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Johann Strauss 2025 in Wien: Franui fetzt durch gereinigte Meister-Operette. Foto: © Victoria Nazarova

Johann Strauss 2025 in Wien: Franui fetzt durch gereinigte Meister-Operette. Foto: © Victoria Nazarova

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Johann Strauss 2025 in Wien: Franui fetzt durch gereinigte Meister-Operette

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Unter den bekannten und weniger bekannten Operetten, welche beim Wiener Jubiläum Johann Strauss 2025 zum 200. Geburtstag des Walzerkönigs original oder überformt zur Aufführung gelangen, ist „Der ‚Zigeunerbaron‘“ sicher der heikelste Brocken – aufgrund klischeehafter Diffamierung eines Wandervolkes und allzu musikseliger Militarismus-Verherrlichung. Die arrangierenden Daumenschrauben von Musicbanda Franui sind in der Uraufführung von Roland Schimmelpfennigs Textfassung „Das Lied vom Rand der Welt oder Der ‚Zigeunerbaron‘“ streng und äußerst originell. Das Ensemble auf der Bühne der Halle E im Wiener Museumsquartier übertrifft alle noch so hohen Erwartungen durch Intelligenz und Ausstrahlungskraft. 

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Den mit dem Radetzkymarsch seines Vaters um die Publikumsgunst wetteifernden Einzugsmarsch von Johann Strauss Sohn im dritten Akt nahm man übel, weniger in Österreich als in West– und Ostdeutschland. Trotzdem: Das 1885 im Theater an der Wien uraufgeführte Prachtwerk um den Filou Sándor Barinkay, den Pusztaschweine-Baron Kálman Zsupan und Saffi, die Tochter des letzten „Pascha von Ungarland“, darf als musikalische Nationalikone beim Wiener Jubiläum Johann Strauss 2025 nicht fehlen. Diese wurde als Uraufführung „Das Lied vom Rand der Welt oder Der ‚Zigeunerbaron‘“ in Halle E des Museumsquartiers mit kräftigem und gegen Ende rasch abbrechendem Applaus gefeiert.

Aus „Zigeunern“ machte Roland Schimmelpfennig Nomad*innen und aus der Schweinemast eine Fleischindustrie „am Rand der Welt“. Weite Teile von Ignaz Schnitzers Originaltextbuch wurden den Figuren als Erzähltheater in den Mund gelegt, Sexuelles verdeutlicht und ideologisch Fragwürdiges entschärft. Balken über der Bühne wie „Wald“ und „Fleischerei“ zeigen genau, wo und woran man ist. Andererseits wertschätzt Schimmelpfennig viel vom Ur-Textstoff und bescheinigt Barinkays Couplet-Refrain „Ja, das alles auf Ehr -“ eine hellsichtige Spiegelung des Wiener Gemüts. Insgesamt haftet Schimmelpfennigs Bemühungen trotzdem etwas Plättendes an wie getrockneten Schmetterlingen. Bei der Premiere fiel das aber kaum auf – dank der Ausstattung, dem sagenhaft intelligent-sinnlichem Soloensemble, dem Strauss-Relaunch der Musicbanda Franui, dank einer die Moralitätsfallen geschickt abfedernde Ausstattung von Anna Sushon und Anna Sünkel sowie dem wunderbaren Arnold Schoenberg Chor. 

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Johann Strauss 2025 in Wien: Franui fetzt durch gereinigte Meister-Operette. Foto: © Victoria Nazarova

Johann Strauss 2025 in Wien: Franui fetzt durch gereinigte Meister-Operette. Foto: © Victoria Nazarova

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Es kommt fast alles aus Strauss‘ toller Opern-Operette, gröbere Striche betreffen nur den berüchtigten Einzugsmarsch und sein Gegenstück, den Nomad*innen-Arbeitschor. Franui verfährt in seiner fast genialen, weil kreativen Freisinn und Respekt vereinenden Neuinstrumentierung nicht ganz konsequent. Im ersten Akt gibt es unter den Dialogen ganz aparte Melodram-Musik, welche später dann ganz versiegt. Dafür legt Franui immer mehr an Blech und groben Rhythmen zu, wenn es sich um die Bösen im Stück handelt. Bis zur letzten Nummer reihen sich immer wieder andere Schlagwerk- und Arrangement-Effekte, das Klanggeschehen ist in ständigem Wandel und Aufruhr der Dissonanzen. Strauss‘ aus der Beschäftigung mit dem ungarischen Nationalkomponisten Ferenc Erkel erwachsene Verbunko-Manie bindet sich bei Franui zum taffen Werk - und Soundkolorit – immer in scharfen bis pikanten Reibungen an den meist originalen Vokalsätzen bis zur tückischen wie sauschweren Primadonnen-Partie der Saffi. Franui macht sogar Ernst mit der Annäherung von Strauss zu Weill, vor allem mit Miriam Maertens in den fast immer gestrichenen Couplets der Mirabella über die Schlacht bei Belgrad. Man hört deutlich Franuis Liebe zum Original. Und Anna Sushon am Pult macht Strauss‘ Musik zu einem urbanen Chill-out. 

Auf der Bühne steht bis in die Nebenpartien eine Elite des intelligent beseelten Musiktheaters. Der Arnold Schoenberg Chor agiert zwischen Wursttheke und Camping-Utensilien, ist schrille Nomad*innen-Meute und gefrustetes Lohnproletariat. Nadja Mchantaf gibt eine dunkel glühende Saffi mit gleißenden Höhenpfeilen, Miriam Kutrowatz eine Arsena mit selbstbewusstem Sympathie-Potenzial. Ebenbürtig auch die beiden Tenöre: Es macht David Kerber offenbar eine riesige Freude, edle Gesangslinie und exotisches Outfit in sinnfällige Beziehung zu bringen. Paul Schweinester als Ottokar macht viel bessere Figur als ihm die anderen Figur zu sprechen und singt mit Kerber auf gleichem Rang. Otto Katzameier soll den Soldatenwerber und Barinkays Urahn zusammen verkörpern, lichtert als Grandseigneur durch das letzte Spieldrittel. Helene Schneiderman erhebt bei ihrem Czipra-Debüt die Figur zu einem charismatischen szenischen Mittelpunkt. In dieser Fassung gelingt es Samouil Stoyanov nicht ganz, dem Sittenkommissionär Carnero hinreichend Profil zu geben, trotz feiner Akrobatik und Pointen. Ungewöhnlich: Schauspieler-Star Tobias Moretti macht den Schweinezüchter Zsupan zu einem Bürokraten, gegen hier seine Tochter und der abgelehnte Schwiegersohn Ottokar leichtes Spiel haben. Damit verschieben sich in Halle E einige Handlungsscharniere ungewöhnlich. 

Nuran David Calis ist Schauspiel-Regisseur durch und durch Nicht nur in Videos erfasst er jede Beiläufigkeit, geht jedem Detail auf den Grund. So passt bei diesem „Lied vom, Rand der Welt“ fast alles – inklusive einer groben Poesie, welche das Werk dann doch noch vor einer Überfrachtung zum Problemstück bewahrt. 

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