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Der Fluchtweg endet am Boden: eine Szene aus Jörn Arneckes Musiktheater „Butterfly Blues“. Foto: Matthias Baus
Der Fluchtweg endet am Boden: eine Szene aus Jörn Arneckes Musiktheater „Butterfly Blues“. Foto: Matthias Baus
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Jörn Arneckes Musiktheater „Butterfly Blues“ im Hamburger Opernstudio uraufgeführt

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Die Opernszene lebt. Junge und auch ältere Komponisten – siehe die neuen Bühnenwerk von Hespos und Trojahn auf der nebenstehenden Seite – beschäftigen sich mit „Opern“, die sie dann Musiktheater, Performance, Szenische Aktion oder, bescheiden sich absichernd, Kammeroper nennen. Eine solche hat der noch junge Hamburger Komponist Jörn Arnecke im Auftrag der Hamburgischen Staatsoper geschrieben. Der Titel: „Butterfly Blues“, entstanden nach dem gleichnamigen Theaterstück des schwedischen Autors Henning Mankell.

Puccinis Madama Butterfly darf nicht sterben. Jedenfalls so lange nicht, wie böse, habgierige oder auch nur leichtfertige Leute aus kapitalistischen Regionen in fremden Erdteilen Frauen quälen, ausbeuten, sexuell mißbrauchen und als Menschenware nach dem alten Europa entführen. Puccinis japanische Madama wurde von den Amerikanern mißbraucht, Henning Mankell und Jörn Arnecke entdeckten ihre Butterflys in Afrika. Ana und Sara heißen sie, jung, hübsch und voller Sehnsucht nach Europa, wo sie glauben, ihren Lebenstraum verwirklichen zu können.

Der Weg dorthin jedoch ist nicht nur mit den sprichwörtlichen Dornen, sondern auch mit sogenannten „Schleppern“ gepflastert, und wer regelmäßig Zeitung liest oder Nachrichten hört, weiß, dass dabei kaum etwas Gutes herausspringt. So ergeht es also auch Ana und Sara miserabel: Sara wird von den Schleppern ins Wasser geworfen, statt eines Passes besitzt sie danach nur einen toten blauen Schmetterling (Symbol!) zur Legitimation. Ana wiederum erleidet ein besonders häufiges Schicksal: Sie wird beim Autostopp vergewaltigt. So wird alsbald aus dem „Traum“ ein „Aus der Traum“. Ana gleitet ins Kriminelle ab, Sara wird verkauft. Mankells Theater strebt eine Art von neudefiniertem Living Theatre an: Reale Geschichten, die dann szenisch arrangiert werden, nicht im Sinne einer narrativen Kausalität und Psychologie, sondern zeichenhaft, assoziativ, bildhaft. Bei Mankell besitzt die Geschichte eine gesellschaftspolitische Dimension: Das Thema steht im Vordergrund, nicht die Menschen. Diese erscheinen oft überzeichnet, als Typen oder auch als Karikaturen. Arnecke möchte diese direkte kritische Aggression wohl nicht übernehmen. Seine beiden „Butterflys“ und sogar die „bösen Männer“ gewinnen mehr humanes Volumen. Sie interessieren den Betrachter als menschliche Wesen, aus deren Schicksalen sich Anteilnahme, früher in der Klassik sagte man: „Mitleid“ gewinnen läßt. Nicht ein System wird angeklagt, sondern wir werden aufgefordert zum Hinsehen, Erkennen und dann wohl auch zum Helfen. Diese Vermittlung zwischen den Vorgängen selbst und der weiterreichenden Wirkung übernimmt in Arneckes Kammeroper die Musik. „Butterfly Blues“ ist ein Musiktheater für vier Sänger und Ensemble: 2 Flöten, Oboe, Klarinette, Horn, Posaune, Klavier, 2 Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabaß sowie zwei Schlagzeuger mit dem üblichen umfangreichen Instrumentarium. Für die Sänger sieht der Komponist für die Ana einen hohen Sopran vor, für Sara, die auch zwei weitere Rollen übernimmt, einen lyrischen Mezzosopran. Die beiden Schlepper, die ebenfalls weitere Typen darstellen müssen, sind einem Charakterbariton und einem seriösen Bass zugewiesen.

Jörn Arneckes Partitur wirkt sorgfältig gearbeitet. Sie stellt sich dramaturgisch überlegt zu den verschiedenen Situationen, in denen sich vor allem die beiden Frauen befinden. Tonfall und Gestik erscheinen klanglich verschärft, sehr direkt und oft auch aggressiv. Dann wiederum findet sie für Momente der Reflexion und der Sehnsuchtsträume der beiden Frauen fein ausgehörte Klänge und komponierte Bewegungen, die die jeweilige innere Situation klang-seismographisch zu durchdringen versuchen. Arneckes Musik gewinnt in solchen Augenblicken eine schöne Dichte und emotionale Direktheit. Dann wieder aber auch gibt es dünnere Partien, weniger inspirierte Passagen, auch gängige Klang-Geräusch-Erfindungen, die eigentlich keine sind, weil von Vorgängern allzu oft verwandt. Oft entgeht der Komponist auch nicht der Gefahr, die Geschichte und ihre Personen mit einer leisen Sentimentalität aufzuladen. Dann empfindet man das als eine unangemessene Veredelung der Geschehnisse: Musik als Dämpfungsmittel für allzu krasse Vorgänge. Damit wäre man wieder bei Puccini, was sicher nicht in Jörn Arneckes Absicht liegen dürfte.

Die Inszenierung Christoph von Bernuths imaginiert gemeinsam mit dem Bühnenbild Oliver Helfs eine Art abstrakter Straße ohne Wiederkehr: Der Weg erreicht nicht das Ziel, bricht abrupt ab, ist selbst auch nicht: das Ziel. Weil es keines mehr gibt. Die beiden Frauen stürzen ins Bodenlose – die Musik übersetzt das mit einem oszillierenden Rhythmus eindrucksvoll. Junge Sänger aus dem Opernstudio tragen die Aufführung mit ihrem Engagement und ihrer Intensität, Ingrid Froeseth als Ana und Tamara Gura als Sara an der Spitze. Unter Boris Schäfers musikalischer Leitung agieren die Mitglieder des Philharmonischen Staatsorchesters, in langer Reihe nebeneinander sitzend, mit Sachkompetenz. Der Instrumentalklang verbindet sich mit den Aktionen auf der Bühne in der Opera stabile zu einem geschlossenen Raum-Klang-Theater, das eine autonome ästhetische Qualität gewinnt.

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