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Der Barbier von Sevilla: Sara-Maria Saalmann, Johannes Mooser.  Foto: © Christina Iberl
Der Barbier von Sevilla: Sara-Maria Saalmann, Johannes Mooser.  Foto: © Christina Iberl
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Kein Gerücht – Brigitte Fassbaender inszeniert in Meiningen Rossinis „Der Barbier von Sevilla“ 

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Mit dem „Barbier von Sevilla“ ist Gioachino Rossini ganz bei sich. Zumindest bei dem, der Amüsement garantiert. Es gibt ja auch den ernsteren, der auf große Oper aus war. Hier ist er noch der Meister der aufs Publikum zurollenden Orchestercrescendi, der eingängig melodischen Arien mit Ohrwurmqualität, der zungenbrecherisch flotten Parlandi bis an die Grenze des technisch Möglichen.

Dazu kommt ein Libretto mit bewusst verwirrenden, komödiantischen Verwicklungen des Allzumenschlichen: mit dem Begehren, das ein alter Griesgram auf sein blutjunges Mündel richtet, mit allerlei Intrigen, mit einem findigen, u.a. frisierenden guten Geist als Titelhelden. Und dann letztendlich mit dem unausweichlichen Sieg der Liebe. Laut Tucholsky wird ja nach einem „happy end im film gewöhnlich abjeblendt“. Dass es alsbald in der Ehe des am Ende jubelnden (Ehe-)Paares kriseln wird, wussten selbst Rossinis Zeitgenossen schon. Mozarts „Figaro“ ist die Fortsetzung genau dieser Geschichte. Sein Opern-Feuerwerk schüttelte Rossini als mittezwanzigjähriger Jungkomponist 1816 auf die Schnelle aus dem Ärmel. Mit nachhaltigem Erfolg. Der „Barbier“ hat heute einen komfortablen Platz im Repertoire. Und er funktioniert immer noch. Wenn man es kann. Und in Meiningen können sie es. 

Pultgast Jonathan Brandani bringt die Hofkapelle auf Komödientrab, lässt das Orchester leicht klingen aber auch Tempo zu, ohne die leisen Töne zu unterschlagen. Auf der Bühne hält eine ganz besondere Regisseurin das Bühnenpersonal dazu in Schwung. Es ist keine Geringere als Brigitte Fassbaender. Sie war jahrzehntelang eine Weltklassesängerin, mit der sich auch heute noch jede Kollegin, die sich beispielsweise an den Rosenkavalier, also die Hosenrolle des Octavian wagt, vergleichen lassen muss. Mitte der 90er Jahre hat sie aus eigenem Entschluss auf dem Höhepunkt ihrer Könnens (nicht danach!) den Beruf gewechselt. Im Pressegespräch vor der Premiere meinte sie, dass sie einfach nicht auf der Bühne in den entsprechenden Rollen, die man ihr natürlich angeboten hätte, altern wollte. Ihr gelang, was kaum jemandem gelingt: eine zweite und eine dritte Karriere. Sie wurde Intendantin und längst zu einer gefragten Regisseurin. Bei ihrer Vergangenheit ist klar, dass eine perfekt auf der Musik sitzende Personenregie per se zu ihrem Credo gehört. Alles, ohne dabei aus dem exemplarischen Rossini eine oberflächliche Klamotte oder einen bloßen Vorwand für Stimmakrobatik zu machen. 

In der Ausstattung von Dietrich von Grebmer bietet sie handgemachte Oper, die gleichwohl kein bisschen nach naturalistischem Opernmuseum aussieht. Das Konzept hat sie schon vor vier Jahren mit Sängernachwuchs in Bregenz erprobt, aber jetzt in Meiningen natürlich neu erarbeitet. (Siehe den nmz-Beitrag von Wolf-Dieter Peter vom 15.08.2018). 

Zur Ouvertüre darf man sich das erste Mal über die schauspielerischen Qualitäten des Chors erfreuen. Hier als eifriges Personal der Post. Dann hat der Titelheld seinen großen Auftritt. In seinem Tätigkeitsprofil ist Barbier nur eine von vielen, so steht denn auch „Faktotum“ auf dem T-Shirt von Johannes Mooser, der ihn stimmgewaltig eher als gutmütig wirkenden Spielmacher gibt. Da in der Komödie, die (wie auch Mozarts „Figaro“) auf Beaumarchais zurückgeht, jede Menge Briefe geschrieben werden, ergeben sowohl der runde Briefkasten der spanischen Post an der Rampe, die entsprechende Truppe Postboten, vor allem aber der multifunktionale Riesenschreibtisch im Zentrum der Bühne Sinn. Er ist zugleich das Haus, das Doktor Bartolo (Tomasz Wija mit imponierendem Parlando) mit einer Fernsteuerung verschließen kann. Dort wird Rosina (darstellerisch und stimmlich hinreißend mädchenhaft: Sara-Maria Saalmann) von ihm quasi in der Schublade unter Verschluss gehalten, um sie zu heiraten. In diesem Unikum mit Terrasse, Balkon, Treppenschubfächern und allem was gebraucht wird, versucht Graf Almaviva (in schönster Rossinischer Belcanto-Geschmeidigkeit: Rafael Helbig-Kostka) auf Freiersfüßen und mit wechselndem Inkognito – erst als besoffener Soldat und dann als aufgebretzelter Musiklehrer – immer mit Hilfe von Figaro und reichlich Briefchen – zu seiner Angebeteten vorzudringen. Wobei er ja am Ende Erfolg hat.  

Davor gibt es wunderbar komisch choreografierte Auftritte des von Manuel Bethe einstudierten Chores als spanisch kostümierte Wachen und als Postboten. Aber auch den szenischen Kommentar, den die beiden alten Bediensteten (Barbara und Michael Neumann) stumm mit dezentem szenischen Witz immer wieder als running gag einstreuen. Oder den Beitrag der flotten Berta (Monika Reinhard). Und natürlich den berühmten Arien-Hit von Don Basilio (Mikko Järviluoto) mit der Gebrauchsanweisung zum Entfachen von Gerüchten (der Mutter aller Shitstorms). Dass im großen Happyend offensichtlich Basilio und der Notar (Silvio Wild) zueinander finden gehört zu den hinzugefügten sympathischen Anachronismen in einem unverwüstlichen über zweihundert Jahre alten Opernhit.

Der Bericht über den Jubel für alle am Ende ist kein Gerücht. Er ist nichts als die Wahrheit! Und hochverdient.

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