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The Wreckers__P 25.10.2024 | Sara-Maria Saalmann. Foto: © Christina Iberl
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Kein Licht. Nirgends? – „The Wreckers“ von Ethel Smyth am Staatstheater Meiningen

Vorspann / Teaser

Am Meininger Staatstheater wollten sie den englischen Titel „The Wreckers“ erst poetisch mit „Leuchtturm des Todes“ übersetzen, sind dann aber doch beim eher nüchtern klingenden „Die Strandräuber“ geblieben. Bei der kürzlich vorangegangenen Karlsruher Inszenierung des Stückes durch Keith Warner musste man sich nicht wirklich entscheiden, weil die englische Version auf die Bühne kam. Am Staatstheater Schwerin, wo im Februar die dritte Inszenierung dieses lange ungehobenen Opernschatzes auch auf Deutsch ins Haus steht, lautet die deutsche Übersetzung „Strandrecht“. Zumindest die ersten beiden Varianten treffen den Kern des Opernthrillers der englischen Komponistin und unermüdlichen Feministin Ethel Smyth (1858-1944). Bei der dritten Variante müsste es wohl eher Strand(un)recht heißen.

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In dieser Oper, die erst auf ein französisches Libretto komponiert und dann 1906 doch in Leipzig in deutsch uraufgeführt wurde, geht es um eine arme, aber eingeschworene Dorfgemeinschaft an der rauen Küste Cornwalls. Die lebt davon, dass der Leuchtturmwärter bei Nacht, vor allem bei Nebel und Sturm das warnende Feuer des Leuchtturms bewusst löscht, damit die Schiffe, die ohne Sicht auf die Küste zutreiben stranden und auf diese Weise zu Beute werden. Die Schiffe werden ausgeraubt und die Besatzungen ermordet. Der Clou daran ist, dass die Dorfbewohner ihre Praxis für moralisch gerechtfertigt halten, weil das ihr Weg zum Überleben ist. Sie halten sich für ein auserwähltes Dorf, das im Namen des Glaubens rauben und morden darf. Die beiden, sich obendrein liebenden Außenseiter im Dorf, die das nicht mitmachen und heimlich warnende Feuer entfachen, werden aufgespürt, verurteilt und hingerichtet. Marc ist der mutige heimliche Geliebte von Thurza, die wiederum die junge, im Dorf fremd gebliebene Ehefrau des geistlichen Führers der Gemeinde Pasko ist. Nachdem erst Pasko in Verdacht gerät, der heimlich zündelnde Abweichler zu sein, bekennen sich Marc und Thurza aber zu ihren Taten, werden angeklagt, verurteilt und gefesselt in einer Höhle am Wasser eingesperrt. So ähnlich wie das eingemauerte Paar Aida und Radames bei Verdi, werden die beiden durch das anbrandende Meer getötet, das damit für einen makabren Liebestod sorgt.

Hier klingt nicht nur die Story von Henry Bennet Brewster nach großem Opernthriller – vor allem die Musik von Ethel Smyth macht das Ganze zu einer Oper in einem musikalischen Format, über das man nur staunen kann. Dass hier Richard Wagner (wie ein Leuchtturm) den Weg weist, versteht sich fast von selbst. Die Musik ist gleichwohl in ihrer Vielfalt eigenständig. Wie die kämpferische Komponistin ihre Motive verwebt und wiederholt, wie sie das Meer branden und die Gefühle lodern lässt, wie sie die Umkehrung aller Moralvorstellungen (außer dem Gebot der ehelichen Treue für die Frau) mit religiöser Chorinbrunst dunkelleuchtend dröhnen lässt, das ist atemberaubend.

Und für den jungen Meininger GMD unter Genieverdacht Killian Farrell und seine fabelhaft ihre spätromantische Kernkompetenz ausspielende Hofkapelle ist das ein gefundenes Fressen bzw. der Glücksfall eines nun doch wieder am Ufer des Repertoires gestrandeten Opernschatzes. Allein das üppig wuchernde Liebesduett im zweiten Aufzug zwischen Marc und Thurza muss den Vergleich mit Tristan und Isolde oder Dido und Aeneas (in den „Trojanern“ von Berlioz) nicht scheuen. Hier laufen Alexander Geller und vor allem Karis Tucker zu einer vokalen Hochform auf, die einen auf die Stuhlkante treibt. Erstklassig auch Emma McNairy als intrigierende und auf Thurza eifersüchtige Avis, Tomasz Wija als Thurzas betrogener Ehemann und religiöser Anführer Pasko. Mark Hightower als Leuchturmwärter Laurent, Selcuk Hakan Tiraşoğlu als dessen Schwager Harvey und Tobias Glagau als Wirt komplettieren und Wirtstochter Sophie (Sara-Maria Saalmann) komplettieren das Protagonistenensemle. Dazu bewährt sich der von Roman David Rothenaicher einstudierte Meininger Chor in der tragenden Rolle, die er hier hat.

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The Wreckers__P 25.10.2024 | Chor des Staatstheaters Meiningen. Foto: © Christina Iberl
The Wreckers__P 25.10.2024 | Chor des Staatstheaters Meiningen. Foto: © Christina Iberl
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Regisseur Jochen Biganzoli und sein Ausstatter Alexandre Corazzola verzichten für diese erste szenische Aufführung der deutschen Urfassung, die Farrell in den ersten beiden Akten kaum und im dritten Akt beherzt um 17 Minuten gekürzt hat, auf jegliches naturalistisches Ambiente. Sie machen das Ganze zu einem exemplarischen Lehrstück über eine Gemeinschaft, die ihre Werte und Moralvorstellungen für sich selbst neu, als Gegenteil der eigentlich gültigen, definiert. So wird der abstrakte Milchglaskubus zum Kern einer Reise ins Herz der Finsternis. Nach und nach schreiben sie einfach Worte an diese Wände, deren Reihe mit „Hunger“, „Allein“ oder „Not“ elementar beginnt und dann in einem Crescendo nicht nur aggressiver wird, sondern auch dem Erfahrungsraum der Gegenwart immer näher auf die Pelle rückt. Bis zu „Wir zuerst“, „Unser Land, unsere Heimat“, „Wir“ und „Wut“. Es sind verschiedene Assoziationsräume, die damit geöffnet werden. Solche in der Vergangenheit und auch Gegenwart hierzulande. Oder in Übersee. Das Präsidentschafts-Wahlergebnis, das zum Schriftzug „Der Sturm bricht los!“ passt, kann man sich denken.

Am Ende bleiben helle Freude über dieses ganz besondere Strandgut der Operngeschichte! Das betrifft die Musik, den Stoff und die exzellente Qualität in es in Meiningen geborgen wurde.

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