Hierzulande werden anstehende Kürzungen in den großen Sinfonieorchestern zunehmend beklagt. In Südafrika dagegen ist die Situation bereits seit mehreren Jahren katastrophal. Inzwi-schen wurden nahezu alle Berufsorchester des Landes rigoros geschlossen. In Soweto hat ein Jugendorchester die Profis regelrecht überrannt. Mittlerweile ist das Buskaid Streicherprojekt unter künstlerischen wie musikvermittelnden Aspekten so berühmt, dass es eigenverantwortlich zunehmend die wichtigsten musikalisch repräsentativen Aufgaben Südafrikas übernimmt.
In nur 18 Monaten habe ich bereits gesehen, welche wunderbaren Ergebnisse diese Jugendlichen mit allem erreichen können, mit dem sie in Kontakt kommen. Ich bin sicher, dass sie in einem Jahr ihr eigenes professionelles Ensemble gründen können; um ihre eigene Zukunft zu gestalten und unzähligen anderen große Freude zu bereiten. Aus dieser Gruppe werden Solisten, Dirigenten und Manager hervorgehen und vielleicht als Wichtigstes von allem: neue Lehrer. Alle verbunden durch ihren besonderen afrikanischen Musikstil und der Gemeinschaft des Streicherunterrichtes.“ So schreibt Rosemary Neldon 1998 über ihre Arbeit in Soweto/ Südafrika.
Seitdem ist viel passiert: Samstag, der 12. Oktober 2002, 9.15 Uhr Treffpunkt in Parktown, einer der „guten“ Vororte Johannesburgs. Dort lernen wir Rosemary Neldon, Bratschistin und Musikerin bei Sir Eliot Gardiner, die Leiterin des Buskaid Projekts („buskaid“ ist der Korb eines Straßenmusikers) kennen. Wir folgen ihrem zerbeulten weißem Nissan über die M1 und den Soweto Highway, vorbei an Downtown Johannesburg nach Diepkloof. Nach den blühenden Frühlingsgärten der Vorort-Wohnhäuser und der Skyline der City nun das dritte Bild Johannesburgs: eine kleine weiße, von einer privaten Security Firma gesicherte Missionsstation, umgeben von so genannten „shacks“, den kleinen Holz- und Blechhäusern. In diesen Townships leben fast nur schwarze Afrikaner. Der Unterricht der Buskaid-Streicher findet in dem kleinem weißen Kirchenraum mit einklappbaren Rollos zur Verbesserung der Akustik statt.
Die jüngste Musikerin ist sieben Jahre alt. Nachdem neun Geigen und ein Cello eingestimmt sind, beginnt die Stunde mit viel Musik. Bogenübungen und technische Anweisungen für die linke Hand folgen. Rosemary unterrichtet nach der Methode Paul Rollands, bei der Geigen-, Bratschen-, Cello- und Bassschüler im Streichorchester unterrichtet werden. Unterstützt wird Rosemary dabei von zwei älteren Schülern, Lisiku, einem 19-jährigen Geiger, und Gilbert, dem Cellisten.
Während Rosemary den Unterricht leitet, gehen die beiden „Assistant-Teacher“ leise durch die Reihen, korrigieren hier eine Bogenhaltung oder erklären dort einen Rhythmus. Die Stunde endet mit einem Improvisationsspiel, welches Lisiku leitet. Rosemary begleitet am Klavier und Gilbert unterstützt die kleine Cellistin. Während die Anfänger ihre Instrumente einpacken, bauen Lisiku und Gilbert mit Hilfe der fortgeschrittenen Schüler Stühle und Notenständer für eine Orchesterprobe auf. Währendessen zeigt uns Rosemary die liebevoll sortierte Notenbibliothek und berichtet uns kurz, wie es zu diesem Projekt gekommen ist: 1992 hörte sie in einer BBC Radiosendung ein Interview mit den Mitgliedern des „Soweto String Quartetts“, vier jungen schwarzen Musikern, die unter schwierigsten Umständen ihren Weg begonnen haben. Beeindruckt von dem musikalischen Potenzial erspielte sie in einer „Bus- kaid“-Straßenmusik Aktion zusammen mit Kollegen in London das Startkapital für ihr gleichnamiges Projekt.
Seitdem lebt sie zwischen London und Johannesburg, kämpft und engagiert sich unermüdlich für ihre Schüler, denen sie durch das Instru- mentalspiel Zukunftsperspektiven und manchmal auch ein kleines Einkommen bieten kann. So studieren bereits einige ihrer ersten Schüler in Europa, andere sind als Lehrer in das Projekt eingebunden.
Begonnen hat Rosemary mit 15 Schülern, jetzt sind es 60. Kommen darf jeder. Wer sich durch Einsatz und Zuverlässigkeit auszeichnet, darf bleiben und bekommt nach einer Probezeit von einigen Wochen sein eigenes Instrument.
Inzwischen konzertieren die jungen Musiker und Musikerinnen in ganz Südafrika, spielen bei offiziellen Anlässen und füllen dadurch einen Teil der Lücke, die die Schließung nahezu aller professionellen Orchester hinterlassen hat. Jedoch nicht nur in Südafrika sind sie gern gehört und gesehen. Mehrere Konzertreisen haben die begabten Instrumentalisten nach Europa und Amerika geführt, 2002 waren sie in Australien und Neuseeland. Sie beeindrucken durch professionelles Niveau und mitreißende Musikalität. Die besten Grundlagen für ein neues afrikanisches Selbstbewusstsein in Zeiten des Aufbruchs und der Neuorientierung eines ganzen Kontinents.
Informationen unter http://buskaid.org.za