Den Untertitel „Ein Volksstück“ trägt das kurz vor Ende des Jahres 1932 im Komödienhaus Berlin uraufgeführte Bühnenwerk „Das Haus dazwischen“. Das dazugehörige Libretto verfasste der Kabarettautor Marcellus Schiffer, der daneben auch für Hindemith, Hollaender und Heymann schrieb und sich tragischerweise einige Monate vor dieser Uraufführung das Leben nahm. Ko-Autor Felix Joachimson war nach dieser Arbeit vorwiegend als Drehbuchautor tätig und ab der Emigration in die USA unter dem Namen Felix Jackson bekannt. In Musik setzte das Ganze Mischa Spoliansky, russischer Jude, der seine Kindheit in Polen, Wien, Dresden und Königsberg verbrachte, schließlich in Berlin landete und wenige Monate nach der Uraufführung nach London emigrierte, wo er eine Karriere als Filmkomponist einschlug.
Dieser kurze Abriss deutet schon an: „Das Haus dazwischen“ steht im Geiste eines Weltbürgertums – die darin entfaltete Gedankenwelt könnte kaum besser in die heutige Zeit kapitalistischer Globalisierung passen. So mussten Regisseurin Anna Weber und Dramaturgin Ana Edroso Stroebe erstaunlich wenig für ihre Fassung ändern, lediglich ein paar wohlbedachte Kniffe setzen und hier und da Textkürzungen. Die Musik zwischen Operette und Chanson – mit Vorahnungen Richtung Musical – arrangierte Henning Wölk, der am Klavier als Teil des kleinen Instrumentalensembles auch die musikalische Leitung inne hatte. Regisseurin und Teile des Gesangsensembles bilden das Kollektiv „tutti d*amore“. Das Publikum war am Dernierentag schnell Feuer und Flamme für das seit fast 90 Jahren nicht mehr aufgeführte Werk.
Groteske Zukunft des Kapitals
Schon am Eingang zum Acker Stadt Palast auf der Straße tuscheln drei Gestalten und kruschteln im Geröll eines herumstehenden Baucontainers. Es sind die Investoren, hier mit Frauenstimmen besetzt. Im Plot versuchen sie das Haus des Protagonisten Herr Knorr – es liegt buchstäblich zwischen ihren Grundstücken – gegen dessen erbitterten Widerstand aufzukaufen, um dort ihren „City Palast“ zu errichten. Die aktuellen Räumungsverfahren in Berlin lassen grüßen. Auch wenn die drei zu einem der Ohrwürmer ansetzen, „Wir beraten!“, ist die Verknüpfung zu heute schnell gezogen: durch aufgeblähte Beratungsapparate bestimmt Wirtschaft die Politik.
Dargestellt sind die drei Investoren als groteske Charaktere. Von Kostümbildnerin Mayan Tuulia Frank – im Gegensatz zum Pink aller anderen Figuren – ganz in silbriges Grau gekleidet verleihen ihnen besonders die spiegelnden Cyber-Brillen einen deutlichen Sci-Fi-Anstrich. Sie wirken geradezu posthumanisiert, mehr wie futuristische Wesen einer nahenden Zukunft denn als fleischliche Menschen, wenn sie ihre Köpfe durch das spiegelnde menschengroße Modell des City Palasts auf der von Konrad Walkow gestalteten Bühne stecken. Gina May Walter gibt den Kopf der Reichenbande mit kolossal sich aufbäumendem herrscherischem Ton – dabei von außen betrachtet stets urkomisch. Zart besaitet daneben Janneke Dupré, deren Beiträge zum Pläneaushecken immer erst niedergeschmettert werden, bevor man sich auf genau das einigt. An einer Stelle packt sie schließlich ihr dramatisches Potenzial aus – die Folge: ein Wechselbad aus Staunen vor der Stimmgewalt und Schmunzeln ob des unpassenden Moments, diese aufzufahren. Es ist dieser stimmige szenische Rhythmus, sind die präzisen Timings, welche der Inszenierung Lebendigkeit und Witz verleihen. Begrüßenswert auch, dass geschickt ausgespielt wird, wenn hier Nicht-Muttersprachlerinnen auf der Bühne stehen: Businessleute sind heute schließlich international!
