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Foto: Teatro alla Scala
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Jungfrau Giovanna mit Stimmen im Kopf – Saisoneröffnung in Mailand

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Riccardo Chaillys Einstand als Direttore Principale am Teatro alla Scala überzeugt musikalisch, szenisch ist Verdis „Giovanna d’Arco“ am Bühnenrand stehengeblieben. Michael Ernst berichtet aus einer von Sicherheitskräften geradezu besetzten Stadt.

Feiertag in Mailand. Am 7. Dezember beginnt dort die Opernsaison, wird dem Schutzpatron San Ambrogio gehuldigt. Diesmal wurde ein Feiertag für Riccardo Chailly daraus, dem Noch-Gewandhauskapellmeister, der Leipzig vorzeitig verlässt, um als Musikchef am wohl namhaftesten aller italienischen Opernhäuser wieder in seiner Heimatstadt anzudocken.

Dieses quasi-heilige Musikfest stand 2015 freilich im Schatten von Paris und aktueller Bedrohung. Allen Kniefällen vor Ambrosius und seiner Kollegenschar zum Trotz wollte sich niemand auf eine Feier von Kunst und von Freiheit verlassen, ohne sie massiv zu schützen. Die lombardische Hauptstadt war daher von Polizei und Sicherheitskräften geradezu besetzt. Die Zugänge zum Teatro alla Scala sind hermetisch abgeriegelt worden, es gab Sicherheitskontrollen zuhauf – die zu diesem Termin üblichen Protestveranstaltungen gegen eine Oper als bürgerliche Selbstbespiegelung hielten sich in engsten Grenzen. Vielleicht gab es nicht mal mehr große Lust zu derartigen Widerständen.

Auch im Opernhaus galt die wohl höchste Sicherheitsstufe. Inmitten von reichlich Prominenz aus Politik und Wirtschaft wimmelte es von Carabinieri. Dennoch ließen sich auch Opernliebhaber vom Premierenbesuch nicht abschrecken, vorausgesetzt, sie wollten und konnten die heftig vierstelligen Kartenpreise entrichten.

Geboten wurde ihnen dafür eine sinnbildlich schiefe Ebene im Teatro; allerdings nicht im theaterüblichen Blick mit der Neigung zum Publikum hin, sondern in der Vertikalen. Von links nach rechts gelesen, war eine deutliche Abwärtsbewegung zu sichten. Die allegorisch zu interpretieren, fiel – leider – nicht schwer.

Abwärts geht’s in einer Gesellschaft, die von hasserfüllten Glaubensmächten diktiert zu sein scheint, die Probleme nicht anders als mit Gewalt lösen zu können vermeint, die Kunst und Kultur zunehmend Wirtschafts- und Unterhaltungsfaktoren zugesteht, deren aufklärerischen Sinn aber ignoriert.

In Schräglage gerät aber auch das Musiktheater, wenn es Wiederentdeckungen wie Verdis Oper „Giovanna d’Arco“, die nach 150 Jahren erstmals an die Bühne der Scala zurückkehrt, in einem szenischen Verständnis realisiert, das seit langem überwunden zu sein scheint. Diese Kritik richtet sich nicht gegen den gewiss etwas konservativen, ambitioniert kulinarischen Geschmack im Mutterland der Oper, sondern gegen eine Ungleichbehandlung von Musik und Szene.

Dabei sollte der Spielzeitauftakt am Hause von Intendant Alexander Pereira doch den Aufbruch zu Neuem und (noch) Größerem darstellen. Die Erwartungshaltungen waren auf beiden Seiten sehr hoch, Mailand wollte den neuen Chef, Chailly wollte in seiner Geburtsstadt wieder heimisch werden – erfüllt wurden diese Erwartungen allenfalls musikalisch, wie sich in zahlreichem Szenenapplaus sowie im honorigen Schlussbeifall zeigte. Mehr vielleicht noch in der herzhaften Begrüßung des Maestro und seiner grandios aufspielenden Kapelle zu Beginn des zweiten Teils nach der Pause. Da war das Eis, so vorhanden, längst gebrochen.

Bis dahin ging auf der Bühne allerdings wirklich schon einiges schief. Insofern hatte „Giovanna d’Arco“ etwas beinahe Zeitgemäßes, denn der selten gespielte Vierakter zeigt, wohin inbrünstig gelebter Glauben führt. Das war zu Zeiten der Jungfrau von Orleans nicht anders als bei Schiller, auf dessen Drama hin Temistocle Solera das Libretto schrieb, es ist auch heute nicht besser bei Verdi.

Die Regie von Moshe Leiser und Patrice Caurier werden es freilich kaum auf eine solche Deutung angelegt haben, aus der nur eine Abkehr von kriegerischer Religiosität resultieren dürfte. Zusammen mit Bühnenbildner Christian Fenouillat und Kostümbildner Agostino Cavalca haben sie großes, opulent ausgestattetes Theater realisiert. Binnenwelten der von „Stimmen“ beseelten Gotteskriegerin Giovanna feststeht finden im Bett und in inneren Räumen statt, das äußere Geschehen wird drastisch bebildert. Da wird ein großer Dom aufgefahren, der in sich zusammensackt, als das Schicksal der Jungfrau besiegelt ist. Carlo VII wird königlich vergoldetet und auf ein güldenes Requisitenross gesetzt und mutiert zum Goldenen Reiter, das schränkt spielerisch ein und einfach nur albern aus. Beseelte Träume, Kampfszenen und letztlich die Engelswerdung – hier steht alles auf schiefer Ebene und steuert auf göttliche Abgründe hin.

Angelegt war das Ganze wohl vorrangig auf den Mann am Pult, der alle Blicke auf sich richten ließ, um ein perfektes musikalisches Miteinander zu zaubern. Personenbezüge, psychologisch nachvollziehbares Verhalten oder gar glaubwürdige Emotionalität verkamen so zur Nebensache. Wenn trotzdem nicht der Eindruck einer konzertanten Rampenveranstaltung aufkam, dann wegen der musikalischen Dramatik, die das gesamte Ensemble mitriss und zu großer Klangkunst anstiftete.

Chailly kostete alle Nuancen aus und durfte sich auf satte Streicher, unbedingte Impulsivität und bestens polierten Bläsern verlassen Wunderbare Grundlagen also für Anna Netrebko mit kraftvoll überzeugendem Sopran in der Titelpartie, die allenfalls in verhaltenen Passagen leicht brüchig wirkte, für Francesco Meli als sowohl schmetternd wie auch sensibel überzeugenden Carlo-Tenor, für den kurzfristig als Giacomo eingesprungenen Bariton David Cecconi, den bärig vitalen Bass Dmitry Beloselskyi als Talbot und für einen Opernchor, der homogen aufbrausend das Haus schier zum Bersten gebracht hat.

„La Netrebko“ hat sich als Mailänder Giovanna einer neuen Herausforderung gestellt, wirkte spielerisch in Nachthemd und güldenem Brustpanzer Carlos mitunter recht unbeholfen.

So geriet der 7. Dezember in Mailand vor allem zu einem Feiertag der Musik, an dem es wenig Protest, viel (vermeintliche) Sicherheit und einen glücklichen Einstand des neuen Musikchefs am Teatro alla Scala gab.

Termine: 10., 13., 15., 18., 21. und 23. Dezember 2015 sowie am 2. Januar 2016

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