Das Institut für Neue Musik und Musikerziehung e.V. in Darmstadt ist eine Einrichtung zur Auseinandersetzung mit neuer Musik und ihrer pädagogischen Vermittlung. Die neue musikzeitung sprach mit dem Vorstandsmitgleid Jörn Peter Hiekel über die besvorstehende Tagung.
nmz: Naturthematik – warum ist das Thema heute relevant?
Jörn Peter Hiekel: Naturnachahmung ist in den Künsten schon seit vielen Jahrhunderten ein Thema. Doch die Wichtigkeit dieser Thematik speziell für die neuere Musik hat mit Aspekten zu tun, die gerade eine Neuakzentuierung oder Umwertung gegenüber Früherem bedeuten. Es geht um Momente des Befreienden, Inspirierenden und gleichsam Öffnenden: um die Befreiung von Formzwängen, um die Inspiration durch die immense Vielfalt der Natur. Ich erinnere hier nur an Debussy oder und Messiaen mit ihren faszinierenden Strategien, die dadurch angeregt worden sind, dass beide (mit einer Formulierung Debussys gesagt) intensiv im „Buch der Natur“ lasen, also eben nicht bloß in herkömmlichen Kompositionslehren. Ein wesentlicher zweiter Aspekt für die Relevanz dieses Themas hat mit den vielfältigen Tendenzen zu tun, ganz oder teilweise aus dem Konzertsaal hinaus zu gehen und neue Erfahrungsräume zu schaffen, teilweise direkt in der Natur. Und ein dritter Aspekt dieser Relevanz – für viele sogar der wichtigste – liegt angesichts der immer weiter fortschreitenden Natur-Zurückdrängung und -Zerstörung in der eminenten Notwendigkeit, ökologische Perspektiven zu akzentuieren. Mit der Skepsis, ob es für eine handfeste Rettung der Natur überhaupt noch früh genug ist, hat übrigens auch das Fragezeichen beim Titel „Ins Offene?“ zu tun. Und „Kultur und Ökologie“ lautet einer der Themenblöcke der Tagung.
nmz: Wer sind die Künstler, die im Zentrum der Tagung 2013 stehen (eine Auswahl)? Warum wurden gerade diese ausgewählt?
Hiekel: Der eben genannte Aspekt einer Musik, die oft außerhalb des Konzertsaals und teilweise sogar in der Natur ihren eigentlich Erfahrungsraum hat, wird in Darmstadt mit Komponisten wie Robin Minard und Daniel Ott thematisiert, die beide auch eigene Projekte präsentieren und in größeren Zusammenhängen behandelt werden. In eigenen Themenblöcken vorgestellt werden einerseits Olga Neuwirth, die bis hin zu filmischen Arbeiten auf sehr facettenreiche Weise die Natur thematisiert hat, sowie andererseits Toshio Hosokawa. Letzterer steht ja in besonderer Weise dafür, dass die Erfahrung der Natur zu einer inspirierenden Kraftquelle werden kann – für eine Klangsprache, die kontemplative und strukturelle Elemente miteinander verknüpft und dabei – ohne allzu viel Vergröberung gesagt – westliche Gepflogenheiten mit Elementen der traditionellen ostasiatischen Kulturen verschränkt. Auch dies ist mithin ein Weg zu einer neuen Offenheit. Und gleiches gilt in ganz anderer Weise für Michael Riesslers „Aglaope“-Projekt oder die höchst ungewöhnlich auf Naturbezüge eingehenden Werke etwa von Clemens Gadenstätter, Volker Staub oder Daniel Smutny, deren Aufführungen bei dieser Tagung jeweils auch von Reflexionen begleitet werden.
nmz: Wie sieht das Konzept der Frühjahrstagung 2013 aus? Gibt es Neuerungen?
Hiekel: In den letzten Jahren hat es sich bewährt, bei den Frühjahrstagungen tagsüber einen Hauptstrang von Vorträgen und Diskussionen aus unterschiedlichsten Perspektiven (mit Komponisten, Wissenschaftlern und Pädagogen) anzubieten, die in fünf Themenblöcke aufgefächert sind. Überdies aber gibt es eine Reihe von praxisbezogenen Workshops zum Mitmachen. Und um diese Elemente herum werden sowohl Klanginstallationen als auch abendliche Konzerte gruppiert – eines der Konzerte findet traditionellerweise im Keller des Darmstädter Jazzinstituts statt. Der besondere Reiz des Ganzen dürfte auch diesmal wieder darin bestehen, dass die Seite der Vorträge und Workshop mit jener der Konzerte und Klanginstallationen auf evidente Weise verknüpft ist.
nmz: Frühjahrstagung 2013: Schulmusiker, Interpret, Komponist, „neues“ Publikum: Wer ist die Zielgruppe?
Hiekel: In den letzten Jahren gab es gegenüber früher im Publikum eine deutlich gewachsene Zahl an Studierenden, unterschiedlicher – zumeist natürlich musikbezogener – Fächer. Aber selbstverständlich gehören auch weiterhin Schul- und Instrumentalpädagogen sowie Komponisten zum Zielpublikum. Freilich kommen zur Tagung auch regelmäßig Musikliebhaber, die im Hauptberuf ganz anderen Dingen nachgehen und die etwa in der Bildenden Kunst oder der Literatur zu Hause sind. Es hat sich in den letzten Jahren herausgestellt, dass gerade die Begegnung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern mit unterschiedlichen Erfahrungshorizonten die Diskussionen – für die wir ja bewusst viel Raum lassen – sehr schön beflügeln können.
Insbesondere unter den Jugendlichen gibt es unter den Teilnehmern immer auch einige, für die es vor allem um die praktischen Aktivitäten geht. Hauptzielgruppe der Frühjahrstagungen sind insgesamt wohl all jene, für die Musikmachen oder Musikhören mehr ist als die einst schon von Heinrich Heine als „bloße Kunstbehaglichkeit“ ironisierte Seite des Ganzen – die also auch etwas Lust auf neue Denkanstöße, auf eine Verbreiterung ihrer Erfahrungen sowie auf intensive Begegnungen mit namhaften Komponistenpersönlichkeiten mitbringen.
Das Gespräch führte Andreas Kolb