Roaring Twenties neu gedacht
Ekaterina Bazhanova als dritter Investor liefert auf der Bühne die Coolness in Person ab, strahlt stets unnahbare Dominanz aus. Gerade die Spannung ungebrochener Ernsthaftigkeit verleiht dabei der Situation die Komik, wenn sie etwa in erotischer Annäherung mit der ominösen Barbara die Taschenlampe wie eine Zigarre raucht. Barbara wird von Caroline Schnitzer gegeben als durch und durch authentische Zwanzigerjahre Diva. Ihre Regungen sind es, die zwischen allem Scherzen immer wieder die Tragik zugrundeliegender Situation vergegenwärtigen. Schnitzer zelebriert auch den Chanson-Einschlag der Musik: bei tieferen Lagen wechselt sie kraftvoll in die Vollstimme. Noch wildere Register-Kunststücke vollführt Ferdinand Keller als langjährige Assistentin Mathilde teils falsettierend teils transponierend, während er anmutig und gekonnt à la Drag in hohen Hacken stolziert. Später dann wechselt er in die Rolle des Kuno, des Jugendfreunds von Hausbesitzer Knorr in einer Szene, die liebevoll-humoristisch die Grenzen zwischen Männerfreundschaft, Bromance und Homoerotik einreißt.
Der rebellische Choleriker
Knorr selbst ist der verbitterte Wüterich par excellence. Ludwig Obst glänzt in der Rolle, wechselt elegant vom Sprechen ins Singen, balanciert dazwischen und zeigt all die Facetten von Sturheit und Starrsinn, wie man sie nur von Patriarchen kennt, deren Macht schon längst am Bröckeln ist – ganz so wie das baufällige Haus von Knorr selbst. Er beharrt auch dann noch darauf, unter keinen Umständen zu verkaufen, als sein gesamtes Ensemble die Seite wechselt und mit den Investoren anbandelt. Hier in der Inszenierung ist Knorr nämlich vom Uhrenmacher zum Theatermacher umgedeutet – ein schöner Regiegriff, um so nebenbei den viel diskutierten Machtmissbrauch an den Theatern zu thematisieren. Neben Pianist Wölk stehen auch die anderen Musiker*innen auf der Bühne: Viktor Wolf (Saxophon/Klarinette), Franka Herwig (Akkordeon), Evi Filippou (Schlagzeug) und Marta Foley (Kontrabass) bereichern leidenschaftlich die Szene und bringen gerade durch ihre persönliche Art des Spiels eine besondere Note ins Geschehen. Doch das Verhältnis zwischen Unterdrückten und aufbrausendem Chef ist ambivalent dargestellt. Wenngleich Knorr jede Regel des menschlichen Umgangs missachtet, ist es doch allein seine Standhaftigkeit, die aus der ja-sagenden Masse sich abhebt und den Großkapitalisten die Stirn bietet.
D̶e̶r̶ ̶M̶a̶r̶k̶t̶ Die Kunst regelt
Ironischerweise entscheidet sich Knorr gerade deswegen um, weil er Zuspruch durch den erwähnten Jugendfreund Kuno erfährt. Sobald jemand seinen Standpunkt gutheißt, liegt im nicht mehr viel dran: Künstlerallüren eben. Die doppelte Ironie ist, dass die Investoren den unterschriebenen Vertrag nun ganz und gar nicht gebrauchen können, weil sie durch den zuvor noch kühn angebotenen waghalsigen Verkaufspreis kurz vor dem Ruin stehen. Die mächtigen Businessleute gehen also pleite. David siegt gegen Goliath. Sicherlich ist es oft nicht notwendig, derart garstig zu sein, wie es Knorr ist. Aber Opposition geht eben auch nicht nur mit Kuschelkurs.