gut sowie das eigene Selbstbild. Sowohl Giulietta als auch Olympia und Antonia begegnen ihm in grünen Kostümen, auch für den Chor ist dies die vorherrschende, im krassen Kontrast zum eigenen Gruselgrau stehende Farbe. Eine ominöse Untergrundbahn bringt schmutziges Orange ins Bild und wird geschickt für solistische und Chorauftritte genutzt.

Kann man alles so machen, setzt aber entweder voraus, dass sich das Publikum vorab intensiv mit dem Stück beschäftigt hat, oder aber sich von trubeligen Bildern (mit mancherlei entbehrlichen Zoten gespickt) und musikalischen Ohrwürmern einfach nur berauschen lässt. Denn so manch denkbare Doppelbödigkeit – wie wenig sich die Saufkumpane (vulgo die Allgemeinheit, im Original weinselig bei Lutter & Wegner, bei E.T.A. Hoffmanns Vorlage freilich in den Tiefen von Auerbachs Keller aus Goethes „Faust“) für das Schicksal dieses Gescheiterten interessiert.

Endstation Tunnel

Die Robert-Schumann-Philharmonie illustriert das düstere Geschehen mit einem Strauß bunter Klangfarben, wenngleich Dirigent Lutz de Veer (aufgrund der geänderten Abfolge?) hin und wieder etwas Stringenz in der Wahl seiner Tempi vermissen und dadurch Irritationen zwischen Bühne und Graben anklingen ließ. Dem gewohnt sauber artikulierenden Opernchor (Einstudierung Stefan Bilz) fehlte so manchmal der Halt, zumal er spielerisch heftig gefordert war und sich an den eher unvorteilhaften Kostümen nicht störte.

Dass die Solistenriege ausschließlich vom Ensemble des Hauses besetzt werden konnte, spricht schon mal für sich, wenngleich da subjektive Nivellierungen anklangen. Maraike Schröter, Tea Trifković und Akiho Tsuji als Giulietta, Olympia und Antonia gestalteten ihre Parts durchweg überzeugend. Thomas Essl als Dapertutto, Coppelius und Mirakel gab das dreifaltige Böse in differenzierter Phalanx. Daniel Pataky gefiel mit klangschöner Stimme und schonungslos überzeugendem Spiel, wurde von der Souffleuse teilweise allerdings viel zu laut durch den Abend geführt. In gewisser Weise kam Marlen Bieber als Muse und Alter Ego von Hoffmann die Hauptrolle in dieser Produktion zu: Ihr in jeder Form treffsicher anrührender Mezzo wurde von herausragendem Rollenspiel begleitet.

Ob diese „innere Stimme“ in Hoffmanns Hirn nun aber tatsächlich einen Ausweg und menschliche Erlösung verheißt, also das sprichwörtliche Licht am Ende des Tunnels, bleibt fraglich. Schlimmstenfalls bedeutet die gedoppelte Trunkenheit dann aber doch Endstation Tunnel. 

  • Termine „Hoffmanns Erzählungen“ – 3., 20. Oktober, 2. November, 13. Dezember 2024 sowie 11., 19. Januar, 1. Februar und 21. März 2025
  • www.theater-chemnitz.de

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