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Begeisterungsstürme für Jan Vogler, Ivor Bolton, das Dresdner Festspielorchester und Robert Schumann. Foto: Oliver Killig
Begeisterungsstürme für Jan Vogler, Ivor Bolton, das Dresdner Festspielorchester und Robert Schumann. Foto: Oliver Killig
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Humanistische Botschaften

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Die Dresdner Musikfestspiele setzten Zeit-Zeichen
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Du liebe Zeit, ganze vier Wochen lang sollten die Dresdner Musikfestspiele 2016 dauern, erstmals so lange und dann auch noch unter dem Thema „Zeit“! Vergangen sind sie wie im Fluge. Der 39. Jahrgang war ob seiner Dauer gewiss ein Wagnis, für Festspiel-intendant Jan Vogler aber eines, das aufgegangen ist. Er habe die bisher oft parallel stattfindenden Veranstaltungen der Wochenenden entzerren wollen, begründete der in mehreren Konzerten auch diesmal wieder selbst mitwirkende Cellist sein Herangehen, an der Gesamtzahl von gut 50 Veranstaltungen habe sich aber nichts geändert.

Dennoch seien durch den längeren Zeitraum im Zeichen der „Zeit“ mehr große Konzerte möglich geworden und konnten rund 6.000 Karten zusätzlich verkauft werden, so sein Resümee. Insgesamt seien rund 48.000 Besucher gezählt worden, die durchschnittliche Auslastung habe etwa 93 Prozent betragen und zu einem Einnahmerekord von knapp über einer Million Euro geführt.

Ein rundum zufriedener Jan Vogler also, der auch im Abschlusskonzert in der Dresdner Semperoper noch einmal für Begeisterungsstürme gesorgt hat, nachdem er gemeinsam mit dem Festspielorchester unter Leitung von Ivor Bolton das Cellokonzert von Robert Schumann aufgeführt hat. Der Schluss­akkord der diesjährigen Musikfestspiele wurde mit Beethovens 5. Sinfonie gesetzt, was durchaus als humanistische Botschaft aus einer politisch diskreditierten Stadt zu gewertet werden darf.

Im Zeichen der „Zeit“

Festspielintendant Jan Vogler wertete den gestreckten Jahrgang insgesamt als großen Vorteil und will gemeinsam mit seinem Team auch im kommenden Jahr vier Wochen lang Musikfestspiele ausrichten. „Aus meiner Sicht haben wir mehr als Perlenkette denn als Cluster in die Stadt hineingewirkt und die Attraktivität der Festspiele durch diesen Zeitraum besser zur Geltung gebracht,“ so Vogler. Vor allem die Gastspiele großer internationaler Orchester hätten dazu beigetragen. „Die Flughöhe war extrem hoch,“ schätzt der in Dresden und New York lebende Künstler das Festival rückblickend ein, kontrovers seien nur das Eröffnungskonzert mit Michael Nyman und Band sowie die Barocklounge diskutiert worden. In der Tat gerieten die Auftritte berühmter Klangkörper aus Amsterdam, Boston, Pittsburgh und Singapur zu herausragenden Ereignissen. Ob Concertgebouw mit Semyon Bychkov, ob Boston Symphony mit Andris Nelsons oder die Sächsische Staatskapelle mit ihrem Ehrendirigenten Herbert Blomstedt – stets sorgten hohe Klangkultur und Qualität für große Begeisterung.

