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KATJA KABANOVA. Camila Robero-Souza, Chor des Meininger Theaters. Foto: © Foto Ed
KATJA KABANOVA. Camila Robero-Souza, Chor des Meininger Theaters. Foto: © Michael Reichel
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Katastrophenwetter an der Wolga – Am Staatstheater Meiningen beeindruckt Ansgar Haag mit Leoš Janáčeks „Katja Kabanova“

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Opern von Leoš Janáček (1854-1928) ins Programm zu nehmen, ist immer noch nicht so selbstverständlich wie er es eigentlich sein müsste. Die Musik des Tschechen ist grandios und ohne den Bombast eines Puccini. Zwischen Spätromantik und Moderne behauptet sie ihren eigenen Platz. Ihr spezieller Parlandostil ist dem tschechischen Sprach-Mutterboden so harmonisch entwachsen wie sonst vielleicht nur das Belcanto dem Italienischen. Die symphonischen Passagen sind betörend atmosphärisch. Seine Opern erzählen nicht von Göttern oder Prinzen, sondern meist von den Bedrängten. Von Frauen zumal, die mit ihrem Schicksal die Zeche für die Unterdrückungsmechanik der männerdominierten Werteordnung zahlen.

Bei „Katja Kabanowa“ deren Libretto der Komponist nach Alexander Ostrowskijs Schauspiel „Gewitter“ selbst geschrieben hat, steht am Ende der Selbstmord der Kaufmannsfrau Katja. Die ist an der Seite ihres mutterhörigen Ehemannes Tichon todunglücklich und verzweifelt genug, um sich auf den windigen Boris als Liebhaber einzulassen. Sie ist aber nicht stark genug, um auszubrechen. Und wie Vavrana mit ihrem Freund Richtung Moskau zu fliehen. Dass die gemeinsam mit dem gebildeten Kudrjasch in Moskau ihr Glück sucht, ist ein vernichtendes Urteil für das enge Leben am Ufer der Wolga.

Katja jedenfalls ist die junge Frau, die davon träumt, fliegen zu können, die aber nicht leicht genug fürs Leben ist. Als dann bei einem schweren Gewitter, die Erklärung des Naturphänomens als Elektrizität verlacht und statt dessen dummes Zeug über ein göttliches Strafgericht für heimlich begangene Sünden schwadroniert wird, fühlt sich Katja so attackiert, dass sie in aller Öffentlichkeit ihren Fehltritt eingesteht. Als sich dann auch noch ihr Liebhaber, zwar „schweren Herzens“, aber ohne eine Alternative auch nur in Erwägung zu ziehen, verabschiedet, sieht sie keinen Ausweg mehr und geht in die Wolga. Selbstmord aus Angst vor einem Weiterleben unter der Fuchtel der Schwiegermutter und im Angesicht einer bigotten kollektiven Verachtung.

Leoš Janáček freilich hat dafür gesorgt, dass ihr die Empathie des Publikums sicher ist. Was in den Jahren der Uraufführung von 1921 gesellschaftlich ambitionierter war, als heutzutage. Zumindest in unserer emanzipierten Gesellschaft.

Bei Ansgar Haag in Meiningen geht Katja tatsächlich ins Wasser. Denn in Dieter Richters Bühnenbild liegt das Anwesen der Kabanows direkt am Fluss. Und der führt nicht nur imitiertes, sondern plätscherndes Wasser. Es ist trotzdem kein Ansichtskarten-Naturalismus. Die Bühne ist eine Art Innen-Außenraum. Mit einer altmodischen Badewanne wie drinnen und Gartenbänken, wie vor dem Haus. Hoch oben ein Glasdach, an der Seite eine Treppe zwischen einer Tür im ersten und im zweiten Stock. Ein großes Schiebetor gibt den Blick auf Ufer, Schilf und Holzstege frei und weitet sich im Hintergrund auf eine Flußlandschaft, die sich in schön gemalten Prospekten fortsetzt. Wenn nach der Pause für die Gewitterszene der Blick auf diese Bühnen-Fluss-Landschaft frei ist, weil die Rückwand fehlt, dann kassiert diese optische Opulenz einen Szenenapplaus.

Ansgar Haags Konzept, die Geschichte so zu erzählen, dass sich die Figuren, die anteilnehmende Zuneigung, das Verständnis für Zwangslagen und Fluchtmöglichkeiten, aber auch die pur Verachtung für Bosheit und bornierte Dummheit ungehindert durch ambitionierte Modernisierungsversuche erwerben können, geht in diesem Ambiente voll auf.

Vor allem, weil er ein phänomenales Ensemble beisammen hat. Gesungen wird (wie bei Janáček im Grunde alternativlos) in Tschechisch. Dass Luděk Vele als großmäuliger Kaufmann Dikoj und der Slowake Ondrej Šaling als sein windiger Neffe Boris dabei einen sprachlichen Vorteil haben, wirkte wohl für das übrige Ensemble eher stimulierend. Und sie sind alle in Hochform: Ob nun Anna Maria Dur als Schwiegermutter Monster schlechthin oder Hans Georg Priese als Mutters braves Söhnchen Tichon, der erst als alles zu spät ist wirklich gegen deren Regiment aufbegehrt. Ob die wunderbare Cornelia Krogius als selbstbewusst jugendfrische Vavrana oder der in jeder Hinsicht zu dieser Rolle passende Sten Meus als ihr Kudrjasch. Sie sind alle ein stimmiger vokaler und darstellerischer Rahmen für Camila Ribero-Souza, die den großen dramatisch angeschärften Ton hat, um ihre Katja von der anfangs noch milde Bemühten, dann mit schlechtem Gewissen Liebenden hin zur Verzweifelten auszuschreiten. Regelrecht verblüfft ist man über den transparent leuchtenden, sinfonisch suggestiven und dann dramatisch eloquenten Orchesterton, mit dem GMD Philippe Bach die präzise Hofkapelle durch diesen Abend führt. Dabei ist der letzte Janacek (Sebastian Baumgartens Jenufa) schon ein paar Jahre her. Die war damals der packende Höhepunkt einer streitbaren Ära. Der bekennende Janáček-Fan Ansgar Haag darf mit seiner, ganz anderen aber ebenso überzeugenden Katja Kabanowa dieses Prädikat auch für sich in Anspruch nehmen.

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