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Imeneo in Göttingen. Foto: © Theodoro da Silva
Imeneo in Göttingen. Foto: © Theodoro da Silva
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Im Wechsel der Inszenierungsästhetik: Händel im Kerzenschein

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Bei den Internationalen Händel Festspielen Göttingen lassen Festspielchef Laurence Cummings und Regisseurin Sigrid T’Hooft zu „Imeneo“ die Kerzen flackern. Joachim Lange war vor Ort und berichtet.

Der Plot zu Händels „Imeneo“ gehört zu der eher schlichteren Sorte. In seiner vorletzten, Oper vor seinem völligen Fachwechsel zum Meister der Oratorien gibt es zwar auch eine Entführung durch Piraten, aber von der wird nur berichtet. Und so wie der Titelheld damit angibt, bei der Befreiung der entführten Damen, Leib und Leben riskiert zu haben, beschleichen einen leichte Zweifel, ob er da nicht ein wenig übertreibt. Schließlich will er der Forderung, als Belohnung, die Hand der begehrten (und eigenhändig befreiten) Rosmene zu bekommen, Nachdruck verleihen. Das Problem ist nur, dass die Begehrte schon Tirinto liebt. Die ganze Oper ist im Grunde ein einziges hin und her Rosmenes: Auf der einen Seite sprechen das Vaterland, mit der gewichtigen Bassstimme von Imeneos Freund Argenio (Matthew Broock), also Staatsraison und Vernunft, für Dankbarkeit, sprich für Imeneo als Bräutigam. Auf der anderen Seite, die Liebe für die Treue zum – sagen wir mal – Verlobungsversprechen, also für Tirinto.

Keine Frage, dass es für Händels musikalischen Einfallsreichtum und seinen dramatischen Instinkt beim Wechsel zwischen Arien, Rezitativen, Ballett-Einlagen und (in diesem Falle etlichen) sehr schönen Duetten, keine Hürde ist, aus der Suche nach einer Antwort einen Dreiakter zu stricken. Schließlich wollte er das Publikum 1740 in Zeiten kurz vor der übermächtig werdenden Konkurrenz und dem Aus für die italienische Oper in London bei der Stange gehalten werden.

Immerhin kam es wohl an die Grenzen der Konvention, dass streckenweise der Eindruck entsteht, als könnte sich die Frau tatsächlich frei zwischen den beiden Männern entscheiden. Der Eine (Imeneo) ist im Libretto als Athener Jüngling von hohem Stand, gar Gott benannt; der Andere (Tirinto) schlicht ein Schäfer. Am Ende kommt es, wie es bei der Konstellation kommen muss: die Vernunft, sprich der Titelheld, siegt. Lauscht man aber der Musik, und lässt sich in eines der schönste Händel-Duette überhaupt fallen, bei dem Rosmene und Tirinto sich immer wieder die Erkenntnis „Durch die Pforten des Leides gelangen die Seelen zur Freude“ zuspielen und man in der Übertitelung mitliest, dass es keine Rosen oder Dornen und kein Vergnügen ohne Pein gibt, dann glaubt man ihnen einfach nicht, dass das der endgültige Abschied voneinander gewesen sein soll. Dieser Triumph der Musik ist eine Pointe, die nicht herbei inszeniert wurde, sondern die sich einfach musikalisch ergibt. Und einen irgendwie melancholisch stimmt.

Herbei inszeniert wurde diesmal vor allem der Geist der Musik. Bei der Regisseurin Sigrid T’Hooft und ihrem Ausstatter Stephan Dietrich sieht das allerdings nur auf den ersten Blick nach historischem Inszenierungsfundamentalismus aus. Ist es aber nicht, trotz echtem Kerzenlicht, das in den Leuchtern flackert, die in der hübsch gemalten Parkkulisse mit Blick aufs Wasser hängen. Und trotz der Flämmchen, die auch hinter der Rampe züngeln.

Das fabelhafte Ensemble steckt in Kostümen, die ohne musealen Übereifer von der Entstehungszeit inspiriert sind. Tirinto ist damit modisch auf Augenhöhe mit Imeneo. Alle lassen dabei immer jenes Quäntchen Ironie durchschimmern, das die elegante Geste vorführt und mit einem Augenzwinkern in Frage stellt. T’Hoofts Ästhetik taugt nicht als Dogma, belebt aber die Theatergegenwart mit einem Stück historisch aussehender edler Vergangenheit. Erklärtermaßen setzten die Göttinger Händelfestspiele bewusst auf einen jährlichen Wechsel der Inszenierungsästhetik.

Dass Händel mit Tirinto sympathisiert, indem er seine Partie luxuriös ausstaffiert, macht sich Counter James Laing mit vollem Einsatz zu nutze. Doch auch Bariton William Berger ist stimmlich so beweglich wie mit seinem elegant ironischen Hüftschwung. Betörend in ihrer Strahlkraft und Eloquenz ist der Sopran von Anna Dennis in der zentralen Rolle der Rosmene. Als Colmiri weicht Stefanie True nicht von der Seite der Bühnenfreundin. Den Chor, dessen Part Händels Wende zum Oratorium schon ahnen lässt, ist auch optisch in die Seitenlogen ausgelagert. Corpo Barocco sichert im Halbdutzend alles, was an Balletteinlagen möglich ist. In einem Bewegungskanon von nachgeahmtem Barock bis illustrierendem Witz.

Zu den Qualitätsmerkmalen der Göttinger Händefestspiele gehört seit nunmehr zehn Jahren das eigene Festspielorchester. Es ist kein ständiges Spezialensemble wie in Halle, sondern ein Spezialistenorchester auf (Festspiel-) Zeit. Nach dem Motto, was die Wagnerianer in Bayreuth können, das können auch die Händelianer in Göttingen. Und sie können es wirklich. Festspielchef Laurence Cummings erweist sich wieder als begnadeter Inspirator eines hinreißenden Sounds. Von den sinnlichen Streichern gleich zum Auftakt über seine Fähigkeit Stimmen und Einzelinstrumente zu verschlingen, mit Sinn für den gut platzierten Furor vor allem der einen Bravour-Arie mitten im Stück, und einer betörenden Sensibilität bei den Duetten. Was Cummings und sein Orchester hier abliefern, verführt zum Schwärmen – ein lebendig daherkommender Händel vom Allerfeinsten.

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