Im Gegensatz zu den regulären Repertoire- und Tourneeprogrammen dieser und weiterer Ensembles von Weltruf leisteten sich die Musikfestspiele mit dem Israel Philharmonic Orchestra unter Leitung von Omer Meir Wellber erstmals ein Residenzorchester mit einer extra für Dresden abgesprochenen Programmfolge. Das funktionierte auch mit dem bei Klassikkennern nicht unumstrittenen Geiger David Garrett, der in der Frauenkirche Tschaikowskis Violinkonzert spielte, was Schostakowitschs 6. Sinfonie ebendort aber dankbar zu überlagern vermochte. Das funktionierte insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit Chören aus Dresden und Prag und dem Hochschulsinfonieorchester vor Ort, die gemeinsam mit den Gästen aus Israel Mahlers 8., die „Sinfonie der Tausend“, aufgeführt und damit für großen Zuspruch gesorgt haben. Der vielbegabte Wellber (er ist ja auch Komponist, Pianist und Akkordeonist) präsentierte nebst seinen israelischen Musikern darüber hinaus ein Kammerkonzert mit Mozart inmitten von arabischer und jüdischer Folklore. Auch diese Botschaft wurde verstanden.

Unter dem Aspekt, just zur jetzigen Zeit ein „anderes“ als das derzeit in den Medien verbreitete Dresden zu zeigen, gelangen auch in die Stadt hineinwirkende Aktionen wie „Klingende Stadt“, „Bohème 2020“ und das traditionelle „Dresden singt“ unter freiem Himmel. Außerdem wurden Ausflüge in die Clubszene sowie den Crossover-Bereich unternommen. Vogler resümierte auch diese „frechen Formen“, wie er sie nannte und zu denen er auch den Auftritt des britischen Ukulele-Orchesters zählt, als Erfolg auf dem Weg, mehr jüngeres Publikum an die Musik heranzuführen.

Zeit für Erleuchtung?

Als unverzichtbare Kleinodien dürften der an drei Abenden stattfindende Beethoven-Zyklus von Leonidas Kavakos und Enrico Pace mit sämtlichen Violinsonaten sowie das Messiaen-Projekt von Pierre-Laurent Aimard gesehen werden. Bemerkenswert auch das Zusammenspiel der Trompeter Sergei Nakariakov und Till Brönner, in dem jazzige Momente auf hohes Virtuosentum trafen. Andere „Zeit“-Reisen wurden mit Andrej Hermlin und seinem Swing Dance Orchestra sowie mit einem George-Gershwin-Abend der Schauspielerin Martina Gedeck und des Pianisten Sebastian Knauer unternommen. Die Neue Jüdische Kammerphilharmonie Dresden wagte einen anderen Rückblick und stellte in der Neuen Synagoge Musik „verfemter“ Komponisten vor. Spätestens hier wurde deutlich, dass die enorme Vielfalt der diesjährigen Musikfestspiele keineswegs beliebig, sondern von einer stringenten Dramaturgie geprägt war.

Dass darin auch Unterhaltsames seinen Platz hatte, unterstrich die norwegische Sängerin Tora Augestad, die mit ihrem Ensemble „Music For A While“ musikalisch in nicht weniger als fünf Jahrhunderte „entführte“ und Bearbeitungen von Dowland über Rameau bis hin zu Schubert und Weill hören ließ. Mit Musikerinnen und Musikern vom Curtis Institute sowie Preisträgern des XV. Tschaikowski-Wettbewerbs im Bereich Violoncello wurden womöglich künftige Künstlerpersönlichkeiten vorgestellt, deren Dresden-Visite nicht zuletzt der Vernetzung des Festspielintendanten zu verdanken sein dürften. Mit dem Pianisten Igor Levit kam aber auch ein Interpret als Gast der Dresdner Philharmonie zu Gehör, der mit seinem Ausnahmetalent längst die ihm gebührende Anerkennung gefunden hat.

Auch die 40. Dresdner Musikfestspiele im kommenden Jahr sollen wieder viele Wochen lang dauern. Schon jetzt ist ein Schwerpunkt mit der Wiedereröffnung des Kulturpalastes verknüpft: „Wir wollen helfen, ihn mit seiner hoffentlich erstklassigen Akustik in Dresden zu etablieren,“ kündigte Jan Vogler bereits an. Zehn Termine habe er dort gebucht, namhafte Ensembles sollen nach Dresden kommen, wenn ein wahrlich erleuchtendes Festspielthema in Bezug zu den dunkleren Geschehnissen dieser Stadt gesetzt wird.

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